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Das 500jährige Jubiläum der Heidelberger Universität im Spiegel der Presse: Leipziger Tageblatt und Anzeiger — 1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.17427#0010

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4476


daß zwischea Delict und Urtheil lüngere Zsit vsrstrsicht; muß doch
jedem Angeklagten gestattet ssin, jeden ihm günstigen Umstand zu
seinen Gunsten zu benutzen. Aber die oben erwähnten Vorkommnisse
zeigen doch zur Evidenz, wie schwer es ist, auf dem Boden des ge-
meinen Rechts dem agitatorischsn Treiben der Socialdemokratie bei-
zukommen; gleichzeitig aber, wie nothwendig es ist, dieser Vartei
gegenüber, welche nur auf den Umsturz unserer Staats- und Gesell-
schaftsordnung abzielt, den staatlichen Gewalten außerordentliche
Bollmachten zu gewähren, wie sie eben das Socialistengesetz bietet,
um, wo es nöthig, dem agitatorischen Treiben dieser Partei die
Spitze bieten zu können.

* Zum Antrag von Hammerstein schreibt die
„Nationalliberale Correspondenz":

Die Dotationsforüerung bildet sich mehr und mehr zu dem Angel-
punct heraus, um den sich der Antrag Hammerstein dreht, auch
darf man wohl mit Recht annehmen, daß sich das „Maß" und „die
Reserven", unter denen Herr Windthorst vsrsprach, dem Antrag zu-
zustimmen, hauptsächüch nach der finanziellen Seite geltend machen
werden. Allzuviel ist aber in dieser Beziehung von den Ultramon-
tanen nicht zu erwarten, denn die Herren haben über den „Werth"
der verschiedencn Kirchen sehr eigenthümliche Ansichten, welche den
Erwartungen des Herrn Stöcker, falls es hcißt, Farbe zu bekennen,
äußerst wenig entsprechen dürsten. Einsn Vorgeschmack können „Kreuz-
zeitung" unv „Reichsbote" davon bckommen, wenn sie eine der
letzten Nummern des „Westfälischen Merkur" durchblättern, worin
unter Anderm zu lesen ist: „Der Staat hat keine Verpflichtung,
iür die gesammten kirchlichen Bedürfnisse auszukommen, und was er
für die evangslische Kirche leistet, geht weit über daß Maß seiner
rechtlichen Verpflichtungen hinaus. Die Sache verhält sich also
gerade umgekehrt, als wie Protestaniischerseits behauptei wird: Die
protestantische Kirche erhält mehr, als ihr rechtlich gebührt, die katho-
lische Kirche weniger". Besonders sreundschaftliche Gefühle klingen
aus diesen Zeilen nicht heraus, und sie sch-inen daran erinnern zu
wolle», daß schon andere Freundschaften, wie diejenige zwischen dem
Centrum und unseren Hochconservativen, über der leidigen Frage
des Mammon auseinandergegangen sind. Von besonderem Jnterefie
isi übrigeus, daß sich auch in den orthodoxen Kreisen mijerer
evangelischen Kirchs cine stärkere Strömung gegen den An-
trag Hamnierstein gsltend macht. Hierzu schreibt man
dcrMünchcner„AllgemeinenZcituiig": „Jnnerhalb des hannoverschen
LandesconsistoriumS sind die Ziele des Antrages Hamnierstein be»
reits in srüherer Zeit einer singehenden Erörteruiig unterzogen
worden; aber die Mehrzahl der Mitglieder des Consistoriums hat
sich nicht davon überzeugen künnen, daß solche Anträge das Wohl
der evangelischen Kirche wirklich fördern können. Darum war
vi. Düsterdieck auf der Synode zu Buer erschienen, um jeden
Zweisel an der Stellung des Consistoriums zu dem Antrage zu be-
seitigen; daß dieser Herr mit seincn Worten nur seinc eigene per-
sönliche Ansicht und nicht dis des Consistoriums ausgedrückt habe,
ist nicht anzunehmen. Das Beachtenswertheste an diesem Vorgange
ist aber, daß Herr Düsterdieck sich selbst zu der lutherischen Orthodoxis
rechnet, also zu derjenigen kirchlichen Partei, von weicher die Herren
von Hammerstein und von Kleist-Retzow bedingungslose Unterstützung
vorausgesetzt haben. Und der genannte Herr ist nicht der einzige
Anhänger der orthodoxen Richtung, der in der Durchführung des
Antrags Hammerstein ein Hei! für die evangelische Kirche nicht
erblicken kann. Man kann mit diesem Erfolge üer Agitation wohl
zufcisden sein; je rücksichtsloser sich diese geberdet, desto zahlreicher
werden die Stimmen aus dem orthodoxen Lager werden, die
sich gegen dcn Antrag erklären. Kürzlich drohte der „Reichsboie"
der preußischen Regierung, daß sic die Sympathieu der evangelischen
Bevölkerung in Preußen und im übrigen Deutschland verlieren werde,
wenn sie die Forderungen des Hammerstein'schen Antrags nicht
erfülle. Er bezog sich dabei aus zahlreiche au ihn gelangte Knnd-
gebungen aus SüLdeutschland, von denen indessen keine zur Veröffent-
lichung gelangt ist. Die Gegner des Hochkirchsnthums verinögen
dagegsn nuf eine sehr werthvolle Kundgebung aus Süddeutschland
hinzuweisen, die in der Schrist des Erlanger Professors Or. Kahl:
„Die Verschiedsnheit katholisther und evangelischer Anschauuiigen übcr
das Verhältniß von Staat, und Kirche" enthalten ist. Der besonderen
Beachtung der Herren Hammerstein und v. Kleist-Retzow sei
aus dieser Schrist der Satz empfohlen, daß die cvangelische Kirche
das durch ihr Wesen bcdingte Berhältniß zum Staate verleugnet,
wenn sie „Grund und Gelegenheitihrer SelbstständigkeitSbestrebungen
und damit unvsrsehens auch die Methode derselben den Resultaten
römischer Kirchenpolitik entnimmt". Diese Worte eines angesehenen
Kirchenrechtslehrers werden sicherlich mehr Beachtung finden, als
zahlceiche Resolutionen von orthodoxen Pastoren.

