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Walden, Nell [Hrsg.]; Walden, Herwarth [Ill.]
Der Sturm: ein Erinnerungsbuch an Herwarth Walden und die Künstler aus dem Sturmkreis — Baden-Baden, 1954

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https://doi.org/10.11588/diglit.28011#0129
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Treue ist die Dauer des Bekenntnisses.

Die Liebe opfert sich, sie stirbt.

Die Freundschaft opfert, aber nicht sich. Sie lebt.

Freundschaft wird Liebe, Liebe nie Freundschaft.

Rudolf Blümner ist der Mensch der Pflicht. Sein Leben geht vom Bekennen zum
Erkennen und vom Erkennen zum Bekennen. Nicht mit einer Tat, nicht mit einem
Wort ist er je hinter sich geblieben.

Rudolf Blümner suchte das Recht. Und als er es erkannte, verließ er den Beruf, Recht
zu sprechen.

Rudolf Blümner suchte den Ausdruck seines Seins, des Seins. Als er ihn erkannte, verließ
er den Beruf, sidi zu verstellen.

Das Theater ist ein Panoptikum, aus dessen Figuren unnatürliche Töne natürlich
herausgepreßt werden. Sein Ausdruck ein Verzerren der Gesichter, sein Rhythmus ein
Gehen- und Stehenlassen. Sein Gefühl das Gedachte eines Schreibers.

Kunst ist die Organisation optischer oder akustischer Phänomene. Das Leben tönt. Es
tönt aus dem Schrei des Kindes, aus dem Laut der Sinne, aus dem Ton der Empfindung,
aus dem Wort des Erkennens. Schreie — Laute — Töne — Worte heben und senken sich.
Die Bindung ihres Hebens und Senkens ist die Kunst des Sprechens. Ist die Sprechkunst.
Rudolf Blümner ist der Meister der Sprechkunst.

Er hat als erster das Material dieser Kunst wiedererkannt: den Tonfall.

Ebenso wie das Theater nichts mit der Verlegenheit der Literatur zu tun hat, ebenso
ist die Sprechkunst unabhängig von dem, was man Dichtung nennt. Die Wirkung liegt
im Sprechen, nicht im Gesprochenen. Nicht der Ton macht die Musik. Die Beziehungen
der Töne machen sie. Nicht der Sprechton macht die Sprechkunst. Die Sprechintervalle
machen sie. Das Wort wird durch die Stimme vorgetragen: als Schrei, als Laut, als Ton,
als Klang. Die Sprechtöne werden durch ihre künstlerische Beziehung gegliedert. Die
Sprechmelodie entsteht durch die künstlerisch-logische Bewegung der Sprechtöne, also
durch Rhythmus. Der Sinn, die Abstraktion der Lautverbindungen, ist sekundär
geworden, primär bleibt er ohne künstlerische Bedeutung. Denn Empfindungen,
menschliche und künstlerische, offenbaren sich nur konkret.

Das Phänomen der Sprechkunst hat Rudolf Blümner als erster wiedererkannt. Das ist
sein historisches Verdienst. Sein künstlerisches ist es, Sprechkunstwerke zu gestalten. Da
dieses Denkmal einem Lebenden errichtet wird, bleibt es den Zeitgenossen unbenommen,
diese Kunstwerke aufzunehmen. Zehntausende haben sie vernommen. Erschüttert und
ergriffen. Millionen haben es noch versäumt. Ihnen zeige ich: Hier ist Kunst zu erleben.
Kunst läßt sich nicht beschreiben. Kunst soll man sehen und hören. Diese Worte sind
Fanfaren, die die Gläubigen der Kunst zur Kunst sammeln sollen. Hier ist der lebende
Künstler, der sein Leben in aie Kunst gibt und dem die Kunst, erkannt und gekonnt,
ihr ewiges Leben gibt.

Wir grüßen Dich, Rudolf Blümner, wir, denen Du töntest. Wir ehren den Künstler,
der die Kunst ehrt und den die Kunst ehrt. Wir beugen uns vor dem Unerhörten, das
aus Dir, das durch Dich ballt.

Ich gebe Dir mit beiden Händen beide Hände. Stolz, dieses Freundes Freund zu sein.

Herwarth Walden

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