Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
30

Zweites Kapitel.

Unter den Erzählungen aus dem Leben der Wilden finden wir
nicht selten einzelne von bewunderungswürdiger moralischer und
socialer Vortrefflichkeit. Lieut. Bruijn Kops und Mr. Wallace haben,
um ein gutes Beispiel zu nennen, bei den rohen Papuas durchgängig
eine Wahrheitsliebe, einen Rechtssinn und ein Wohlwollen gefunden,
wie man sie kaum ähnlich in dem allgemeinen sittlichen Leben
Persiens oder Indiens, geschweige denn manchen Gebietes des civi-
lisirten Europa suchen dürfte Solche Stämme können als die
„untadeligen Aethiopier“ der modernen Welt gelten und von ihnen
kann man eine wichtige Lehre entnehmen. Ethnographen, welche
in den heutigen Wilden die Urbilder der ehemaligen Menschheit
in ihrer Gesammtheit suchen, sehen sich durch derartige Beispiele
genöthigt, anzunehmen, dass das rohe Leben des Urmenschen un-
ter günstigen Bedingungen ein in seiner Weise gutes und glück-
liches gewesen ist. Trotzdem sind die Bilder, welche manche Rei-
sende von dem Leben der Wilden als einer Art von paradischem
Zustande entwerfen, meistens zu ausschliesslich von der Lichtseite
aufgenommen. Dieselben Papuas machten auf Europäer, welche
mit ihnen in ein feindliches Verhältniss geriethen, durch die bestia-
lische Verschlagenheit ihrer Angriffe einen solchen Eindruck, dass
man glauben sollte, sie hätten gar keine Gefühle wie civilisirte
Menschen. Unsere Polarforscher mögen wol von dem Fleisse,
der Ehrlichkkit und der muntern bedachtsamen Artigkeit der Es-
kimos mit wohlwollenden Worten sprechen; aber man muss be-
denken, dass dies rohe Volk sich Fremden gegenüber so günstig
wie möglich zeigt, während sein Charakter zur Bosheit uud Bruta-
lität neigt, sobald es nichts zu erwarten oder zu fürchten hat. Die
Cariben werden als heitere, bescheidene und gesittete Rasse be-
schrieben, und als so ehrlich, dass sie, wenn sie Etwas in ihrem
Hause vermissten, als ganz natürlich sagten: „Hier muss ein Christ
gewesen sein“. Doch die boshafte Grausamkeit, mit welcher dies
sonst achtbare Volk seine Kriegsgefangenen mit Messer und Feuer
und rothem Pfeffer peinigte und dann bei feierlichem Gelage briet
und frass, hat die Veranlassung gegeben, dass der Name Caribe
(Cannibale) in europäischen Sprachen Gattungsname für Menschen-
fresser geworden ist* 2). Wenn wir ferner Beschreibungen von der
Gastfreiheit, der Gutmüthigkeit, der Tapferkeit, dem tiefen reli-

b G. W. Earl, ,,Papuans“, p. 79; A. R. Wallace, „Eastern Archipelago“.
2) Rochefort, „Iles Antilles“, p. 400—480.
 
Annotationen