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Strube, Christine
Baudekoration im nordsyrischen Kalksteinmassiv (Band 2): Das 6. und frühe 7. Jahrhundert — Mainz am Rhein: Verlag Philipp von Zabern, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.71526#0235
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Zusammenfassung

Die reiche Überlieferung der Bauten des nordsyrischen
Kalksteinmassivs gibt die Möglichkeit, über drei Jahr-
hunderte hin der Weiterbildung antiker Baudekoration
und der Ausbildung neuer, über sie hinausführender For-
men nachzugehen. Aufgrund der besonderen geographi-
schen Situation des Bergmassivs, das im unmittelbaren
Einflußbereich bedeutender nordsyrischer Städte liegt
{Karte i), sind diese Vorgänge schon im 4. Jahrhundert
mit einem Austausch zwischen ländlichem und städti-
schem Bereich verbunden, der im Laufe des 5. Jahrhun-
derts zunehmend an Bedeutung gewinnt: Ein Teil der in
den Städten ausgebildeten Bau- und Dekorationsformen
wurde von lokalen Werkgruppen übernommen, und städ-
tische Werkleute wurden zu Bauvorhaben im Kalkstein-
massiv hinzugezogen. Ein wichtiger Faktor bei der Steigerung
dieses Austausches in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhun-
derts war das Aufkommen des Stylitenkultes, der zur
Errichtung der Basilika von Qalblöze und des Wallfahrts-
zentrums von QaFat Simcän in der Antiochene führte.
Im 6. Jahrhundert erreichte der Einfluß der städti-
schen Formenwelt einen Höhepunkt, der weit über ver-
gleichbare Vorgänge im 5. Jahrhundert hinausführt. Zu-
gleich aber steigerten sich die Gegensätze zwischen
gleichzeitig entstandenen Bauten so sehr, daß die Datie-
rungsvorschläge für einzelne Bauten vom 4. bis zum späten
5. Jahrhundert reichen. Der Hauptgrund hierfür ist, daß
Kirchen, deren Baudekoration die lebendige Auseinan-
dersetzung mit der Formenwelt von QaFat SinFän wie
auch den in die Madrasa al Hallawiya eingegangenen
Kapitellen vor Augen führen zu derselben Zeit errichtet
wurden wie Kirchen, die sowohl die Neuerungen des
großen Zentrums wie der Kirche Beroeas ganz oder weit-
gehend ausschlossen und in regionaler Tradition veran-
kerte Formen des 5. Jhs. weiterbildeten. Die Kontraste
sind so groß, daß sich ohne Übertreibung sagen läßt:
Wäre der Baukomplex von QaFat Simcän nicht erhalten, so
hätten wir keine Vorstellung von dem größten Teil seiner
Baudekoration, wenn wir auf den Befund der Kirchen
des 6. Jhs. in Dehes und Dar Qitä, Kaukanäyä und
Güwänlye, Herbet Hasan, Bäfetm und Banqüsä, Msab-
bak und S. Sleimän, Kimär und Kalöta, Frikya und Mug-
leyya angewiesen wären.
Eng verbunden mit der so unterschiedlichen Auf-
nahme der Baudekoration des Zentrums QaFat Simcän
ist die Basilika von Qalblöze. Ein großer Teil ihrer Kapi-
tell- und Archivoltenformen wurde schon wenige Jahre
später in QaFat Simcän weitergebildet, die besondere

Form der Pfeilerkapitelle blieb als Sonderform auf diesen
Bau begrenzt und die Kombination der beiden Haupt-
formen des korinthischen Kapitells in einer Pfeiler- bzw.
Säulenreihe ist bis jetzt nur aus den Qalblöze unmittelbar
nachfolgenden Bauten des 5. Jhs. von Bettir (471
n. Chr.) und Dehes bekannt.
Trotz der zeitlichen Nähe zu QaFat Simcän, die die
eingeschränkte Aufnahme des variantenreichen Dekora-
tionsprogramms der Basilika von Qalblöze zweifellos be-
einflußt hat, ist der Befund der Weitarkaden-Basiliken
des 6. Jhs. in Bäsmisli, Bamüqqä und Güwänlye überra-
schend: Während in Bäsmisli und Bamüqqä (Taf. 76;
134) das Dekorationssystem so stark vereinfacht wurde,
daß kein direkter Einfluß des berühmten Baus im Nach-
barort Qalblöze zu erkennen ist, können alle Dekora-
tionsformen der Kirche von Güwänlye (ca. 554 n. Chr.)
als Weiterbildungen einiger weniger, mit QaFat Simcän
aufgekommener Grundformen erklärt werden (Taf. 91;
92). Da auch die zahlreichen Einzelformen von Caules
und Hüllblättern auf den Pfeilerkapitellen von Qalblöze
im 6. Jh. in keinem Bau lokaler Tradition direkte Paralle-
len haben, läßt sich zusammenfassend sagen: Die Wir-
kungsgeschichte der Basilika von Qalblöze fuhrt über
QaFat Simcän zu den großen Kirchen des 6. Jahrhun-
derts in Deir Setä, Turmanln, El Bärä, Bäfetm und
Bäqirhä. Es ist der Bau, in dem sich zwar die Vorstufen
für Hauptformen der Baudekoration von QaFat SinFän
finden, aber nicht die dort neu ausgebildeten geome-
trischen Dreiecksmuster und keine der Neuerungen, die
wir in der Hallawiya antrafen.
Ich bin hier einleitend noch einmal auf die Situation
der Bauten von Qalblöze und QaFat Simcän eingegan-
gen, weil ihre Wirkungsgeschichte entscheidend ist für
das Verständnis der lokalen Werkstattstraditionen des
Kalksteinmassivs, und d. h. auch, für die Rekonstruktion
des Einflusses städtischer Bautraditionen auf die einzel-
nen Regionen des Bergmassivs.
Die Kontraste zwischen annähernd gleichzeitigen
Bauten legten nahe, die Kirchen nach ihrem Dekorati-
onssystem in Gruppen zuammengefaßt vorzustellen. In
jeder der drei großen Kirchengruppen gibt es mindestens
einen fest datierten Bau, der einen ersten Anhaltspunkt
für die Rekonstruktion der zeitlichen Abfolge der ein-
zelnen Bauten gibt. Aus dem Gesamtbefund jeder einzel-
nen Gruppe heraus wurde im Vorangehenden eine rela-
tive Chronologie erstellt, die in einigen Fällen durch
allen Gruppen gemeinsame Leitformen — wie z. B. das

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