zu verweilen. Man läßt den Blick einmal auf dem Kopf des Dieners,
dann des Regenten ruhen und fühlt intim den geheimen inneren
Rapport, der zwischen ihnen hin und her vihriert. Dann betrachtet
man wiederum das Mädchen, das halb neugierig, halb ängstlich
gespannt zum Kassier aufblickt. Wir ahnen die Gedankenfäden, die
sich zwischen den drei Personen spinnen, und betrachten dieselben
mit lustvoller Aufmerksamkeit, so wie sie selbst durch reine Auf-
merksamkeit untereinander verbunden scheinen. Wir glauben eine
gemalte Novelle vor uns zu sehen, wie sie Gerhard Terborch so
unübertroffen geschaffen hat, und es ist in der Tat die durch
Terborch vertretene Richtung der holländischen Malerei, die wir da
im Gruppenporträt zum Ausdruck gelangen sehen.
Man darf niemals versessen, daß das unverrückbare Ziel aller Das '^.es?a des
T,/r ^ ■ t t\ n i r 1 i novellistischen
holländischen ivlalerei die Darstellung der Aufmerksamkeit gewesen Charakters
• d" P rl
ist. Nur um der Individualisierung der Aufmerksamkeit willen hatten leser renodc-
die Holländer von den Italienern die Darstellung des Gefühlslebens
übernommen. Die Lust bei Hals, das Mitgefühl bei Rembrandt waren
bloß Mittel zum Zwecke und sobald dieser erreicht schien, erwachte
naturgemäß dasßestreben,das nunmehr überflüssig gewordene Fremde
wiederum nach Möglichkeit auszuscheiden oder doch auf das not-
wendigste Minimum einzuschränken. Aus diesem Bestreben, das die
letzte selbständige Phase der holländischen Malerei vor ihrer Kapitu-
lation vor der französischen kennzeichnet, ist die Auffassung Terborchs
hervorgegangen. Seiner künstlerischen Abkunft nach ist er Haarlemer;
durch die Gesellschaftsmaler, namentlich durch Pieter Codde, hängt
er unmittelbar mit Frans Hals zusammen. Von Haus aus war er so-
mit ein Maler des Lustgefühls und nicht ein solcher des Mitgefühls.
Seine Aufgabe aber war es nun, den Ausdruck des Lustgefühls zu-
gunsten der reinen Aufmerksamkeit so weit einzuschränken, als es
überhaupt möglich war, ohne die Individualisierung der Aufmerksam-
keit preiszugeben. Das Resultat waren seine »Novellen«, die uns
heute so überaus fesseln, weil ihre Teilnehmer durch ein unsicht-
bares, aber unwiderstehliches Band zusammengehalten erscheinen
und uns dadurch eine zwingende Stimmungswirkung vermitteln.
Dieses Band scheint nun nichts anderes als reine Aufmerksamkeit;
da sie aber in der vollkommensten Weise individualisiert ist, darf man
mit absoluter Notwendigkeit schließen, daß ihr jedesmal irgendein
selbstisches Gefühl zugrunde liegt. Eine genauere psychologische
Analyse ergibt denn auch, daß es sich dabei um ein Lustgefühl han-
delt, aber um ein verborgenes, das nach außen hin hinter der an-
genommenen Maske der interesselosen Aufmerksamkeit verschwindet.
Dieser Sachverhalt gelangt schon in den von Terborch gewählten
Themen zum Ausdruck: in den Liebesbriefszenen, in dem Soldaten,
der einer Dame Geld anbietet, in der »väterlichen Ermahnung«.
Überall handelt es sich um geheime Leidenschaften, die der Meister
18 Das holländische Gruppenporträt.
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dann des Regenten ruhen und fühlt intim den geheimen inneren
Rapport, der zwischen ihnen hin und her vihriert. Dann betrachtet
man wiederum das Mädchen, das halb neugierig, halb ängstlich
gespannt zum Kassier aufblickt. Wir ahnen die Gedankenfäden, die
sich zwischen den drei Personen spinnen, und betrachten dieselben
mit lustvoller Aufmerksamkeit, so wie sie selbst durch reine Auf-
merksamkeit untereinander verbunden scheinen. Wir glauben eine
gemalte Novelle vor uns zu sehen, wie sie Gerhard Terborch so
unübertroffen geschaffen hat, und es ist in der Tat die durch
Terborch vertretene Richtung der holländischen Malerei, die wir da
im Gruppenporträt zum Ausdruck gelangen sehen.
Man darf niemals versessen, daß das unverrückbare Ziel aller Das '^.es?a des
T,/r ^ ■ t t\ n i r 1 i novellistischen
holländischen ivlalerei die Darstellung der Aufmerksamkeit gewesen Charakters
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ist. Nur um der Individualisierung der Aufmerksamkeit willen hatten leser renodc-
die Holländer von den Italienern die Darstellung des Gefühlslebens
übernommen. Die Lust bei Hals, das Mitgefühl bei Rembrandt waren
bloß Mittel zum Zwecke und sobald dieser erreicht schien, erwachte
naturgemäß dasßestreben,das nunmehr überflüssig gewordene Fremde
wiederum nach Möglichkeit auszuscheiden oder doch auf das not-
wendigste Minimum einzuschränken. Aus diesem Bestreben, das die
letzte selbständige Phase der holländischen Malerei vor ihrer Kapitu-
lation vor der französischen kennzeichnet, ist die Auffassung Terborchs
hervorgegangen. Seiner künstlerischen Abkunft nach ist er Haarlemer;
durch die Gesellschaftsmaler, namentlich durch Pieter Codde, hängt
er unmittelbar mit Frans Hals zusammen. Von Haus aus war er so-
mit ein Maler des Lustgefühls und nicht ein solcher des Mitgefühls.
Seine Aufgabe aber war es nun, den Ausdruck des Lustgefühls zu-
gunsten der reinen Aufmerksamkeit so weit einzuschränken, als es
überhaupt möglich war, ohne die Individualisierung der Aufmerksam-
keit preiszugeben. Das Resultat waren seine »Novellen«, die uns
heute so überaus fesseln, weil ihre Teilnehmer durch ein unsicht-
bares, aber unwiderstehliches Band zusammengehalten erscheinen
und uns dadurch eine zwingende Stimmungswirkung vermitteln.
Dieses Band scheint nun nichts anderes als reine Aufmerksamkeit;
da sie aber in der vollkommensten Weise individualisiert ist, darf man
mit absoluter Notwendigkeit schließen, daß ihr jedesmal irgendein
selbstisches Gefühl zugrunde liegt. Eine genauere psychologische
Analyse ergibt denn auch, daß es sich dabei um ein Lustgefühl han-
delt, aber um ein verborgenes, das nach außen hin hinter der an-
genommenen Maske der interesselosen Aufmerksamkeit verschwindet.
Dieser Sachverhalt gelangt schon in den von Terborch gewählten
Themen zum Ausdruck: in den Liebesbriefszenen, in dem Soldaten,
der einer Dame Geld anbietet, in der »väterlichen Ermahnung«.
Überall handelt es sich um geheime Leidenschaften, die der Meister
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