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Achtes Hauptstück.

Kleinkünste drückte. Bald auch erweckte sie das Streben nach mehr
Freiheit und Originalität, in welcher neuen Richtung viele Kleinkünstler
die architektonischen Formen auf das Willkürlichste behandelten, alle
Hülfsmittel des Schnitzwerkes in Holz, des Metallgusses, der ausgebildet-
sten Technik überhaupt, bis aufs Aeusserste erschöpften und fast keine
formalen Schranken mehr anerkannten. So entstand der Barokstil mit
seinen Risaliten, Kröpfen, Nischen, Kartuschen, Fruchtbehängen, Masken,
Satyrhermen, Voluten, Muscheln u. s. w. Solcherweise gestaltet sich eine
zweite Reaktion der Kleinkünste und namentlich der Kunsttischlerei gegen
das Uebergewicht, welches die Monumentalstruktur auf sie geübt hatte.
— In Kurzem kommt es dahin, dass letztere wieder dem Einflüsse der
Kleinkünste unterliegt, indem sie mit allem, was sie während ihrer rein
dekorativen Anwendung in der Ebenisterei annahm, korrumpirt wird.
Sogar das dem Gebiete der Kleinkünste ausschliesslich Angehörige wird
von nun an willkürlich auf die monumentale Architektur übertragen.
Dieser Einfluss wirkte besonders eigenthümlich auf die reizend will-
kürliche Spätrenaissance-Architektur des Nordens, wovon die älteren Theile
des Heidelberger Schlosses vielleicht das schönste und reichste Beispiel
geben; freilich eine Art Möbelarchitektur; und zwar so zu sagen eine
kombinirte, nämlich spätgothischer Schreinerstil, durchblickend durch die
Renaissance mit ihren durch das Schnitzwerk und die eingelegte Arbeit
phantastisch umgebildeten antiken Formen. Während früher in Italien
gothische Formen angenommen wurden, obschon die antiken Motive im-
mer herrschten, fand jetzt das Umgekehrte in Frankreich, Deutschland
und Belgien statt; hier bleiben die Motive lange Zeit gothisch, bekleiden
sie sich nur mit antiken Formen.
In Italien nimmt die Renaissance einen noch unerfreulicheren Aus-
gang; — gegen das Ende des XVI. und zu Anfang des XVII. Jahr-
hunderts kommen dort die hohen architektonischen Altaraufsätze in Auf-
nahme, gewaltige Bilderrahmen, an denen die bereits auf feste Kanons
schematisch zurückgeführten Säulenordnungen, schwere monumentale Ge-
bälke, verbunden mit Inkrustationen harter Steinarten (Jaspis, Achat und
Lapis Lazuli), florentinischen Mosaikgemälden, Füllungen aus getriebenem
Metall, starken, vergoldeten Kehlstössen, kurz allen ersinnlichen Mitteln
der Ausstattung verwandt werden. Das an und für sich arme Motiv
gestattet keine einfache Entwicklung der Säulenrhythmik, welch’ letztere
unbedingt nothwendig wird, wo die Ordonnanz als dekoratives Element
in Scene treten soll. Daher verfällt man auf das Koppeln und Gruppiren
der Säulen nach willkürlichster Ordnung, um diese Rhythmik zu erzwingen;
 
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