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FORMDURCHBILDUNG UND DONATELLESKE
PSYCHOLOGIE
Die Theorie verlangt vom Künstler, daß er zuerst das
Ganze, dann erst das Detail berücksichtige. Von der Erfüllung
dieses Prinzips hängt der Wert jedes Kunstwerkes ab. Anders
aber läuft der Weg der Formentwicklung. Denn intime Einzel-
beobachtungen sind die Sprossen, die zur Formerkenntnis des
Ganzen emporführen. Durch sie erobert der Künstler allmäh-
lich die Welt der Erscheinung. Auf jeder Stufe aber doku-
mentiert sich die Größe des Genies erst durch das Vermögen
aus der Fülle dieser Einzelbeobachtungen eine neue Einheit —
das Kunstwerk — zu schaffen. Donatello ist beides gewesen:
ein Entdecker und ein Künstler. Eine überraschende Fülle
anschaulicher Erkenntnis hat er im Lauf von sechs Dezennien
erobert. Aber man gewahrt dies nur bei vergleichender Ein-
zelbetrachtung, so stark spricht die künstlerische Einheit aus
jedem Werk.
Die Arbeiten des jungen Künstlers stehen in Bewegungs-
und Gewandmotiven der Gotik nicht fern. Durch intensive
Beobachtungen überwindet der Meister allmählich die ober-
flächliche Belebungsweise des ausgehenden Mittelalters. Mehr
und mehr fand er die präzisen Formen, um Körperbewegung
darzustellen, und zugleich entdeckte er deutlicher und zahlreicher
die Variationen zwischen den einzelnen. Nirgends aber — so
scheint mir — ist die Entwicklung ein so schneller Aufstieg
und sind der Entdeckungen so viele, wie in der Durchbildung
der Einzelform.
Die zwei Statuetten am nördlichen Domportal (1406), die
den Anfang der Künstlerlaufbahn bezeichnen, sind zur Unter-
suchung der Einzelform wenig geeignet. Bessere Auskunft über
Donatellos Jugendstil gibt der sorgfältig gearbeitete Marmor-

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