Animismus.
45
weit führte. Es ist nicht nöthig, hier die grosse Zahl mystischer
Einzelheiten zu wiederholen von der grausigen Reise der Seele
durch Höhlen und felsige Pfade und ermüdende Ebenen, über
steile und schlüpfrige Berge, auf gebrechlichen Fahrzeugen oder
schwindelnden Brücken über Meere und reissende Ströme, stets
sich verbergend vor dem grimmigen Angriff des Seelenvernichters
oder vor dem Gericht des strengen Wächters der anderen Welt.
Aber ehe wir die Geisterwelt beschreiben, welche das Ziel der
Reise der Seele ist, wollen wir erst die Beweise betrachten, auf
welche sich der Glaube an beide stützt. Die niederen Rassen be-
haupten, ihre Lehren vom zukünftigen Leben durch strenge Ueber-
lieferung, durch directe Offenbarung und sogar durch persönliche
Erfahrungen erhalten zu haben. Für sie ist das Land der Seelen
ein entdecktes Land, aus dessen Gebiet mancher Wanderer zu-
rückkehrt.
Unter den sagenhaften Besuchen in der Welt jenseit des Gra-
bes giebt es einige, die reine Mythe zu sein scheinen, ohne dass
die Personen eine Spur von historischer Realität besitzen. Od-
schibwäh, der eponymische Heros des nordamerikanischen Stammes
gleichen Namens, stieg auf einem seiner vielen Heldenzüge in die
unterirdische Welt der abgeschiedenen Geister und kam wieder-
auf die Erde zurück1)· Wenn man die Kamtschadalen fragte,
woher sie so genau wüssten, was nach dem Tode mit dem Men-
schen geschehe, so konnten sie mit ihrer Legende von Haetsch,
dem ersten Menschen, antworten. Er starb und ging hinab in die
Unterwelt, und nach einer langen Zeit kam er wieder herauf zu
seiner früheren Wohnung und dort stand er oben neben dem Rauch-
loch und sprach hinab zu seinen Verwandten, die im Hause waren,
und erzählte ihnen vom zukünftigen Leben; aber da verfolgten
ihn seine beiden Töchter, die er unten gelassen hatte, voll Erbit-
terung, und schlugen ihn so, dass er zum zweiten Male starb, und
jetzt ist er Häuptling in der Unterwelt und empfängt die Seelen
der verstorbenen Italmen, die dort von neuem aufleben2). So ist
auch in dem grossen finnischen Epos, Kalewala, eine grosse Epi-
sode der Besuch Wainamoinens im Lande der Todten. Um die
letzten Zauberworte für die Erbauung seines Bootes zu suchen,
reiste der Held mit schnellen Schritten Woche auf Woche durch
b Schoolcraft, ,,Algic Res.“, II, p. 32, 64, und vgl. vorher Bd. I, p. 312.
a) Steller, ,,Kamtschatka“, p. 271; Klemm, „C. G.a, II, p. 312.
45
weit führte. Es ist nicht nöthig, hier die grosse Zahl mystischer
Einzelheiten zu wiederholen von der grausigen Reise der Seele
durch Höhlen und felsige Pfade und ermüdende Ebenen, über
steile und schlüpfrige Berge, auf gebrechlichen Fahrzeugen oder
schwindelnden Brücken über Meere und reissende Ströme, stets
sich verbergend vor dem grimmigen Angriff des Seelenvernichters
oder vor dem Gericht des strengen Wächters der anderen Welt.
Aber ehe wir die Geisterwelt beschreiben, welche das Ziel der
Reise der Seele ist, wollen wir erst die Beweise betrachten, auf
welche sich der Glaube an beide stützt. Die niederen Rassen be-
haupten, ihre Lehren vom zukünftigen Leben durch strenge Ueber-
lieferung, durch directe Offenbarung und sogar durch persönliche
Erfahrungen erhalten zu haben. Für sie ist das Land der Seelen
ein entdecktes Land, aus dessen Gebiet mancher Wanderer zu-
rückkehrt.
Unter den sagenhaften Besuchen in der Welt jenseit des Gra-
bes giebt es einige, die reine Mythe zu sein scheinen, ohne dass
die Personen eine Spur von historischer Realität besitzen. Od-
schibwäh, der eponymische Heros des nordamerikanischen Stammes
gleichen Namens, stieg auf einem seiner vielen Heldenzüge in die
unterirdische Welt der abgeschiedenen Geister und kam wieder-
auf die Erde zurück1)· Wenn man die Kamtschadalen fragte,
woher sie so genau wüssten, was nach dem Tode mit dem Men-
schen geschehe, so konnten sie mit ihrer Legende von Haetsch,
dem ersten Menschen, antworten. Er starb und ging hinab in die
Unterwelt, und nach einer langen Zeit kam er wieder herauf zu
seiner früheren Wohnung und dort stand er oben neben dem Rauch-
loch und sprach hinab zu seinen Verwandten, die im Hause waren,
und erzählte ihnen vom zukünftigen Leben; aber da verfolgten
ihn seine beiden Töchter, die er unten gelassen hatte, voll Erbit-
terung, und schlugen ihn so, dass er zum zweiten Male starb, und
jetzt ist er Häuptling in der Unterwelt und empfängt die Seelen
der verstorbenen Italmen, die dort von neuem aufleben2). So ist
auch in dem grossen finnischen Epos, Kalewala, eine grosse Epi-
sode der Besuch Wainamoinens im Lande der Todten. Um die
letzten Zauberworte für die Erbauung seines Bootes zu suchen,
reiste der Held mit schnellen Schritten Woche auf Woche durch
b Schoolcraft, ,,Algic Res.“, II, p. 32, 64, und vgl. vorher Bd. I, p. 312.
a) Steller, ,,Kamtschatka“, p. 271; Klemm, „C. G.a, II, p. 312.