Tektonik. Technisch-Historisches.
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bald auch auf die geschweiften Flächen, deren Krümmungen die Geb.älke
und Frontons nachzufolgen haben.1
Dieser leidige Kommodenstil wird nun im XVII. Jahrhunderte auf
die Facaden der Paläste, Jesuitenklöster und Kirchen übertragen, er fängt
an, die ganze Architektur zu beherrschen. Aber das kalte Schema der
Säulen wird durch die Willkür ihrer Zusammenordnung nicht wieder
vergeistigt; auch das Risalit- und Kropfwerk, die Füllungsarchitektur, die
massiven Barokskulpturen genügen nicht mehr, die in ihren materiellen
Massen immer wachsenden Verhältnisse und Flächen zu beleben. Die
Renaissance wird noch einmal durch ein System, und diessmal durch
ein sehr äusserliches, inhaltsloses, auf ihrer Bahn zurückgedrängt. —
Doch wir gerathen zu früh in das Gebiet der Baukunst, da doch
viel Erfreulicheres auf demjenigen vorliegt, was nächstes Objekt dieses
Paragraphen ist, nämlich in dem Bereich des wirklichen mobilen Haus-
raths, der Tische, Sitzbänke, Sessel, Kandelaber u. s. w.2
1 Die Schweifung der Wandflächen ist bei hölzernen Strukturen an sich durch-
aus nicht prinzipiell verwerflich, vielmehr spricht die Furniturarbeit den geschweiften
Formen entschieden das Wort. Das Unheil besteht nur in der monumentalen
Behandlung dieses dem Holz entsprechenden Motives, das z. B. auf Schränke, Kom-
moden, Tische und Stühle angewandt gerade jenes Leben, jene bequeme, schmiegsame
und bewegliche Selbstständigkeit der mobilen Strukturen während der Zeiten des Barok-
und Piococostiles hauptsächlich förderte und sich entwickeln liess.
2 Viollet Le Duc theilt dieses günstige Urtheil über das Möbelwesen der Renais-
sance bis in das XVIII. Jahrhundert hinein, verglichen mit dem gothischen, wenigstens
der Spätzeit. Dieser Architekt, mit dem ich in sehr vielen Punkten übereinstimme,
wird verzeihen, wenn ich die betreffende Stelle seines Buchs hier citire (erster Theil
des Mobilier Francais, S. 287): „Man weiss, wie gross im XV. Jahrhunderte der Luxus
des burgundischen Hofes war. Er wurde nur übertroffen von dem Aufwande an dem
französischen Hofe nach der Rückkehr Karls VIII. von seiner italienischen Expedition.
Man hatte jenseits der Berge Ideen der Grossartigkeit gefasst, welche auf Baukunst,
Möbel, Kleider und Etikette stark einwirkten. Während des XV. Jahrhunderts hatte
die Ueberraffmerie des herrschenden Geschmacks allen Dingen einen Anstrich von
Magerkeit und Dürftigkeit zugetheilt, so reich sie auch sonst durch Skulptur, Malerei
und reiche Stoffe ausgestattet waren. Unter Karl VIII. änderte sich das plötzlich. Die
Möbel besonders, sowie die Art sie zu drapiren, wurden voller; die Geschicklichkeit
des französischen Handwerkers warf sich mit aller Vorliebe auf die neue Mode, indem
er alle seine früher erworbenen Mittel dabei geltend zu machen wusste. Die breitere
Behandlung blieb dabei der möglichsten Vollendung in der Ausführung unterworfen.
