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Die Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle
entnommen, erzählen die Schöpfung, sowie die Erbarmung Gottes
mit den Menschen bei der Sündfluth. Im Ritus der Taufhandlung
erklingt die Klage Davids: „wie der Hirsch nach dem Wasserquell
schmachtet". Sie wird übertönt durch das Entzücken über die
Kraft und Reinheit des Wassers, bei dessen Verherrlichung wiederum
die Sündfluth erwähnt wird: das Abwaschen der Vergehen der schul-
digen Welt.
Spahn nimmt an, dass diese Feier Michelangelo im Jahre 1508
die Grundzüge seiner Konzeption eingegeben habe. „Die zartesten
Fibern seines religiösen Gefühls wurden durch die christliche Lyrik
der Liturgie, ihre glaubende Zuversicht, ihre ahnungsvolle Sym-
bolik, ihre Christus allein sich hingebende Frömmigkeit in Schwin-
gungen versetzt. Zugleich gerieth seine Künstlerphantasie in den
Bann der eigenthümlichen Art und Weise, wie die Liturgie diese
rein christlichen Motive in eine ganz alttestamentliche Staffage rückt,
worin die Öde und das Halbdunkel und die prophetische Gebärde
herrscht, und die der jehovitische Geist mit seinem Pathos durch-
weht. Plötzlich erschienen vor seinem geistigen Auge in den Ge-
wölbezwickeln der Kapelle die erregten erhabenen Gestalten der
Seher, deren Prophetien in seinen Ohren nachklangen."
Spahn sucht nun weiter das Losringen der künstlerischen Idee
aus dem lyrisch-pathetischen Stimmungsuntergrund der Liturgie zu
verdeutlichen.
Zunächst die symbolische Bilderreihe: den Prophetenchor als
eine Stufenleiter von Symbolen des gotterleuchteten Schauens
(Typus Savonarola): die 5., 6., 7. und 12. Prophetie der Li-
turgie. Der Künstler wählt zunächst nur die vier grossen Pro-
pheten. „Er schied also den einzigen kleinen Propheten in der
Folge der Lektionen, Jonas, aus und ersetzte die schemenhafte
Erscheinung Baruchs durch die ihm nahestehende des Jeremias,
der zwar in den Propheten keine, in der Gesamtliturgie der hei-
ligen Worte durch seine Trauerklänge eine um so bedeutsamere
Stellung innehat. Dann fügte er den Vieren aus Raumrücksichten
noch Joel als Propheten des ersten Tages der Fastenzeit, als Pro-
pheten des Aschermittwochs hinzu.
„Voran stellte er einen sechsten Propheten, Zacharias. Die
christliche Kunst pflegte Zacharias von jeher einen Platz über dem
Eingang der Gotteshäuser einzuräumen, weil ein Vers seiner Schriften
von der Liturgie auf den Einzug in Jerusalem gedeutet wird."
Dann fügte Michelangelo die Sibyllen hinzu (die in der Liturgie
nicht erwähnt werden). „Er konnte kaum anders, als mit den
Propheten zugleich diese sich vorzustellen." Er zieht sie als
ästhetisches Werthelement heran, als Typen des metaphysischen sich
Versenkens in die Geheimnisse der Weltordnung."
Die Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle
entnommen, erzählen die Schöpfung, sowie die Erbarmung Gottes
mit den Menschen bei der Sündfluth. Im Ritus der Taufhandlung
erklingt die Klage Davids: „wie der Hirsch nach dem Wasserquell
schmachtet". Sie wird übertönt durch das Entzücken über die
Kraft und Reinheit des Wassers, bei dessen Verherrlichung wiederum
die Sündfluth erwähnt wird: das Abwaschen der Vergehen der schul-
digen Welt.
Spahn nimmt an, dass diese Feier Michelangelo im Jahre 1508
die Grundzüge seiner Konzeption eingegeben habe. „Die zartesten
Fibern seines religiösen Gefühls wurden durch die christliche Lyrik
der Liturgie, ihre glaubende Zuversicht, ihre ahnungsvolle Sym-
bolik, ihre Christus allein sich hingebende Frömmigkeit in Schwin-
gungen versetzt. Zugleich gerieth seine Künstlerphantasie in den
Bann der eigenthümlichen Art und Weise, wie die Liturgie diese
rein christlichen Motive in eine ganz alttestamentliche Staffage rückt,
worin die Öde und das Halbdunkel und die prophetische Gebärde
herrscht, und die der jehovitische Geist mit seinem Pathos durch-
weht. Plötzlich erschienen vor seinem geistigen Auge in den Ge-
wölbezwickeln der Kapelle die erregten erhabenen Gestalten der
Seher, deren Prophetien in seinen Ohren nachklangen."
Spahn sucht nun weiter das Losringen der künstlerischen Idee
aus dem lyrisch-pathetischen Stimmungsuntergrund der Liturgie zu
verdeutlichen.
Zunächst die symbolische Bilderreihe: den Prophetenchor als
eine Stufenleiter von Symbolen des gotterleuchteten Schauens
(Typus Savonarola): die 5., 6., 7. und 12. Prophetie der Li-
turgie. Der Künstler wählt zunächst nur die vier grossen Pro-
pheten. „Er schied also den einzigen kleinen Propheten in der
Folge der Lektionen, Jonas, aus und ersetzte die schemenhafte
Erscheinung Baruchs durch die ihm nahestehende des Jeremias,
der zwar in den Propheten keine, in der Gesamtliturgie der hei-
ligen Worte durch seine Trauerklänge eine um so bedeutsamere
Stellung innehat. Dann fügte er den Vieren aus Raumrücksichten
noch Joel als Propheten des ersten Tages der Fastenzeit, als Pro-
pheten des Aschermittwochs hinzu.
„Voran stellte er einen sechsten Propheten, Zacharias. Die
christliche Kunst pflegte Zacharias von jeher einen Platz über dem
Eingang der Gotteshäuser einzuräumen, weil ein Vers seiner Schriften
von der Liturgie auf den Einzug in Jerusalem gedeutet wird."
Dann fügte Michelangelo die Sibyllen hinzu (die in der Liturgie
nicht erwähnt werden). „Er konnte kaum anders, als mit den
Propheten zugleich diese sich vorzustellen." Er zieht sie als
ästhetisches Werthelement heran, als Typen des metaphysischen sich
Versenkens in die Geheimnisse der Weltordnung."