^ Bei den Ehrenpromolionen, welche in der Hei-
ligengeistkirche zu Heidelberg stattfanden, stnd in der
juristischen Facultät auch Rudolf v. Bennigsen und Land-
schaftsdirector Kiefer zu Ehrendoctoren ernannt worden.
Das Vennigsen ertheilts Diplom hat nach dem „Hannoverscheu
Courier" folgendcn Wortlaut: „Dem hochherzigen deulschen
Patrioten, welcher in der Zeit der tiefsten Abspannung den
Glauben an DeutschlandS Zukunft bewahrt uud im deutschen
Volke genährl und befestigt hat, welcher einen entscheidenden
Einfluß auf das Zustaudekommen der norddeutschen Berfassung
ausgeübt, und ebenso bei der Wiederherstellung des dentscken
Reichs im Rathe der Staatsmäuner wie im Parlaniente be-
deutsam mitgewirkt hat und in seinem ganzen Lffentlichcn
Leben lleberzeugungstreue mit staatsmännischem Blick und
weifer Mäßigung verbunden hat."

* Aus Gera, 6. August, wird unS geschrieken: „Jn der
hsutigen Sitzung des Landtages für das Fürstenthum
Reuß j. Linie, zu welcker sämmtlichs Abgeorvnete und die
Herren Staatsminister von Bsulwitz. Geh. Staatsrath
Dr. Vollert nnd Staatsrath Engelbardt erschienen waren,
Irat die Versammlung sofort in die Tagesordnung ein. Die
für den Bau eines Londtagsgebäudes bewilligte Summe
von 70,740 ist um 13,850.40 übsrschritten, diese
wurden bswilligt, desgleicheu auch die Nachforderuug von
27,000 ^ sür den Neubau deS fürstlichen Gyninasiums,
welches bereits 196,600 ^ gekostet hat. Der Antiag des
Abgevrdneten vr. Zäger und Genoffen, „daß die zur Aus-
führung deS mit der kvniglichen sächsischen Regierung wegeu
Herstellung und Betriebs der Secundärbahnen Schöu-
bsrg-Hirschberg und Göttengrün-Lobenstein ge-
troffenen, den sächsischen Kanimern niit Decret vom 26. Febriiar
d. I. vorgelegten und vou ihncn bereits im März d. Z.
genehmigten Üebereinkoinmens uöthige Vorlage dem Land-
lage behufs Bsschlußfassung eheniöglichst zu machen sei",
wurde nach einem eingehendeu Berichte über den gegcn-
wärtigen Stand der Angelegenheit seitens des Herrn Staats-
ministers v. Beulwitz und einer längeren Debatte angenom-
men. Die eiugegangeneu Änterpellationcn wurden von den
Hsrren Staatsminister v. Beulwitz und Geh. Staatsrath
vr. Vollert beantwortet. Betreffs der von dem srüheren
Amtsrichter Richter unterschlagenen Summe von 9437
schwebt ein Proceß, über dessen Ausgang zur Zeit nocb keine
weiteren Mittheilungen gemacht werden können. Hierauf
sprach im Namen Sr. Durchlaucht des Fürsten Herr StaatS-
minister v. Beulwitz die Bertagung des Landtages aus.
Der Herr Präsident dankte den Abgeordncten für ihre Mühe-
waltungen und fchloß die Sitzung mit einem Hoch auf den
Landesherrn Heinrich XIV."

-n

» ü-

* Gelegentlich der Jubiläumsfeier in Heidelberg
erinnert die „Ostdeutsche Presse" daran, daß unter den Depu-
tationeu, die Lort zur BeglUckwüuschung eiugelroffsii siud,
sich auch eine solche Ler Üuiversität Dorpat befiude,
jener Pflanzstätte deutscher Wissenschast und beutscher Bil-
duug, deren Vernichtung jetzt von dem natioiialcn Nussen-
thuni geplnnt wirv. Der trefflich geschriebene Artikel des
genannten Blattes betont, wie die Univsrsität Dorpat, welche
neben ihrer wissenschastlichen Bedeutung zugleich ein Fermeiit
sür deutsches Gcfiihlsleben und deutsche Sitte in den Ostsce-
prvvinzen bildet, den Russisicatorcn ganz besonders eiu Dorn
im Auge sei, und wie man zu den unredlichsten Mitteln
greift, um den Untergang Dorpats herbeizuführsn. Neuer-
dings sucht man nun Wcsen und Einrichtung dcr Univcrsität
alS staatsgesährlich zu kennzeichuen, indem man die Dorpater
studentischen Corporationen in eine Reihe mit dcu „nihilisti-
schen Gesellschaften stellt und von einem „weitverzweigten
pclitischen socialcn Bund" fabelt. Ueber das wahre Wesen
und die Jnstitutionen Dorpats entnehmen wir aber dem
vbigen Artikel folgende intereffante Ausführungcn:

