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wiss tendieren lokale Traditionen gern zu Mythenbildungen, was sich z.B.
für Karl den Grossen in Aachen überdeutlich zeigt, aber Otto III. war ja
für Aachen auf lange Sicht eine bei weitem weniger spektakuläre Figur
als sein verehrter Vorgänger. Darum ist auch schwer einzusehen, warum
hinter dieser Inschrift kein historischer Kern liegen sollte.

Der Zeitstil der Situla weist mehr Parallelen mit Werken aus der Zeit Ot-
tos III. als Heinrichs II. auf. Die klare Durchstrukturierung des Gesamt-
aufbaus, ihr Hauptcharakteristikum, verbindet die Situla stilistisch mit
vielen anderen Werken aus der Zeit vor und um 1000 sowie mit Werken
der spätantiken Sarkophagkunst. Die unter Heinrich II. entstandenen
Werke heben sich generell davon ab durch ihren stärker oberflächenbe-
stimmten und „exotischen" Charakter, der mehr Impulse aus dem zeit-
genössischen Byzanz als aus der Spätantike aufgreift.

Die Programmatik der Situla stimmt zu einem weitaus grösseren Teil mit
den Zeugnissen, die aus der Zeit Ottos III. als aus jener Heinrichs II.
überliefert sind, überein. Durch Ottos III. persönliche Beziehungen zu
den zeitgenössischen Päpsten während seiner kurzen Regierungszeit ist
das enge Verhältnis zwischen Kaiser und Papst besonders hervorgeho-
ben; es wird auch durch andere Zeitgenossen wie den Bischof Leo von
Vercelli thematisiert. Mehrfach präsidierten Kaiser und Papst gemeinsam
Synoden. Demgegenüber ist die Bedeutung der Kaiser-Papst-Beziehung
bei Heinrich II. etwas zurückgetreten. Erst im Verlauf der zweiten Hälfte
seiner Regierungszeit kommt durch die Kaiserkrönung Heinrichs II. 1014
in Rom, durch drei gemeinsam präsidierte Synoden und den Papstbesuch
in Bamberg 1020, sichtbare Bewegung hinein, die aber bei weitem nicht
so konturiert wie diejenige zwischen Otto III. und den Päpsten ist.

Trotzdem ist durchaus nachvollziehbar, dass die Situla im Zusammen-
hang der Anordnung der Schatzstücke auf dem Aachener Ambo, der Stif-
tung Heinrichs IL, einen Platz finden hätte finden können, da ihr Pro-
gramm mit der Haltung und den Absichten dieses Herrschers keineswegs
in einem prinzipiellen Widerspruch stand.

Vergleicht man das jeweilige Engagement und Interesse, das Otto III.
resp. Heinrich II. Karl dem Grossen und Aachen entgegenbrachten, so
bestätigt sich, dass die Förderung Aachens und seines Münsters für Otto
III. eine „Herzenssache" war. Das drückt sich durch die oben dargestell-
ten Massnahmen auch deutlich aus:

Gründung dreier klösterlicher Anlagen im nahen Umfeld des Ma-
rienmünsters

reiche Stiftungen an den Erlöseraltar

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