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Vorbemerkung

nicht viel älter als ein Jahrhundert. Während deutsche Musik im
siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert die Welt eroberte,
während deutsche Philosophie und Dichtung zu den größten Taten
europäischer Geistesgeschichte von Weltwirkung führte, erlebte
auch Deutschland keine Malerei von nennenswerter Bedeutung.
Die Natur geht im allgemeinen sparsam um mit ihren Kräften und
wählt die Epochen vorsichtig aus. Wenn England, das in der
Architektur in der gotischen und der barocken Epoche sehr große
Dinge geschaffen hatte, in der Malerei nur ein Jahrhundert blühte,
so teilt es, während der Neuzeit, dieses Schicksal mit anderen Völ-
kern, mit Spanien und Deutschland. Einem Volke, das im Kirchen-
bau in der gotischen Periode Meisterwerke von so durchaus natio-
nalem Charakter schuf wie die Kathedralen von Lincoln und Canter-
bury und im siebzehnten Jahrhundert in Ynigo Jones und Chri-
stopher Wren Architekten von internationaler Bedeutung ersten
Ranges besaß; Architekten, deren Paläste, wie etwa Ashburnham
House, trotz dieser internationalen Bedeutung dennoch der ty-
pische Ausdruck rein englischer Baugesinnung sind, und deren
einer, Christopher Wren, neben Ynigo Jones der Größte, in der
Paulskirche zu London die künstlerisch imposanteste Kathedrale der
nordischen Christenheit ersann und ausführte — einem solchen Volke
schöpferische Kunstkraft schlechthin abzusprechen, wäre auch dann
voreilig, wenn nicht auf jene letzte große Zeit der Baukunst dann
noch jenes Jahrhundert einer reichen Malerei gefolgt wäre. Wer so
baut, wie Ynigo Jones und Christopher Wren, stammt aus einem
Volke, das künstlerisch und das malerisch empfinden kann.
Als der Baumeister der Paulskirche im Jahre 1723 starb, malte
der sechsundzwanzigjährige Hogarth seine ersten Bilder: Als die
größten Taten englischer Architektur geschehen waren, erwachte
langsam auch die englische Malerei zu eigenem nationalen Leben.
Bis dahin hatte sie ein wenig in fremden Zungen geredet, andert-
halb Jahrhunderte lang. Nun redete sie englisch. Aber daß sie ver-
hältnismäßig so lange von fremder Weise abhängig gewesen war,
von deutscher und flämischer, bis sie dann endlich ihr eigenes
Idiom fand, ist, neben ihrer Kurzlebigkeit, eins der Hauptargumente
geworden, das die kritische Kunstgeschichte gegen sie zu machen
pflegt. Wer so lange eklektisch arbeitet, meint man gern, findet nie
einen eigenen Stil. Doch trügt diese Voreingenommenheit. Auch
die französische Malerei, die dann zur Führerin in Europa wurde,
war während des fünfzehnten Jahrhunderts von italienischer und
 
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