„Unbestritten nimmt Dorpat vor allen anderen
russischen Universitäten den srsten wissenschaftlichen
Rang ein. Der iu Dorpat gebildete Arzt ist in ganz Rnßland

gesucht, und wo cr sich niederläßt, wird cr von den Russen selbst
dem russischen Arzt vorgezogen. Der Philologe aus Dorpat stcht
in Rußland in hohem Ansehen; die Juristen uiid die evaiigelischen
Theologen sind meist nur aus ihre engere Heimath (in den -Ostsee-
provinzen herrscht anderes Recht als im übrigsn Rußland), resp, die
Thsologen auf die evangelischs Diaspora in Rußland beschränki. Die
Einrichtung der Universität Dorpat ist nicht mit dem Zwange umgeben
wie die der übrigen russischen Universitäten mit ihrer Eintheilung der
Stndenten in Lehrcurse, soiidern ähnüch den deutschen Universitäten. Ja,
viele Zustände und akademische Privilegien, die sich dort crhalten haben,
erinnern noch an die Verhältnisse an den deutschen Universitäten am
Ansgang des vorigcn odsr Anfang dieses Jahrhunderts. Dazu ge-
hören insbesondsre die wsitgehenden Nechte der akademischen Corpo»
rationsn (Landsmannschaften und Corps), dis ähnüch wie in Deutsch-
land Bänder und Farben tragen, abcr viel strafser organisirt sind,
cinen sesten Znsammenhang sürs ganze Leben schaffen und eine großs
Discipünargewalt nicht nur gegen ihre studentischen Mitglieder (es
kann z. B. Jemand allein durch Beschluß der ganzen Studenten-
schaft von dsr Universität rcligirt werdeu), sondern auch gegen ihre
alten „Phiüster" ausüben, so daß ein ganz sestcs Band alle ehe-
maügen Mitgüeder solcher Corporaüoncn, selbst wenn sis längst in
einer Civilstellung sind, zusammenhält. Es ist z. B. vorgekominen,
daß Jemand aus eincr Corporation aus zshn Jahre „in Verrus"
gethan wurde und an dem Orte, an wslchem cr nach ssiner Abiol-
virung seiner Studicn alS Gymuasiallehrer wirken mußte, keinen
früheren Dorpatenser, selbst nicht aus der Reihe seiner Collegen fand,
der mit ihm hätte verkehren wollen, weil ein.gcwisses Band der
Discipün alle verbindet. Offenbar sind das nach unseren modernen
Begriffen etwas überlebts und veraltete Znstände. Doch kann nicht
geleugnet wsrdcn, daß jenes disciplinirte Zusammenhalten aller ehe-
maügen Dorpatenser, das wie eine Art geistiger Repubük sich in
den Ostsccprovinzen fühlbar macht, viel dazu beigetragen hat, um
das deutsche Selbstbewußtsein, die deutsche Eigenart und das dentiche
Provinzialgefühl in jenen Kreisen rege zu erhalten, ähnlich wie
manche andere oeraltet scheinende Jnstitutionen der Ostseeprovinzen,
das Selfgovernment des deutschen Adels, die Gerichtsbarkeit der
Magistrate, das zismlich veraltete Rechtswesen u. s. w. sich bisher
als ein Schutz für die deutsche Eigenart erwiesen, und ohne die
jener deutsche Vvlksspütter längst in dem großen Meere des Pan-
russenthums versunke» wiir!'."

* Die in den Pariser Blättern veröffentlichtcn Heidel-
berger Festberichts sprechen sich über den Verlauf Ler
Feierlichkeilen durchweg sehr anerkennend aus, nicht minder
auck über die Erfahrungen, welchs sie von ihrem spccisisch
französischen Standpuncts aus machen. Um aus vielen nur
ein Beispiel herauszugreifeu, so lescn wir in einem vom
Dienstcig, den 3. V. M., datirten Heidelberger Briese der
„Repnblique Frantzaise": „Bis zum heutigen Morgcn habe
ich nichts bemerkt, was einen Franzosen zum Bewußt-
sein bringen könnte, daß cr bei seinen Gegnern von
1870 weilt. Allerdings ist cs wahr, daß, währsnd
die Fahnen der verschicdenen Nationen sich aus Anlaß
des Festes mit Ven badischen Farben und den deutschen
Rsichsfarben gatten, das sranzösische Banner durch seine
Abwesenheit glänzt. Wenigstens habe ich es nicht zu erbficken
vermocht und war anch nicht übermäßig bemüht, cs zu f«iüen.
Was den geschichtlichen Aufzug betrifft, der am Frcikag stakt-
finden soll und in welchem eine Gruppe die Erstehmlg des
neuen Reiches darstellcn wird, so scheint mir, nach vem mir
vorliegenden Album, welches einen vorläufigcn Begriff davon
vermittelt, zu urtheilen, daß man Alles vermieven hat, was
Herrn Mcixime vu Camp nnd seinen Collegen (die beiden
französischcn Bertreter. Anm. d. Red.) peinlich berühren
kvnnle." — Mittlsrweile wird man jenseils der Vogeseu wohl
auch crfahren haben, welch ausgezeichneter Aufnahme sich die
vom Auslande entsandten Verlreter im Allgemeinen und die
Vertreker der Pariser Hochschule insbesondere in Heidelberg
erfrcuten.

