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VON NEAPEL NACH ROM

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gnügen der Augen, amphitheatralisch hintereinander. Die
durch die Entfernung verdickte Luft legt ein prachtvoll
strahlendes buntes Gewand über diese grossen Leiber, und
darüber bauen friedliche Wolken ihre hohen Schneegewölbe.
Es hatte gestern Abend heftig geregnet, und Arbeiter
aller Gattungen besserten den von den Strömen zerrissenen
Weg aus. Zum ersten Male sah ich hier wahrhaft schöne
Frauen: Sie waren in Lumpen und man würde sie nicht
mit Handschuhen haben berühren wollen, aber auf zehn
Schritt Entfernung glichen sie Bildsäulen. Dadurch, dass
sie Wasser, Mörtel und alle Lasten auf dem Kopfe tragen,
haben sie die gerade Haltung und den edlen Gang von
Kanephoren bekommen. Ein dickes weisses Linnen bedeckt
ihren Kopf und schützt sie, auf beiden Seiten herabfallend,
vor der Sonne. Auf diese Weise sind die warmen Farben
der Haut und die schwarzen Augen von einer wunderbaren
Wirkung. Viele hatten regelmässige Züge, eine von ihnen,
die etwas bleich war, war ebenso zart wie eine Gestalt
Lionardo da Vincis. Das Hemde kräuselte sich über dem
Mieder um den Hals und schien absichtlich für die Malerei
gemacht zu sein. Der Rock fiel natürlich in Falten herab,
weil der Körper sich gerade hielt.
Je tiefer der Abend herabsank, desto schöner wurden
im Osten die gestuften Berge. Sie sind weder zu nah,
noch zu gross und sind überwältigend wie die Pyrenäen
und traurig wie die Sevennen. Zwischen ihnen breitet
sich eine grosse fruchtbare Ebene, sie selber sind voll-
kommen dekorativ und dienen dem Gemälde als Hinter-
grund. Ihr Adel ist vollendet und ebenso ihre Sanftheit.
Unmerklich nahmen sie Töne von Veilchen, Flieder und
Malven an. Viele sahen aus wie ein Gewand aus schim-
mernder Seide, und die schroffen Hänge und kahlen Vor-
sprünge erschienen in dieser Entfernung nur wie glitzernde
Falten. Die Städte und Dörfer auf den Höhen bildeten
weisse Gruppen, und das Blau des Himmels war so
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