Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die CulturwiBsenschaft.

23

häufen von allerlei Thorheit sind, sind sie vielmehr in so hohem
Grade consequent und logisch, dass sie, sobald man sie wenn auch
nur flüchtig classificirt hat, die Grundgesetze ihrer Bildung und Ent-
wicklung erkennen lassen; und diese sind im Wesentlichen durch-
aus vernünftig, obgleich sie bei einem geistigen Zustande vollkom-
mener und eingewurzelter Unwissenheit wirken. In der Absicht,
eine Untersuchung anzustellen, welche die gültige Theologie unserer
eigenen Tage aufs Nächste berührt, habe ich mich ans Werk ge-
macht, bei den niederen Rassen die Entwicklung des Animismus,
d. i. der Lehre von den Seelen und den andern geistigen Wesen
im Allgemeinen, systematisch zu prüfen. Der zweite Band dieses
Werkes ist zum grössten Theil von einer Menge von Beispielen
aus allen Gegenden der Welt erfüllt, welche das Wesen und die
Bedeutung dieses wichtigen Bestandtheiles der Religionsphilosophie
erkennen lassen, und seine Uebertragung, Ausbreitung, Einschrän-
kung und Umgestaltung während des Ganges der Geschichte bis
mitten in unsere modernen Anschauungen hinein verfolgen. Auch
die Fragen sind von nicht geringer praktischer Bedeutung, welche bei
einem ähnlichen Versuch entstehen, die Entwicklung gewisser her-
vorragender Riten und Ceremonien zu verfolgen — von Gebräu-
chen, welche für die innersten Mächte der Religion, deren äusse-
rer Ausdruck und praktisches Ergebniss sie sind, so höchst lehr-
reich sind.
Da ich diese Untersuchungen jedoch mehr von einem ethno-
graphischen als von einem theologischen Gesichtspunkte behandelt
habe, so schien mir wenig Bedürfniss vorhanden zu sein auf direct
controverse Punkte einzugehen, welche ich daher so weit wie mög-
lich zu vermeiden gesucht habe. Der Zusammenhang, welcher in
der ganzen Religion von ihren rohesten Formen bis hinauf zu
einem aufgeklärten Christenthum besteht, lässt sich bequem, ohne
viel dogmatische Theologie zu berühren, behandeln. Die Opfer-
und Sühnungsgebräuche lassen sich auf ihren verschiedenen Ent-
wicklungsstufen, ohne auf Fragen betreffs ihrer Autorität und ihres
Werthes einzugeben, studiren, und ebensowenig verlangt eine Un-
tersuchung der auf einander folgenden Phasen des Glaubens an
ein zukünftiges Leben eine Discussion der Argumente, welche sich
zu unserer eigenen Ueberzeugung für denselben anführen lassen.
Solche ethnographische Resultate kann man dann Theologen von
Fach als Arbeitsmaterial überlassen, und es wird vielleicht nicht mehr
lange dauern, bis so inhaltschwere Lehren ihren rechtmässigen
 
Annotationen