^ Die amtliche Zeitung in Madriv bringt die Mit-
theilung, daß die Königin-Regentin das Entlassungsgcsuch
Camnchos angenommsn nnd Puigcerver zum Finanz-
minister ernannt habs. Der Person des scheidenden
Ministers, welcher es vsrstand, währcnv seiner kurzen Ber-
wciltung dic öffentliche Schulv von 500 Miliivnen anf 230
Millisnen Pes. zurückzliführen, folgt die allgemeine Achtung
uns Anerkennung von Frcund und Gegner in daS Privat-
leben; ein unter den obwaltenden llmständen vielleicht allzu
starres Festhalten an dem, was er für recht erkannt hatte,
hat neben der von Parteirücksichten eingegebenen Unentschlvssen-
heit Sagastas seinen Slurz herbeigesührl. Schon die Wahl
deS Nachfolgers abcr zeigt, daß mit Camacho nicht auch seine
Plane sallen werden; Puigcerver war bishsr Vorsitzender
des Budgetciusschusscs und hatte als solcher nicht nur Geiegen-
heit, die Wichtigkeit der Neuerungen seines Amtsvorgängers
schätzen zu lernen, sondern ist selbst in Ler Kammer zu wicder-
holten Malen für dieselben in die Schranken getreten, und
wenn Puigcerver auch gezwungen sein wird, in dem einen
oder Lem andern Puncte naÄzugeben, so bedeutet doch im
Großen und Ganzen der Personenwechsel keinen System-
wechsel in Ler Finanzpolitik der Regierung.

* Wie aus Tanger berichtet wird, hat der dort residirsnds
marokkanische Minister des Auswärtigen, Mohamev
Bargasch, das dortige diplvmatiscbe Corps benachrichtigt, daß
Sullan Sidi Mnlah Hassan, der ansangS Mai vcn' seiner
zweiten Nesidenz Marokko ausgerückt war, um den Rebellen
Sivi Ben Haschen zu züchtigen, die Truppen desselben gänzlich
auss Haupt geschlagen und etwa 1200 Gefangen- c>emacht
habe. Der Sultan ist jetzt mit dcr Pacisicirung vei Provinz
Draa beschäsligt.

* Aus Palmer's Schiffsbauwerft in Jarrow-on-Tyne lief,
wis aus London gemeldet wird, am 3. August in Anwescn-
heit einer nach Tausenven zählenden Zuschauermenge der sür
die englische Marine nen erbaute Kreuzer „Orlando"
glücklch vom Slapel. Der „Orlando" ist das erste Schiff einer
ueuen mit einem Panzer versehenen Kreuzerclasse, von der die
engllsche Avmiralität jstzt sieben Schiffe bciuen iäßt. Diese
Schiffe werven an Scbnelligkeit alle übrigen Fahrzenge der eng-
lischen Marine iibertreffen und nebenbei eiue bedentenv schwerere
Armirung als dis vordanvenen Kreuzer erhalten. Die Schiffe
der „Orlando"-Classe sind in der Wasserlinie mit einem Panzer-
gürtel versehen und werden in Folge vessen gepanzerte Kreuzer
benannt. Bei einem Deplacement von 5000 Tons hat der
„Orlandv" solgende Dinieiisionen: Länge zwischen den Per-
pendikeln 300 Fuß, größte Breike 56 Fuß, Naumtiefe 37 Fuß
und mittlerer Tiefgang 21 Fuß englisch. Die Schnelligkeit
wird auf 19 Knoten geschätzt. Der zehnzöllige Panzergürtel
hat eine Länge von 200 Fuß, beginnt l'/s Fuß Lber der
Wasserlinie und e»det 4 Fuß unterhalb derselben. Die
Armirung ist äußerst krästig unv besteht auS zwei 22-Tons-
Geschützen, 10 sechszölligen 5-Tons-Geschützen, 6 sechSpsündigen
nnv 10 breipfünvigen Hotchkiß-Rsvolverkanvnen und zahlreichen
Lanvungsgeschützen. Die beiden 22-Tons-Geschütze sind auf dem
Oberdeck placirt, das eine vorn unv das nudere achtcr in der
Mittellinie; sie kvnnsn je einen Bogen von 240 Grad bestreicken.
Unter dsn 1t Booten Les „Orlando" befindet sich ein 30 Fuß
langer Dampfkutter und eine 37 Fuß lange Dampfpinasse.
Der Besatzungsetat beträgt 420 Mann. Der Rumpf des
Kreuzers ist aus Siemens-Martiu-Stahl gebant unv in mehr
als hundert wasserdichte Abtheilungen eingetheilt. Ein
innerer Bvden erstreckt sich durch dis ganzs Länge Ler
Maschinen- und Kesselräume nnv der Raum zwischen dem
inneren nnd äußeren Boden ist in Abtheilungcn in Form
von Wassenballasttanks eingetheilt. Der „Orlando", ein
Zwillingsschraubenschiff, besitzk zwei gctrennte Maschinen, die
iiack Lem Triplc-Expansionssystem gebant siud und 9000
Pserdestärken indiciren sollen. Man erwartet von diesen
lräftigen Maschinen, daß sie dem Schiffe, wie bcreits oben er-
wnhnt, eine Geschwindigkeit von 19 Knoten verleihen werdsn,

Das dritte Heft der Nachrichten über Kaiser
Withetms-Land nnd den Bismarck-Archipel, welches
von der Nen-Guinea-Compagnie zu Berlin heraus-
gegebsn wird, enthält unter anderen auf die Geschichte der
Colonie und ihre Verwaltnng bezüglichen Daten auck cinc
Mittbeilung, welche um so interessanter ist, als sie frühere
Vorurtheile widerlegt. Früher war beständig über die Träg-
heit und Unzuverlässigkeit der Eingeborenen und Malayen

