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I
2 Erstes Kapitel.
keit ihrer Gesetze, die bestimmte Folge von Ursache und Wirkung
zu erkennen, wonach jede That von der vorhergehenden abhängig
ist und ihrerseits wieder die nachfolgende beeinflusst. Sie halten
fest an der pythagoräischen Lehre von der den gesammten Kosmos
durchdringenden Ordnung. Sie behaupten mit Aristoteles, dass
die Natur nicht aus einer Anzahl unzusammenhängender Episoden
besteht, wie eine schlechte Tragödie. Sie stimmen mit Leibnitz in
dem überein, was er bezeichnet als „mein Axiom, dass die Natur
niemals sprungweise verfährt (la nature n’agit jamais par saut)“
sowie in seinem grossen, gewöhnlich wenig befolgten Grundsatz,
„dass nichts ohne seinen zureichenden Grund geschieht.“
Auch beim Studium des Baues und der Lebensweise der Pflan-
zen und Thiere, und selbst bei der Untersuchung der niederem
Functionen des Menschen erkennt man diese leitenden Ideen an.
Aber sobald wir uns zu den höheren Processen menschlichen Füh-
lens und Handelns, Denkens und Sprechens, seines Wissens und
seiner Kunst wenden, da tritt uns plötzlich ein völliger Umschlag
in den herrschenden Anschauungen entgegen. Die Welt ist im
Ganzen wol kaum darauf gerüstet, das allgemeine Studium des
menschlichen Lebens als einen Zweig der Naturwissenschaft gelten
zu lassen, und in vollem Sinne des Dichters Wunsch zu erfüllen,
„von Dingen der Moral ebenso wie von Dingen der Natur Rechen-
schaft zu geben.“ Für manchen gebildeten Menschen scheint
etwas Vermessenes und Abstossendes darin zu liegen, dass die
Geschichte der Menschheit ein wesentlicher Bestandtheil der Natur-
geschichte sein solle, dass unsere Gedanken, unser Wille und un-
sere Handlungen Gesetzen folgen, welche ebenso unerschütterlich
sind wie die, welche die Bewegung der Wellen, die Verbindung
von Säuren und Basen, und das Wachsthum von Pflanzen und
Thieren bestimmen.
Die Hauptgründe ittr diesen Zustand des allgemeinen Urtheils
sind nicht schwierig zu finden. Viele würden gern eine Wissen-
schaft der Geschichte annehmen, wenn man sie ihnen in einer
nach Grundsätzen und Beweisen handgreiflichen, bestimmten Form
böte, während sie mit Recht die ihnen bis jetzt vorgelegten Systeme
von der Hand weisen, weil sie zu weit hinter berechtigten wissen-
schaftlichen Anforderungen Zurückbleiben. Durch derartigen Wider-
stand bahnt wirkliches Wissen sich immer früher oder später seinen
Weg, während die Gewohnheit, sich dem Neuen zu verschliessen,
gegen die Uebergriffe eines speculati', en Dogmatismus so vor-
 
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