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Thomae, Walter
Das Proportionenwesen in der Geschichte der gotischen Baukunst und die Frage der Triangulation — Heidelberger kunstgeschichtliche Abhandlungen, Band 13: Heidelberg: Verlag von Carl Winters Universitätsbuchhandlung, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.65298#0015
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Theoretisch-methodische Einleitung.
Proportionentheorien der Baukunst gibt es in größerer Zahl aus der Zeit
der Nlassik, d. h. der Antike und der antikisierenden Perioden, z. B. der Renais-
sance. Es gibt auch solche in geringerer Zahl aus der Zeit der Gotik, und die
Neuzeit hat beide Arten ergänzen zu müssen geglaubt. Das Hauptmerkmal
dieser Theorien ist immer gewesen, daß man in die schematischen Darstellungen
der Gebäude geometrische Figuren einzeichnete, als Bilder einer Gesetzlichkeit,
die dann meist im Text noch durch arithmetische Formeln erläutert werden.
Man verbindet Punkte von konstruktiver oder optischer Wichtigkeit durch gerade
Linien und erhält so die Figuren, welche ein abstraktes Gerüst bilden, eine
Darstellung des Wesentlichen der Form.
Unter diesen Figuren spielen die Rechtecke und die Dreiecke eine Hauptrolle,
und als Bonderformen wieder die strengen Arten: chuadrat und gleichseitiges
Dreieck. Die Rechtecke findet man in der Theorie der Nlassik herrschend, die
Dreiecke in der der Gotik. Zch halte es für nötig, mit einer Erklärung dieser
auffallenden Erscheinung zu beginnen. Sie ist nur möglich, wenn wir uns einen
Hauptunterschied zwischen Nlassik und Gotik klarmachen, nämlich die verschie-
dene Auffassung beider Richtungen vom Gleichgewicht zwischen Last und Nraft,
zwischen Beanspruchung und Widerstand im Baukörper, hieraus wird sich der
Sinn der geometrischen Gerüstfiguren unzweideutig ergeben.
Die Stilprinzipien der Nlassik lassen sich am Schema eines dorischen Tempels
am besten aufzeigen (Abb. 1). Dieses Gebäude besteht in seinem Nonstruktions-
kern aus zwei Hauptteilen, den Stützen und dem ,-
Gebälk, das den Raum zudeckt. Wan kann die
Stützen als Nraft, die Deckung als Last bezeich-
nen. Last und Nraft nehmen zwar im allge-
meinen stetig nach oben ab, aber die Auf-
lagerflächen über den Stützen stellen doch ziem-
lich scharfe Grenzen dar, als ob hier der tra-
gende Teil aufhörte und der getragene begönne.
Das Verhältnis zwischen Nraft und Last ist noch
wesentlich praktisch, d. h. die Stützen werden
so stark gemacht, daß sie die Decke tragen
können, bzw. umgekehrt: sie werden so stark
belastet, als man ihnen zumuten kann. So entsteht für die Wahrnehmung der
Eindruck des Gleichgewichts unter den Nräften innerhalb der Vaumassen, der
Geschlossenheit und Isolierung des Baus vom umgebenden Raume. Nur an
sekundärer Stelle, an den Palmetten der Gesimse und Akroterien, scheint ein
kleiner Nraftüberschusz in den oberen Raum auszustrahlen. Auch pyramidale
Eigenschaften, wie Verjüngung nach oben, Dachneigung usw. fehlen nicht, aber


Thomae, Proportionenwesen.

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