gskiagt wordcn, und es schien, alS ob das Problem, die Ein-
geborencn zur Arbeit heranzuzichcn, sich ebenso schwierig in
der Ausführnng erweisen würde, als in den asrikanischen
Colonien. Jn diefem Berichts wird jedoch Ler Freude darüber
Ausdruck gsgeben, daß Diejenigen, welche um den Finsch-
hafen, wo bekanntlich seit dem 10. Juni der Landeshaupt-
mann Admiral Freiherr v. Schleinitz weilt, wohnen, sich
Dank einer geeigiictcn Bshandlung entweder zn brauch-
baren Arbeitern herangebildet haben oder doch mehr und
mehr zur Arbeit bequemcn. Sie arbeiten nur accordweise und
erhalten für eine Arbeit von IV- biS 2 Tagen ein Stück Ici
(Bandeisen). Hauptsächlich werden sie zum Umhacken von
Ackerland, Bauinfällen, Sleinetragen u. s. w. gebraucht. Sie
stellen sich nicht ungeschickt an und verstehen die Axt, wLlco.s8i,
recht gut zu handhabsn. Jm Accord sind sis sehr flsißig,
arbeiten von srüh his Nachmittags 4 Uhr, um welche Zeit
sie ihre Hanptmahlzeit einzunehmen scheinen. Leider ist ihre
Arbeit keine beständige; sie arbeiten, wenn sie gerade ein
Stück ki haben wollsn, und setzen dann wieder 8—14 Tage
aus. Dic Kunde von unserem Iri-Reichlhum hat sich, 'so
schreibt der Berichterstatter, hier längs der Küsts und nach
dem Jnnern schnell verbreitet u'nd melden sich bereitS viele
Fremde, um ein Stückchen dieses edlen Metalles zu verdienen.
Mit dem lei scheincn nnsere nsuen Landslsute einen ausgedehnten
Handei zu trsiben, und zwar tanschen sie dafür die sür sis so
ungemein werthvollen ineinandergsbogenen Schweinezähne ein,
mit Venen sie wiederum bei uns bessere Gsschäfte zu machen
hoffen. Allmälig scheint eS, als ob die Ici-Periode ihrem Ende
nahe; werthvolier sind ihnen jetzt Tascheutüchsr (obo) undPerlen
(Icslrllm), die letzteren wohl deshalb, damit sis sich leichter in
die Gimst ihrer Schönen setzen können. Lebensmittel tauschen
wir nicht von ihnen ein, weil sie deren nur ungemein wenig
haben, und dieselben auch fllr den Europäer nicht gut genieß-
bar sind. Es kämen höchstens Äams, Taro, Bananen uno
Cocosnüsse in Betracht, wovon die letzleren allerdings eins
angcnehme Speise bilden. Jm Allgemeinsn sind unsere nächsten
Nachbarn jetzt recht zntraulich geworden. Gute Handclsleute
sind sie, wenn sis nur mehr zu handeln hälten. Eine Lieb-
lingsspeise von ihnen bilden die langschwänzigen Ratten, sie
bezahlsn Pro Stück 4 CocoSnüsse; glücklicherweise haben wir
bis jetzt nnr aus den Schiffen dieses Ungeziefer.

* Am 4. August ist zu New-Nork Herr Samuel
J^oues Tildcn, ber wohlbekannte Führer der vcmokratischen
Partei, gsstorben. Derselbe war im Jahre 1876 der demo-
kratische CaiMöat sür die Präsidentschaft, wurde aber bei der
schließlichM^Zählung mit ciner Majorität von einer Stimme
durch tzFii'rePüblikanischen CanLivaten Herrn Hayes geschlagen.
Herr ^Tildcn befand sich in ssinem 72. Lebensjahre.

DüS Iubilamn in Heidelberg.

VII.

* Ueber den weiteren Verlanf der Heidelberger Uni-
versitätsfeier liegen die folgenden Meloungen vor:

* Heidclberq, 6. August. Der von dem Maler Karl Hoff,
Professor an der Kuiistschule zu Karlsruhs, cntworfene und unter
seiner persönüchen Leitung znr Aussührung gebrachte historische
Festzng, welcher die seit der Grünüuiig der Universität verflossenen
5 Jahrhunderts zur Darsiellung brachle, ist programmmäßig ver-
lauscn. An demielben nahmen über 900 Personen mit 300
Pferden und 14 Prachtwagcn Theil. Durch seine bis in die
geringsten Einzelheiten durchgeführte historische Treue in den
Trachten, Geräthschafien und allsn übrigcn Beziehungen, sowis
auch durch dis Farbenpracht und den Reichihum der verwen-
delen Stoffe machte der Zug auf sämmtliche Zuschauer einen
unvergeßlichen Eindruck. Die volle Entwickelung des Zuges dauerte
V« Stunden. Se. königl. Hoheit der Großherzog hatte nebst Famiüe
mid Gejolge, dem Prorector und den Decanen der vier Facultäten
anf einem nahe am Ausgangspuiicte des Zuges errichteten Pcwilloii
Platz geuommeii, so daß der Zug den Pavillon zweinial passlrte.
Die Delegirten uud die Ehrengäste der Uiiiversiiät sahcn von einer
»eben dem Pavillon aufgeschlagenen Tribüne zu. Der Großherzog
von Hessen hatte incognito an eineni Fenster des Hotel „Darmstädter
Hos" Platz genommen. Die Straßen der Staüt, durch welche sich
der Zng bewegte, waren von einer Kopf an Kopf gedränglen Menschen-
menge angefüllt. Die Orduuilg wnrde nirgends gestört.

