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ZWEITER ABSCHNITT
Sittenverderbnis und die ohne Unterlass sich bewahrheitende
Überzeugung, dass Ehrlichkeit zu nichts führte und vielleicht
sogar schädlich war. Selbst wenn sie heute zu etwas ge-
langen, geschieht es vielmehr durch eine wohl angestellte
Berechnung als durch das Erwachen des Gewissens. Noch
herrscht in ihnen ein kriechender Geist vor, Schlauheit,
die Kunst, Schwierigkeiten zu vermeiden und abzuwenden,
Abneigung gegen die Anwendung von Kraft und die
Begabung zu sprechen, zu scherzen und Schmarotzer,
Kuppler und Bediente zu sein. Neben ihnen, wie einst
neben den Griechen, sind die Nord-Italiener Tölpel. Als
die Piemonteser bei ihrer Ankunft Ordnung in die Ver-
waltung bringen wollten, hat man sich beeifert, gelächelt
und sie ohne Schwierigkeit getäuscht. Ebenso wie die
Griechen haben sie eine auffällige Anlage zur Philosophie,
das kann man bis herab in den Seminaren unter kleinen
Bauern erkennen. — Ebenso wie die Griechen endlich,
erraten sie alles und unterrichten sich ohne Lehrer. Mein
Führer in Pompeji hatte innerhalb von zwei Jahren ganz
für sich allein, durch die Unterhaltung mit den Reisenden,
englisch und französisch gelernt, indem er nach den
Worten, die er nicht wusste, fragte und sie sich in ein
Heft aus grauem Papier niederschrieb. „Ich nenne Ihnen
unsere Laster,“ fügte mein Moralist hinzu, „aber das
Naturell ist gut, und die Intelligenz ist gross: sie ist es nur
zu sehr, bei ihnen steht der Geist dem Charakter voran.
Sagen Sie mir, welche Regierung ist besser, um sie zu
leiten, ein Gewaltherrscher, der die Gelehrten ins Ge-
fängnis setzt, oder ein Bürgertum, das Schulen gründet?“
ZWEITER ABSCHNITT
Sittenverderbnis und die ohne Unterlass sich bewahrheitende
Überzeugung, dass Ehrlichkeit zu nichts führte und vielleicht
sogar schädlich war. Selbst wenn sie heute zu etwas ge-
langen, geschieht es vielmehr durch eine wohl angestellte
Berechnung als durch das Erwachen des Gewissens. Noch
herrscht in ihnen ein kriechender Geist vor, Schlauheit,
die Kunst, Schwierigkeiten zu vermeiden und abzuwenden,
Abneigung gegen die Anwendung von Kraft und die
Begabung zu sprechen, zu scherzen und Schmarotzer,
Kuppler und Bediente zu sein. Neben ihnen, wie einst
neben den Griechen, sind die Nord-Italiener Tölpel. Als
die Piemonteser bei ihrer Ankunft Ordnung in die Ver-
waltung bringen wollten, hat man sich beeifert, gelächelt
und sie ohne Schwierigkeit getäuscht. Ebenso wie die
Griechen haben sie eine auffällige Anlage zur Philosophie,
das kann man bis herab in den Seminaren unter kleinen
Bauern erkennen. — Ebenso wie die Griechen endlich,
erraten sie alles und unterrichten sich ohne Lehrer. Mein
Führer in Pompeji hatte innerhalb von zwei Jahren ganz
für sich allein, durch die Unterhaltung mit den Reisenden,
englisch und französisch gelernt, indem er nach den
Worten, die er nicht wusste, fragte und sie sich in ein
Heft aus grauem Papier niederschrieb. „Ich nenne Ihnen
unsere Laster,“ fügte mein Moralist hinzu, „aber das
Naturell ist gut, und die Intelligenz ist gross: sie ist es nur
zu sehr, bei ihnen steht der Geist dem Charakter voran.
Sagen Sie mir, welche Regierung ist besser, um sie zu
leiten, ein Gewaltherrscher, der die Gelehrten ins Ge-
fängnis setzt, oder ein Bürgertum, das Schulen gründet?“