Diese Geschmacksänderung trat zuerst an dem Hofmobiliare hervor. Diess nahm einen
Stil der Grösse an, der in die Baukunst noch nicht sogleich eindringen konnte. Die
Malereien, die Vignetten und die Kupferstiche vom Ende des XV. und vom XVI. Jahr-
hundert haben uns Darstellungen jener Prachtmöbe] erhalten, die in der Anlage, in
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bald auch auf die geschweiften Flächen, deren Krümmungen die Geb.älke
und Frontons nachzufolgen haben.1
Dieser leidige Kommodenstil wird nun im XVII. Jahrhunderte auf
die Facaden der Paläste, Jesuitenklöster und Kirchen übertragen, er fängt
an, die ganze Architektur zu beherrschen. Aber das kalte Schema der
Säulen wird durch die Willkür ihrer Zusammenordnung nicht wieder
vergeistigt; auch das Risalit- und Kropfwerk, die Füllungsarchitektur, die
massiven Barokskulpturen genügen nicht mehr, die in ihren materiellen
Massen immer wachsenden Verhältnisse und Flächen zu beleben. Die
Renaissance wird noch einmal durch ein System, und diessmal durch
ein sehr äusserliches, inhaltsloses, auf ihrer Bahn zurückgedrängt. —
Doch wir gerathen zu früh in das Gebiet der Baukunst, da doch
viel Erfreulicheres auf demjenigen vorliegt, was nächstes Objekt dieses
Paragraphen ist, nämlich in dem Bereich des wirklichen mobilen Haus-
raths, der Tische, Sitzbänke, Sessel, Kandelaber u. s. w.2
1 Die Schweifung der Wandflächen ist bei hölzernen Strukturen an sich durch-
aus nicht prinzipiell verwerflich, vielmehr spricht die Furniturarbeit den geschweiften
Formen entschieden das Wort. Das Unheil besteht nur in der monumentalen
Behandlung dieses dem Holz entsprechenden Motives, das z. B. auf Schränke, Kom-
moden, Tische und Stühle angewandt gerade jenes Leben, jene bequeme, schmiegsame
und bewegliche Selbstständigkeit der mobilen Strukturen während der Zeiten des Barok-
und Piococostiles hauptsächlich förderte und sich entwickeln liess.
2 Viollet Le Duc theilt dieses günstige Urtheil über das Möbelwesen der Renais-
sance bis in das XVIII. Jahrhundert hinein, verglichen mit dem gothischen, wenigstens
der Spätzeit. Dieser Architekt, mit dem ich in sehr vielen Punkten übereinstimme,
wird verzeihen, wenn ich die betreffende Stelle seines Buchs hier citire (erster Theil
des Mobilier Francais, S. 287): „Man weiss, wie gross im XV. Jahrhunderte der Luxus
des burgundischen Hofes war. Er wurde nur übertroffen von dem Aufwande an dem
französischen Hofe nach der Rückkehr Karls VIII. von seiner italienischen Expedition.
Man hatte jenseits der Berge Ideen der Grossartigkeit gefasst, welche auf Baukunst,
Möbel, Kleider und Etikette stark einwirkten. Während des XV. Jahrhunderts hatte
die Ueberraffmerie des herrschenden Geschmacks allen Dingen einen Anstrich von
Magerkeit und Dürftigkeit zugetheilt, so reich sie auch sonst durch Skulptur, Malerei
und reiche Stoffe ausgestattet waren. Unter Karl VIII. änderte sich das plötzlich. Die
Möbel besonders, sowie die Art sie zu drapiren, wurden voller; die Geschicklichkeit
des französischen Handwerkers warf sich mit aller Vorliebe auf die neue Mode, indem
er alle seine früher erworbenen Mittel dabei geltend zu machen wusste. Die breitere
Behandlung blieb dabei der möglichsten Vollendung in der Ausführung unterworfen.
Diese Geschmacksänderung trat zuerst an dem Hofmobiliare hervor. Diess nahm einen
Stil der Grösse an, der in die Baukunst noch nicht sogleich eindringen konnte. Die
Malereien, die Vignetten und die Kupferstiche vom Ende des XV. und vom XVI. Jahr-
hundert haben uns Darstellungen jener Prachtmöbe] erhalten, die in der Anlage, in