* Heidelberg, 6. August. (Post.) Um 10 Uhr passirten
d!e berittenen Vertreter der gegenwärtigen Studentenschast Heidel-
bergs uiiter Vorantritt eines berittenen Dragoner - Musikcorps mid
der Saxo-Borusscii den großherzoglichen Pavillon und danüt endete
nach halbstüudiger Dauer, vom prächtigsten Wetter begünstigt, der
herrliche Festzug, der seit Monaten unter der Leitung des
Proseffors Hoff Tausende von Händen und Köpfen beschäftigt hatte.
Bald nach 9 Uhr erfolgte die Anfahrt des großherzoglichen Paares
unter dem donnernden Jubel einer vieltauseiidkövfigcn Menge, zu
welcher zahlreiche, heute srüh eingetroffene Züge noch ein uiiberecheu-
bar starkes Coiüingent gestellt hatten. Heidelberg glcicht einem un-
geheuren Füdlager, in wclcheni die Straßen a!s Lagerplätzs dieuen und
Ieder sicü selbst verproviantiren muß. Für Heidelberg und Uni-
gegend ist der heutige Tag der Hauptfesttag und das herrliche
Wetter gab dsm Auszuge die herrlichste Folie. Ncunhundert Per-
sonen, darnnter drsihundert zu Pfcrds, hatten sich zu dem Zuge
vereinigt, deffen Theilnehmcr nach strenger Anordnung nirgends aus
ihrer historischen Rolle fielen. sondern dieselbe mit feisrlichein Ernste
bis zu Ende durchführten. Um in den engen Straßen das Schen-
werden der Pferde zn verhüten, gingen Dragoner, deren Uinform
allerdings seltsam mit den echtcn Costümcii des Mittclalters und der
Renaissance contrastirten, besonders neben den Damenpserdeu, deren
Zahl vieizig betrug, einher. Der Zng gliedcrle sich in zehn große
Grupven, dersn jcder ein Mnsikcorps, welches anf Jnstrumenten der
betreffenden Epoche im Geiste dersclbcn gehaltens Märsche blies,
voranschriti oder vorausritt. Jn der crsten Gruppe, der Gründung
der Universiiät durch Ruprccht, fielen die gepanzerten Ritter mit
Topshelnien und Kesselhanben mid die Gestalt dcs Knrfürsten auf,
dcr nüt der Kurfürstin unier eiiienr Baldachin ritt. Dis Universität
fnhr auf einem hohsn Wagen unter gothischem Thronhiinmel.
Das zweite Bild, der Einzug Friedrich's des Siegreichen nach
der Schlacht von Seckenheim, war ein rein kricgerisches: eisen-
gepanzerte Lanzenritier und die ebenfalls gewappneie Heldeugestalt
des Kurfürsten, mit dem Lorbeerkranze auf dem Hauptc, umjubelt
von den dankbaren Bürgern. Einen friedlichen Contrast dazu bot
die driite Gruppe, das goldens Zeitalter Heidelbergs unter Otto
Heinrich, der nüt der Pfalzgräsin Susanna an der Spitze des Zuges
ritt, dessen Glanzpuncte der Universitätswagcn nüt Profcsior Mi-
cyllus und der Banwagen mit den Werklenten des Heidelberger
Schlosses bildetcn. Das nächste Bild war eine sehr lebendige, zum
Theil hunioristisch gehaltene Schilderuiig des Volkslebeus der fröh-
lichen Pfalz. Der Adelslaube, unter welcher stolze Edelleute und
schöne Frauen ritten, folgte der Prachtwagen der hinter einem Löwen
throuenden Palatia, dann der Wagen des Bacchus und der Ceres,
nmgeben von Winzerinnen, Silen und seinem Gefolge und den
phantastischen Höllcngeistern des Weins, dann der Palankin der
ganz in rosa Gewänder gekleideten, blonden Venus, die selbst-
verständlich den Gegenstand kritischer Bewunderung bildete, und
zum Sckluß der Wagen mit dem Heidelberger Faß. Jn der
sünften Gruppe, dem Einzug des Kurfürsten Friedrich's V. und seiner
Gcmahün Elisabeth, kesfelte besonders die vornehme Pracht der
engüschen Reiiaissance-Costüme, die von den berittenen Herrcn und
Hoffräulein und den Edeldameu in den beiden Staats-Carossen gar
stattlich zur Schau getragen wurde. Ein Ritter in schwarzer Eiscn-
rüstung symboüsirte die unheilvolle Zeit des 30jährigen Krieges,
dem das sechste Bild galt. Die folgende Gruppe schilderte die Lieb-
lingsneigung des jagdfrohen Kurfürsten Karl Phiüpp dnrch eineii
glänzenden Jagdzug, in welchem auch Zwerg Perkeo nütschcitt. Es
solgte die Zeit Karl Thcodor's mid dann die Wiederherstellung der
Universität durch Karl Friedrich von Baden, welche durch eiiien
Triumphwagen mit einem von den Genien der Wissenschast
umgebenen Obeüsken versinnlicht wurde. Den Schlnß der un-
gemein farbenreichen, üurch die streng historische Echtheit der
Costüme und den Geschmack dcs küiistlerischen Arrangeinenls impo-
nirenden Festzuges büdete dic Studeiüeiischaft des 19, JabrhundertS,
von den ältesten Burschenschaftern und Lützower Jägern bis auf die
Corps Saxo-Borujsia, Suevia, Guestphalia, Vandaüa und Rhenaiüa,
hinter welchcn ein Herold das Banner des neuen deutschcn Reiches
trug. Der Zug bewegte sich zweinia! durch die ganze Länge der
Stadt in einem Zeitraume von etwa drei Stunden. Unter dcn
Ehrengästen auf der Tribüne befand sich auch Staatsnüiüster
Or. Lucius. Von einem Balcon des „Darmstädter Hvfes" wohnte dcr
Großherzog von Hesjen mit zwei Töchtern dem Festzuge bei.
Minister lir, Lucius wurde vom Großherzoge in den Pavillon ge-
laden, wo sich auch Minister v. Goßler befand und wo in der Pause
ein Dejeuncr eingenommen wurde. Der Großherzog und die Groß-
herzogin blieben bis halb zwöls Uhr im Pavillon und zeichneten die

preußischen Minister und General von Obernitz durch längere Unler-
haltnng aus. Der Kronprinz hat noch gestern dem Großherzoge
sein Bedauern aussprechen lassen, daß er dem Festzuge nicht bei-
wohnen konnte. __

MitLheilungerr überObst- rmdGartenHau.

