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Schmarsow, August
Beiträge zur Ästhetik der Bildenden Künste (Band 2): Barock und Rokoko: eine kritische Auseinandersetzung über das Malerische in der Architektur — Leipzig, 1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.15253#0133
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Sein Barockstil

123

Architektur einem solchen Genius keine Verläugnung
des Bildnergeistes zutrauen dürfen, den er in der
Skulptur bewiesen hat, so werden wir uns auch über
das Eindringen der nämlichen Erscheinungen, die
Einseitigkeit koncentrierter Lebensäusserung, der ab-
sichtlichen Ungleichmäfsigkeit in der Beteiligung des
Körpers am Ausdruck nicht mehr wundern, und
werden deshalb noch nicht von einem Rückfall in
formloseren Zustand sprechen mögen.

Suchen wir endlich von diesem Prinzip aus den
Anschluss an das vorher verfolgte der Höhenaxe,
mit dem Ausdruck der Einheitlichkeit des organischen
Geschöpfes und dem Hochdrang seines natürlichen
Wachstums, zu gewinnen, so kommen wir wieder
zum Gesetz der Proportionalität und zum höchsten
Gesetz seiner Komposition im Grossen: dem Kontrast
zwischen Streben und Erfüllung, zwischen Unten und
Oben, Aussen und Innen, und allen ihren Modi-
fikationen in Raum und Zeit.

Da rühren wir an die Erkenntnis, dass Michelangelo
nicht nur Bildner und Maler wie Baumeister dazu,
sondern auch Dichter gewesen, und der Gröfsten
Einer zu seiner Zeit. Seine Architektur enthält auch
sowol in ihrer psychologischen Charakteristik der
Formensprache, wie in ihrer durchgehenden psycho-
logischen Veranstaltung die unverkennbaren Anfänge
einer grossartigen und umfassenden Raumdichtung,
die den zeitlichen Ablauf des Erlebens der Raum-
einheiten nach einander voraussetzt, also die Ver-
wandtschaft mit poetischer und musikalischer Kom-
position im Grossen.
 
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