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Walden, Nell [Hrsg.]; Walden, Herwarth [Ill.]
Der Sturm: ein Erinnerungsbuch an Herwarth Walden und die Künstler aus dem Sturmkreis — Baden-Baden, 1954

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https://doi.org/10.11588/diglit.28011#0123
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Die Liebe seiner Farben. Wie sie sich lieben, die Farben, wenn man sie nidit stört. Wie
sich die Formen umarmen, wenn man sie nicht bricht.

Kein Feuer verbrennt Brennende.

Wie Du brennst, Franz Marc. Wie Deine Augen aufsaugen, was ist. Wie das Sein durch
Dich Glühenden glüht. Wie Dein Brand allen Zauber tötet, der nicht Wunder ist. Wie
das Wunder durch Dich auf die Erde kommt, die nun entzaubert und verwundert ist:
Mit großen erstaunten Kinderaugen nun in die Welt sieht, die sich über den Augen
aller Kämpfer wölbt. Sichtbar nur für große, erstaunte Kinderaugen.

Sie wachsen nicht, diese Erwachsenen. Franz Marc, wüßten sie, wie der Künstler sie
liebt, diesen Blinden, denen er das Licht gibt, alles Feuer würde sich selber verzehren,
ehe es den Menschen frißt, der allein und nur ihnen allen Vater und Mutter, Geliebter
und Geliebte ist.

Das Feuer verbrennt keinen Brennenden.

Die Erde ist das Tal der Klage, weil wir wissen, was wir tun. Wir erfinden, was wir
nicht suchen. Künstler und Kinder finden, was sie suchen. Sie sehen, sie hören, sie fühlen.
Sie springen im Tal, sehen die Berge, hören die Stimme und fühlen Gott. Vielleicht
stolpern sie über die Wurzeln, schlagen sie, weil sie sie nicht sahen. Aber der Vogel dort
erhebt sie und sie sind eins mit der Erde, weil sie sich in der Welt fühlen. Die Klage
wird Klang. Der Jubel hallt wider. Ihr Jubel. Blinde stehen nicht auf. Taube klagen.
Aber Du stehst auf, Franz Marc. Dir war die Erde heimisch, aber Dein Reich ist
in der Welt.

Die Erde lebt aus Dir. Und ein Baum wächst auf, seine Äste greifen um die Erde, seine
Blätter leuchten blau in aller Herzen, seine Blüten duften Klang in aller Seelen, es raunt
aus ihm in aller Denken, es singt aus ihm der Welten Stimme, es klingt aus ihm der
Welten Schweigen.

Täler blühen in seinem Schatten.

Ich liebe das Unvergängliche, durch das ich glühe.

Wie ich Dich liebe, Franz Marc.

Wie Du mir entgegenglühst.

Wie ich Dir entgegenglühe.

Dir, Künstler Gottes.

Berlin, am 8. März 1916 Herwarth Walden“

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