Herausgegeben vom Landes-Obstbau-Verein.

Gartenbau-Kalender für Augnst.

(Nachdruck verboten.)

Zn säen sind auf abgeleerte Beete in der ersten Hälfte des
Monats: Spinat (sehr dünn), Rabinschen (ebenfalls nicht zu dicht,
und nur obenaus gestreut und nicht eingeharkt), Wintersalat, Peter-
siüe (für den Winterbedars); ebenso ist Kohl möglichst zeitig zu
pflanzen. Sellerie tst alle Wochen mit Jauche, auch der aus
Aborten, zu düngen und von allen niederfallenden und sich schützen-
den Bläitern zu besreien. Die Jauche gieße man nur bei trüber
Witterung, und so, daß dic Pflanze selbst nicht wesentlich davon
getroffen wird. Die Zwiebeln sind, wenn die Blätter anfangen
zu welken, hcrausznnchmen und zum Nachtrocknen an cinein
luftigsn Orte auszubreiten. Perlzwiebeln können in den drei
Moiiaten Augnst bis October, 3 bis 5 Zoll von einander entferiü,
wieder gesteckt werden. Alle pecennirenden Gewürzkrüutcr können
jetzt dnrch Wurzeltheilung vermehrt werden, z. B. Thymian, Melisse,
alls Minzearten. Der Gemüsesamen ist nicht auf einmal, sondern
nur nach und nach, sowie er rsift, zn ernten; das Nachreisen aii
ausgcriffenen Stöcken ist immer mißüch, weil es nnvollstündig reisen
Samen liefert und man später mit solchen nur Zeit und Platz
verschwendet; geerntct kann er jetzt werden von Blumenkohl,
Möhren, Pfefferkraut, Kohlrabi, Nadies, Petersilie, Rettig, Scllerle.
Da die Erdbcerbeete alle 4 oder 5 Jahre crtraglos werden, sind
sie in diesem Monate, und zwar möglichst zeitig, neu anzulegen;
man wähle andere Beete dazu, als die bisherigen, grabe das Land
ties und dünge es stark; nach dem Einsetzen der jnngen Pflanzen
gieße man sie reichlich an. Die vorhandenen, noch crtrag-
reichen Erdbcerstöcke sind gut abzuranken, rcichlich mit (der für sie
sehr wirkscimen) Abortsjauche zu düngen; jeder Stock muß einzeln
gehalten werden; gegen Ende des Monats sind die Blüttcr bis
IVg Zoll über der Erde abzuschneiden. Dieses Abschneiden hat, wic
ein Mitglied des Freiberger Ausschusses durch Vergleichs mit nicht
abgeschnütenen Erdbeerstränchern gefunden, im nächsten Jahre en!-
schieden reicheren Ertrag zirr Folge. — Was ältere Spargelbeets
betrifft, so erreicht inan eine tressliche Verjüngung derselben durch
ein Verfahren, welches uns Hcrr Kunstgärtner Pietzner in Freiberg
mittheilts. Derselbe hat mehrsach sehr alte (bis 18 Jahre alte)
Spargelstöcke nach dem Abtragen im August bis tief an den
Wurzelhals von der Erde entblößt, dort eine Schicht kurzen
Dünger aufgelegt und nachher ganz reichüch, so viel als das Loch
nur sasssn kann, mit flüssiger Abortsjauche gedüngt; nach dem
Verlausen der Flüssigkeit hat er gute Composterde hineingestrcut.
Jm nächsten Frühjahr hat er von solchen verjüngten Stöcksn
den reichsten Ertrag erzielt, wie von den besten jnngen Stöckcn.
Es empfiehlt sich auch, um die Spargelzehen reichüch Knochenmehl
zu streuen, was eine sehr lange nachhaltige Düngung Üesert. — Jnr
Uebrigen sind alle Gemüse- und Blumenbeete, soweit cs noch mög-
lich, fleißig zu behacken; ebenso, wenn nöthig, zu begießen (auch mit
flüssigem Dünger) und zu jäten; das letztere wolle man ja auch auf
die Zwischenwege mit erstrecken. An allen Kolügewächsen sind dis
Raupen und Schmetterlingseier noch immer fleißig zu vertilgen. —
Die meisten ini Frühling blühenden Percnnen sind jctzt durch Wurzel-
theilung zu vermebren, z. B. Aurikei, Primel, Maiblümchen, Veüchen,
Gentiaiien, Aklei, Pechnelken, Federnelken, Schwsrtülien, Tausendschöii,
Päonien ; cbenso kann man jetzt Blumenzwiebeln von Liüen, Kaiser-
kronen,Traubenhyacinthendiirch AbnehmenderBrutzwiebelnvermehren,
möge aber alle diese Zwiebsln schnell wieder in die Erde bringen;
srühblühende Stauden, wie Primel, Nieswurz (llsllsborus), Gedenke-
mein (Omxüaloäss vsrmr) u. a„ die man zum Zimmerflor benutzen
will, Pflanze man zeitig in Töpfe; denn je beffer sie anwachsen, dcsto
schöner blühen sie. Dies gilt auch von Lack und Winterlevkoy.
Auch können jetzt alle Perennen durch Stecklinge vermchrt werden.
Georginen sind fleißig anzubinden, reichlich zu begießen und von
allen abgeblühten Blumen zu befreien; die ihnen besonders nach-
stellendeii Ohrwürmer fangen sich leicht in einer aus die Stütze
der Staudm gestülpten Blechbüchse, Ninds- oder Schasklaue oder
Thongesäßen, in die man inwendig etwas Papier oder Moos
gesteckt bat, ohne solches laffen sie sich bei dem ersten Anrühren
des Gesäßes sosori herabfallen; man cntleere die Büchse über
heißes Wasser oder trete die Würmer todt. Da die jetzige Art des
Haushaltes solche Büchsen in Masje liesert, werfe man sie nicht
nutzlos weg, sondern benutzs sie auch für die Roseu, wo sie die
gleichen Dienste leisten. Die letztcren find jetzt aufs schlafendc Auge
zu okuiiren. Nicht blühende Rosen können dazu gezwungcn werden,
meist mit Erfolg, wenn die Zweige umgebogen und so befestigt werden.
Auch der Blumensamm ist nach und nach, wie er reis wird, zu
sammeln, wmn man überhaupt solchm wünscht; sür kleinere Gärten
enipfiehlt sich meist das Abschneiden der Sanimstcngel, weil man da-
durch neue Blumen hervorlockt und die dürren Stenget einen un-
schönen Anblick bieten. Da viele schüne Sonuuerblumen am üppigsten
gedeihen und viel srüher in Blülhe kommen, wenn man sie alS junge
Pflanzm im Zimmcr oder Gewächshaus überwintert uud im nächsten
Frübjahr ins freie Land (oder auch in Töpfe, sür die Zimmerculkur)
verpflanzt, so beginne mau jetzt solche in Tvpfe zu saen; empfohleu
wcrden zu diesem Zwccke: Oa-llioxsis, Smbioski, kblox, kstuuia,
Oobslin, Lnlxixsiossis, wohlriecheude Wicke und die ueue Lroveallia,
sxssiosn, die sür Tsppichgürtnerci und Ziminerschmnck wegen ihres
niedrigen Wachsthums und ihrer schöncn blauen Blumen überhaupt
sehr zu beachten ist. Im September kann man mit diesem Sücn
sortsahren. Für die Zimmercultur werden Liebhaber von Blumen-
zwiebeln, wie Hyazinthen, Tulpcn, Scilla, Narzissen, Jonquillen,
Tazetten, Krokus, Schachblumen (Lritilluria, LleisriAris) gut thun,
ihre bezügüchcn Restelluiigen oder Aiischaffungcn in Liejem Monate
zu macheu, damit die Zwiebeln mit Beginn des September ein-
gesetzt werden können. Dis reizende neue Zwiebelblume Ollinoäoxa,
Onei1ia.e, Schnecglanz, llat Verf. schon zwei Jahre in Töpjen
gezogen und so an den schöncn blau-weißen Blumen mehr Frmde
gehabt, als im sreien Lande, wo ihm die ähnlichen Leilla, sibirim
allerdings den Vorzug vor der Ollioiiocloxa, zu verdienen scheinen.
Resede säe man sich zum Winterflor einige Töpse in nahrhaste,
mit Hornspänen vermischte Erde.

