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Elftes Kapitel.

mit der Mangelhaftigkeit der Zeugnisse steht, auf die sich sowohl
die Bejahung wie die Verneinung gegründet haben. Wenn die
Ethnographen zur Erklärung der Civilisation nach einer Entwick-
lungstheorie suchen und die successiven Stufen als eine aus der
andern hervorgewachsen betrachten, so würden sie gewiss jeden
Bericht von Volksstämmen ohne alle Religion mit besonderem Inter-
esse aufnehmen. Hier, würden sie natürlich sagen, sind Menschen,
die keine Religion haben, weil ihre Vorfahren keine gehabt haben,
Menschen, die einen vorreligiösen Zustand unseres Geschlechts re-
präsentiren, aus dem sich im Laufe der Zeit religiöse Zustände
gebildet haben. Es scheint jedoch nicht rathsam, bei einer Unter-
suchung der Entwicklung der Religion von diesem Boden auszu-
gehen. Wenn auch die theoretische Nische fertig ist, so fehlt doch
die Statue, die sie ausfüllen soll. Der Fall hat eine gewisse
Aehnlichkeit mit der Erzählung von den Volksstämmen, welche
weder die Sprache noch den Gebrauch des Feuers kennen sollen;
in der Natur der Dinge liegt Nichts, was dies unmöglich machte,
aber handelt es sich um Thatsachen, so müssen wir sagen, bis
jetzt sind diese Stämme noch nicht gefunden. Ebenso kann die
Behauptung, dass wirklich rohe Stämme ohne Religion existiren,
obgleich sie theoretisch möglich und thatsächlich vielleicht wahr
ist, sich doch bis jetzt nicht auf genügende Beweise stützen, wie
wir sie für so ausnahmsweise Verhältnisse zu verlangen berech-
tigt sind.
Es ist gar nicht so ungewöhnlich, dass ein Schriftsteller, der
in allgemeinen Ausdrücken erklärt, bei dem und dem wilden Volke
fänden sich durchaus keine religiösen Erscheinungen, selbst den
Beweis liefert, dass seine Aeusserungen irre führen. So behauptet
Dr. Lang nicht nur, dass die Ureinwohner von Australien keine
Vorstellung von einer höchsten Gottheit, einem Schöpfer und
Richter, keinen Gegenstand der Anbetung, kein Idol, keinen Tempel,
kein Opfer haben, sondern „kurz, sie haben Nichts, was irgend
wie den Charakter der Religion oder religiöser Gebräuche hätte,
wodurch sie sich von den Thieren unterschieden“. Mehr als
ein Schriftsteller hat sich seither auf diese Aussage berufen, ohne
jedoch eine Reihe von Details zu beachten, denen man in dem-
selben Buche begegnet. Aus diesen geht hervor, dass eine den
Blattern ähnliche Krankheit, von der die Eingebornen biswei-
len befallen werde#, „dem Einflüsse Budyahs, eines bösen Gei-
stes, der seine Freude am Unglück hat“, zugeschrieben wird;
 
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