Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Strube, Christine
Baudekoration im nordsyrischen Kalksteinmassiv (Band 2): Das 6. und frühe 7. Jahrhundert — Mainz am Rhein: Verlag Philipp von Zabern, 2002

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.71526#0040
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
hend kontrastbildend bearbeitet. Das Kapitell besitzt
eine voll durchgestaltete Deckplatte, doch schließt die
obere Kapitellzone quadratisch mit einer flachen Leiste
ab. Interessant ist die Darstellung der Tiere, die in um-
laufendem Bewegungsschema wiedergegeben sind — eine
im hauptstädtischen Bereich belegte, aber selten erhal-
tene Darstellungsform83. Sie sind stark bestoßen, doch ist
noch gut zu erkennen, daß sie in hohem Relief und pla-
stisch bearbeitet sind. Sie heben sich deutlich von den
Blattzweigen und Weintrauben der tiefer liegenden Reli-
efebene ab. Bei allen Blattformen wurden wie bei den
Kapitellen von Tyros und Qasr ibn Wardän (Taf. 10a. e)
die Blattrippen erhaben gearbeitet.
Kesselkapitell. Das Kalksteinkapitell aus dem Ober-
geschoß des 559 n. Chr. fertiggestellten Kastrons von el
Anderin, dem antiken Androna (Taf. lld.e), ist bis jetzt
ein Unikum im erhaltenen Bestand nordsyrischer Baude-
koration (Taf. 1 Id. e)84. Es ist eindeutig von hauptstädti-
schen Kapitellen beeinflußt und bringt die wichtige In-
formation, daß in der Werkstatt der Kapitelle von Qasr
ibn Wardän nicht nur die bekannten mehrzonigen Kapi-
telle (Taf. 51c; 35b. c), sondern auch Varianten der
Korb-/Kesselkapitelle gearbeitet wurden. Seiner Gesamt-
form nach ist das Kapitell einigen Korbkapitellen nahe,
die Kautzsch als „umflochtene Kesselkapitelle“ bezeich-
net85, und erinnert zugleich mit dem Weinrankendekor
seiner unteren Kapitellhälfte an einige Zweizonenkapi-
telle hauptstädtischer Prägung und deren Nachbildun-
gen86. Seine bauchig ausladende untere Kapitellhälfte
schmückt eine Weinranke, deren Zentrum auf der Vor-
der- und Rückseite ein großes Kreuz einnimmt. Wie bei
den mehrzonigen Kapitellen (Taf. 35c) trennt ein Wulst
mit Schnurbanddekor die untere von der oberen Kapi-
tellhälfte, und mit ihm verflochten ist das Schnurband-
medaillon mit dem Kreuzmonogramm des Stifters Tho-
mas, das im Zentrum von Vorder- und Rückseite sitzt.
Auf jeder Schmalseite tritt ein Korbmotiv an die Stelle
des Kreuzmedaillons.
Die obere Kapitellhälfte ist Idar als Oberteil eines
korinthischen Kapitells durchgebildet, der unmittelbar
unterhalb des Blattüberfalls der Hochblätter endet und —
gestützt von kleinen Bossen - auf der „Plattform“ der

hohen unteren Kapitellhälfte aufsitzt. Die Kapitellecken
werden nicht von Tieren unterfangen, wie sie die Mehr-
zahl der Kapitelle in der Qasr ibn Wardän - Gruppe auf-
weist (Taf. 35b. c).
Alle Dekorationsformen - die Blattformen mit Drei-
ecksmustern, die Korbmotive, die Weinranken - sind
aufs engste mit den Kapitellen der Kirche von Qasr ibn
Wardän verbunden, und auch die Position des Kreuzmo-
nogramms erinnert unmittelbar an das dortige Mono-
gramm des Georgios. Da die Weinrankenkomposition
vollständig erhalten ist, ergänzt sie die Aussage der Kir-
chenkapitelle: Im Gegensatz zu den Rankenkomposito-
nen justinianischer Zeit in Konstantinopel87 wird der
Gesamteindruck nicht von fließender Bewegung, son-
dern von scharf gezackten Blattformen, eckigen Negati-
vmustern und weitgehend verselbständigten Einzelele-
menten geprägt.
Die wenigen hier vorgestellten Kapitelle, die eindeutig
von hauptstädtischen Kapitelltypen beeinflußt wurden,
lassen - bei allen Unterschieden — zwei gegensätzliche
Darstellungsweisen erkennen: Der plastischen, von ver-
schiedenen Reliefhöhen und abgestuften Blattformen ge-
prägten Dekoration einiger Kapitelle stehen kontrastrei-
che, mit glatten geometrischen Blattformen und bewuß-
ter Imitation von ä j our-Technik auftretende Kapitelle
gegenüber. Wir werden vergleichbare Gegensätze in der
Kapitellplastik des Bergmassivs antreffen, und darum
werde ich auf diesen Befund zurückkommen88.

83 Siehe die berühmten Kapitelle der Demetrioskirche von Saloniki -
Strube, Polyeuktoskirche Taf. 8 Abb. 32. 33 - und ihre Nachbildung
in der Kirche von Stobi a. O.Taf. 11 Abb. 44.
84 Das Kapitell wurde im Herbst 2000 ausgegraben und wird aus-
führlich und mit detaillierten Zeichnungen im Grabungsbericht vor-
gestellt werden. Maße: H 66,5. uD 51,8 (mit Wulst). uD 50,5 (ohne
Wulst). mD 70 (ohne Wulst). BD 85.
85 Kautzsch, Kapitellplastik 231.
86 d.s. Taf. 31 Nr. 515. 32 Nr. 517a.b.
87 Strube, Polyeuktoskirche Taf. 24.
88 Siehe S. 60 f. 63 ff. 68. 82ff.

20
 
Annotationen