Vermischtes.

----- Wie Berichte von der Änsek Äschia melden, ist
Casamicciola wieder so weit aufgebaut, daß das Baden
an den heißen Quellen gestattet wird. Berschiedene sogeiiannts
Sicherheitshäuser wurden dort errichtet, das heißt Häuser,
die von den Wirkimgen eines Erdbebens durch ihre Bauart
verschont llleiben.

Zur Statistik des Zeitungswesens. Än
Frankreich steht das Zeitungswesen auf ziemlich
hoher Stufe, da man der Tagcsliteratur großes Jntercsse
entgegenbringt, besonders in Len grvßercn Städtcn, ganz
hauptsächlich aber in Paris, dem „Herzeu der Welt". Den-
nock ist dis Thatsacke zu verzeichnen, daß im vergangeiien
Jahr die Zahl der Zeitungen in Paris erheblich zurück-
gegangen ift. Nach dem „Äahrbuch der franzvsischeii
Zeitungspresse sür 1886" haben sich die Pariser Äournale
um 46'verringert; denn am 31. December 1884 zählte man
deren 1586, 'währcnd an demselben Tage 1885 nur noch
1540 existirten. Än den Provinzen crschienen am 1.Äanuar1885
878 republikanische und 482 mvnarchistische Äournale. Am
Schluß des Äahres gab es von den ersteren 962, von den
letzteren 509. Die Gesammtzahl der Äournale in dcn
Provinzcn betrug Ende dcs letzten Äahres 2809, gegen 2506
am 31. December 1884. Es ist nicht unwahrscheinlich daß
dis Wahlen fnr den gesetzgebenden KLrper die Ursache der
starken Zunahme gewesen sinv. Bon den am 31. December
1885 in Paris crschienenen Blättern verfolgtcn 148 Börscu-
uno finanziclle Ziele, 110 gehörten der Medicin an, 88 hattcn
politische Tendenz, 83 waren juristiscke, 84 huldigteu der
Mode, 65 waren illustrirt, 69 waren literar-politische Revnen.
60 waren wissenschastlichen und 65 religivsen ÄnhaltS, 58
beschästigten sich mit Unterricht und Erziehung. Die übrigei:
Journale vertbeilten sich anf andere Fächer. Man muß ge-
stchen, daß dic Zaht der Äournale immer noch eine höckst
achtungswerthe war. — An deutsch en Blättern erschcincn
gegcnwärtig in den Vereinigten Staaten 634,
von denen 83 taglich, 76 an Sonntagen und 475 an ver-
schiedenen Wochentagen und ein- und mehrmals wvchcntlick
erscheincn. Die Auslagen derselben sind schr verschieden. Sie
bewcgen sich zwischen 400 und 65,000.

— Paris, 2. August. Das innereMeer in Algier,
sür welckes der Commandant Rondaire die Pläne aufgestellk,
erweist sich jetzt als übcrflirssig; der Commandant LandaS,
 
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