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Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn: Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn im Zusammenhange mit der Gesammtentwicklung der Bildenden Künste bei den Mittelmeervölkern — Wien, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.1272#0145
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I40 KUNSTINDUSTRIE.

beschatteten Partien herzustellen; der typische Repräsentant dieser Äußerungsform des
herrschenden obersten Kunstwollens war der Keilschnitt, dessen frühestes Vorkommen an
Steindenkmälern vom Beginne des dritten Jahrhunderts bezeugt ist und der überhaupt mehr dem
mittelrömischen als dem entschieden spätrömischen Kunstwollen entsprochen haben muss, weil
er seit dem sechsten Jahrhundert wenigstens aus der Kunst der führenden Völker verschwindet.
Wie aber, wenn man entsprechend der fortschreitenden Tendenz auf Ermäßigung und
Verrlachung des Reliefs von jeder Art der Ausladung, wie sie selbst Durchbruch und Keil-
schnitt, wenn auch in noch so abgeschwächtem Maße, fortdauernd festgehalten hatten, absah,
und die Unterbrechung durch tiefe und satte Farben im Contraste zu hellglänzenden daneben herzu-
stellen suchte? War doch die optische Auffassung von Licht und Schatten (zum Unterschiede
von der taktisch-modellierenden des Halbschattens in der altorientalischen und der classisch-
griechischen Kunst) sowohl im Durchbruch als Im Keilschnitt bereits eine farbige, coloristische
gewesen. Diese letzte und reichste Stufe der Entwicklung, die schon ausschließlich der spät-
römischen Zeit angehört, stellt die Granaten-Einlage dar, die ein tiefes sattes Roth zu
gleißendem Gold in Gegensatz brachte; sie hatte ihre Vorläufer seit der früheren Kaiserzeit in
der Niellierung (Contrast von blauschwarzem Niello und hellglänzendem Silber) und im Email
überhaupt gehabt.

Eine Untersuchung von Denkmälern der drei genannten Hauptgattungen wird übrigens
hinreichende Gelegenheit schaffen, um auch einige minder charakteristische Arten der Metall-
bearbeitung jener Zeit (Gravierung, Ciselierung, Filigran) kennen zu lernen.

DURCHBROCHENE ARBEITEN.

Die erste und älteste Classe derselben (Taf. XIII. i, 2, 4, 6, 7, 8, 10, XIV. 1, 2, 3, 4, 5, 6)
verräth durch die wechselnde Höhe der Ausladungen in den einzelnen Theilen (am vorgeschrit-
tensten in XIV. 2) einen starken Rest taktischer Auffassung, durch die glatte ebene Unterseite
eine Erinnerung an den classischen Reliefgrund: durch beides den Anschluss an die vor-
augusteische griechische Kunst. Der gleiche Eindruck wird durch eine Betrachtung der Detail-
behandlung wachgerufen. Das Element der Decorationsmotive bildet die griechische Ranke, und
zwar die gegabelte Ranke mit zwickelfüllender Halbpalmette, die an der Peripherie in flachem
Bogen abschließt, und infolge Unterdrückung des Fächers in ein massives sphärisches Dreieck
(daher auch „Trompetenmuster" genannt — vergl. namentlich XIII. 8) umgebildet erscheint. Über
den Process, der von der classischen Palmettenranke zu dieser Fortbildung derselben (und mittel-
bar zur späteren Arabeske) geführt hat, ist in meinen Stilfragen S. 245 ff, Fig. 126—-128 gehandelt.
Ist somit das Rankenmotiv mit seiner aus der Kreisform entwickelten Curve zweifellos griechisch-
classischer Abkunft, so hat dasselbe in dieser Denkmälergruppe eine besondere (nichtclassische)
Behandlung dahin erfahren, dass die einzelnen Curven sich nicht wie in der Wellenranke in
ununterbrochener Verbindung aus einander entwickeln, sondern in ihrem Flusse jäh abbrechen,
so dass die darauf folgende Curve ganz unvermittelt womöglich nach der entgegengesetzten
Richtung ausspringt.

Das Compositionsgesetz, das hier zugrunde liegt, ist dasjenige der contrastierenden
Curven. Es beruht noch immer auf dem classischen Contrapost, der Gegensätze (Bewegungen)
 
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