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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 2): Keramik, Tektonik, Stereotomie, Metallotechnik für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — München: Bruckmann, 1879

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https://doi.org/10.11588/diglit.66815#0581
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Anhang.

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er dort eine der gdänzendsten Perioden der französischen Kunst, wo eben
die Ecole des beaux arts, das Palais d’Orsay gebaut wurden, die Roman-
tiker Eughne Delacroix und Victor Hugo aber auch gleichzeitig ihre
ersten Siege erfochten — ein sprühendes, schöpferisches Geistesleben,
von dem das heutige Frankreich wenige Spuren mehr zeigt. An dem
Kampfe der Klassiker gegen die Romantiker, der auf allen Gebieten
stattfand, in der Architektur nicht weniger als in der Malerei oder Poesie,
hatten sich auch zwei deutsche Meister, Hittorf und Gau, in hervor-
ragender Weise betheiligt. Erst des letzteren Schüler, schloss Semper
bald mit ihm den engsten Freundschaftsbund und verdankte der An-
regung dieses geistvollen, durch weite Reisen ungewöhnlich gebildeten
Mannes sehr viel, vor allem die Einsicht in die Willkürlichkeit der
Romantik und ihre Verläugnung des genauen Zusammenhangs der Bau-
kunst mit der gesammten Kultur eines Volks. Dazwischen brach nun
die Julirevolution herein, die er begeistert begrüsste, denn mit der Kennt-
niss der antiken Welt, wie der erbärmlichen Zustände im Europa der
Restauration und ganz speziell Deutschlands musste in einer so ideal an-
gelegten Natur die republikanische Gesinnung fast nothwendig aufkeimen,
der er dann sein Leben lang treu geblieben ist.
In Paris politisch und künstlerisch bald enttäuscht, ging er jetzt
nach Italien und studirte zunächst in Genua mit Leidenschaft die dor-
tigen herrlichen Palastbauten mit ihrer so ungemein geschickten Be-
nützung des Terrains. In Dresden und Zürich hat er später bewiesen,
wie gut er sie verstanden. Weiter nach Verona und Venedig vor-
dringend, ward er dort mit Sammichele’s Werken vertraut, jenes gewal-
tigen Architekten, der wie kein anderer das Machtvolle mit dem Zier-
lichen zu verbinden verstand, und der denn auch von allen Meistern der
Renaissance den grössten Einfluss auf ihn ausgeübt hat.
Von Rom aus besuchte er nun erst Sicilien, dann Griechenland, und
machte in Athen lange Studien über die griechische Baukunst. Das Er-
gebniss derselben legte er, nach dreijährigem Umherwandern endlich 1832
zurückgekehrt, in jener merkwürdigen Schrift über die Polychromie der
Alten nieder, die man geradezu als eine geharnischte Kriegserklärung
gegen die Romantik überhaupt, besonders aber gegen das in München
damals herrschende Umhertappen in allen möglichen Stilformen, betrachten
kann. Der junge Mann zeigt hier bereits eine Reife des Geistes, einen
Sinn für den organischen Zusammenhang der Kunst mit dem gesammten
Volksleben, den man damals, sowohl bei den Klassikern als den Roman-
tikern, gleich schmerzlich vermisste. Ueber Berlin nach Hamburg zurück-
 
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