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Strube, Christine
Baudekoration im nordsyrischen Kalksteinmassiv (Band 2): Das 6. und frühe 7. Jahrhundert — Mainz am Rhein: Verlag Philipp von Zabern, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.71526#0171
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raumes. Sollte bei künftigen Arbeiten das bis jetzt be-
kannte Bild erweitert werden durch Kirchen mit beiden
Hauptformen des korinthischen Kapitells in einer Säu-
lenreihe, so ändert dies doch nichts an der Grundsitua-
tion, daß selbst in Orten wie Dehes das Kapitellbild der
älteren Kirche nicht auf den Bau des 6. Jhs. überging.
Bei diesen Vorgängen überrascht, daß das breite Spek-
trum an Einzelformen, das mit den Pfeilerkapitellen von
Qalcat Simfän in das Kalksteinmassiv gekommen war,
fast durchgehend ohne Einfluß war.
Vor allem fällt auf, daß die neuen Blattformen mit
tropfenförmigen Negativformen in glatter Blattfläche699
nicht aufgenommen wurden, sondern bei der Weiterbil-
dung dieser Variante des korinthischen Kapitells sich
alles auf die wechselnde Ausbildung der Caules und
Hüllblätter konzentrierte, während bei den Hauptblät-
tern mit den einmal erhabenen und ein andermal negativ
eingearbeiteten Mittelstegen die beiden Grundmuster
der Kapitelle des 5. Jhs. weitergearbeitet wurden.
Diese einleitend vorgestellten Grundphänomene be-
treffen alle im Vorangehenden vorgestellten Bauten,
doch ist das Gesamtbild ihrer Baudekoration dennoch
höchst unterschiedlich. Die Kirchen von Allata es Sar-
qiye und Turin verbindet mit der Westkirche von Dehes
auf den ersten Blick nur die Entscheidung für das ko-
rinthische Kapitell mit glattem Akanthus, während die
Dekorationsformen des Ostteils die Kirchen genauso
trennend wirken wie die Tür- und Gesimsformen der
Fassaden. Noch schärfer ist der Kontrast zwischen den
beiden Kirchen des 6. Jhs. in Dar Qitä, und beide heben
sich ihrerseits in ihrem Dekorationssystem so stark von
der Kirche in Dehes ab, daß wiederum nur das korinthi-
sche Kapitell der Anker zwischen den drei Bauten zu sein
scheint. Ich werde im folgenden nur die Ergebnisse zur
Kapitellplastik und zu den Tür- und Gesimsformen zu-
sammenfassend vorstellen, die die so gegensätzlich er-
scheinenden Kirchen miteinander verbinden. Für das
Gesamtbild der einzelnen Kirchen und die Diskusssion
von Werkstattsfragen verweise ich auf die Ausführungen
zu den einzelnen Bauten.
Fragen wir nun zuerst nach der Weiterbildung der ko-
rinthischen Kapitelle mit glattem Akanthus, so ist zuerst
festzuhalten, daß nicht nur in den zentralen, sondern in
allen Regionen des Bergmassivs die Grundformen der
Hauptblätter vom 5. auf das 6. Jahrhundert übergingen:
sowohl das Blatt mit einmal erhabenen, der Blattfläche
flach aufliegenden und ein andermal modellierend aus
ihr herausgearbeiteten Mittelstegen, wie auch die Blatt-
form mit scharf eingetieften, negativ umrissenen Mittel-
stegen. Neu ist, daß sie auf einem Kapitell bewußt mit-
einander kombiniert werden konnten. Zudem wurde der
Kontrast zwischen Blattfläche und Blattüberfall zuneh-
mend verstärkt, sodaß gegen Mitte des 6. Jhs. in einigen
Bauten nicht mehr die vor dem Grund liegende Blatt-
fläche, sondern allein der mächtige Überfall die Blatt-

form bestimmte - eine Entwicklung, die sich auch bei
anderen Varianten des korinthischen Kapitells beobach-
ten läßt.
Wirklich verändernd wirkte sich aus, daß einige der
neuen, nach Qalcat Simcän oder zur Madrasa al Halla-
wiya führenden Blattformen als Einzelmotive auf diese
Kapitellform übergingen und die Form von Hüllblättern
und Caules veränderten. Das heißt: kontrastreiche
Flächenmuster treten zwar als Einzelmotive auf, sind
aber nicht Teil einer komplexen Formgebung korinthi-
scher Kapitelle, die dem Gesamtbild in Qalcat Simcän
vergleichbar wäre, sondern wurden wirkungsvoll als
Kontrastform zu den glatt ausgearbeiteten Blättern ein-
gesetzt:
In den Bauten von Kaukanäyä, Güwänlye und Deir
Ammin traten sägeartige Halbblätter oder Zick-Zack-
bzw. Sägemuster an die Stelle der Hüllblätter (Taf. 9le;
92; 93a. b; 95a; 97), wurden Caules und einfache Zwi-
schenblättchen durch Dreiecksmuster oder eine Reihe
gestaffelter Dreiecksblättchen ersetzt (Taf. 91b; 93a. b;
95a-c), und wurden die Blätter einmal mit erhabenen
und ein andermal mit negativ eingegrabenen Blattstegen
gearbeitet (Taf. 9le. f; 92). In der Kirche von Kaukanäyä er-
scheinen darüberhinaus Blattwedel und Blätter mit Drei-
ecksmotiven in der Hüllblattzone, und bei den „Caules“
wurde aus Negativdreieck, Querstegen und kugeligem
Cauleskopf eine ganz neue Form geschaffen (Taf. 95c.
d). In der Kirche von Dehes wiederum wurden nicht nur
durch die Bohrlochreihen der Hüllblattzone, sondern
auch durch das Wechselspiel zwischen breiten Grund-
flächen und den in hohem Relief gegebenen Hauptblät-
tern Kontraste geschaffen (Taf. 103d. f).
Es wurden also auch in diesen Werkstätten Kontraste
herausgearbeitet und größtmögliche Variation ange-
strebt, doch geschah dies je nach dem Charakter der ein-
zelnen Werkstätten in einer Kirche mit großer Intensität
und in der anderen eher zurückhaltend. So können wir
in Dehes die Säulenkapitelle der älteren Kirche denen
der jüngeren gegenüberstellen700 und erkennen, daß sie
verwandt sind in der Grundform, sich aber deutlich un-
terscheiden, da die Blattformen einmal in feinem Relief
und feiner Abstufung, ein andermal dagegen in hohem
Relief und ohne Abstufungen, aber mit scharfen Kontra-
sten gearbeitet wurden. Die Zeitgebundenheit der Akan-
thusformen in der jüngeren Kirche von Dehes zeichnet
sich aber erst dann klar ab, wenn wir die Kapitelle der
Kirche von Allata es Sarqiye hinzuziehen (Taf. 86; 87):
Dort treten die in hohem Relief gegebenen Blattformen
im Zusammenhang mit dem Kalathoskapitell und mit

698 a. O. 115 ff. 121 ff.
699 Strube a. O. Taf. 98b-d. lOOa-c. 101b. 102d-f.
700 Strube, Baudekoration I Taf. 49a. b.

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