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3. PRINZIPIEN EINER TEXTGESCHICHTLICHEN STEMMATIK

Für die Textgeschichte besitzt jeder Textzeu-
ge Eigenwert. Weichen zwei Textzeugen von einander ab,
so braucht bei keinem der beiden ein Fehler vorzulie-
gen. Vielmehr können beide Lesarten sprachlich kor-
rekt und textlich sinnvoll sein. Beide müssen dann als
Zeugnisse für eine Etappe der Textentwicklung akzep-
tiert werden. Ihr Verhältnis zu einem Original ist
hier irrelevant.

Die klassiche Stemma-Konstruktion, wie sie
in § 2 dargestellt ist, bestimmt - textexterne Daten
außer acht gelassen - die Abhängigkeit zwischen Text-
zeugen ausschließlich nach dem Kriterium des Leitfeh-
lers, ein Kriterium, das nicht einfach durch ein Kri-
terium der bloßen Differenz ersetzt werden kann.
Leitfehler sind so definiert, daß immer der korrekte
Textzeuge dem Original näher steht als der fehlerhafte
Textzeuge und damit stemmatisch den fehlerhaften Text-
zeugen im Stemma dominiert (d. h. über ihm steht). In-
folgedessen kann aus Leitfehlern die Hierachie von
Textzeugen im Stemma bestimmt werden. Demgegenüber ist
die Differenz zwischen zwei im beschriebenen Sinn
korrekten Textzeugen nicht ohne weiteres als Krite-
rium für das relative Alter brauchbar. Anstelle eines
Leitfehlers sind sie verwendbar dann und nur dann,
wenn die Umformulierung nach allem, was man vom alt-
ägyptischen Denken weiß, nur in einer bestimmten
Richtung verlaufen sein kann. Z. B. kann es fallweise
 
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