Die Landschaftsmalerei
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Constable schuf hieraus neue Harmonien und ein neues System von
Farben. Dies ist das Entscheidende. Seine Himmel sind bunt,
und sein Wiesengrün ist nicht irgendein Grün als Effekt, sondern
es setzt sich aus zahllosen Nuancen verschiedensten Grüns zu-
sammen; und daß ein Baum grün ist, bedeutet für ihn nicht eine
naturwissenschaftliche Tatsache, sondern dieses Grün spielt für
ihn eine ganz andere Rolle im farbigen Aufbau des Bildes. Sein
Kolorit ist stärker und leuchtender, intensiver und schwingender
als das seiner Vorgänger und Mitmenschen, und zugleich ist dieser
Farbenreichtum ausgeglichener und bei allem Kontrastreichtum
harmonischer. Er erreicht manchmal Rubens, aber Rubenssche
Kraft und Rubenssche Leuchtkraft nicht als eine aus den Farben
der Seele gewonnene Dekoration, sondern Rubens aus einfacher
und treuer Anschauung des Wirklichen. Constable malte die ersten
bunten Bilder der neuen Kunst. Dies ist einzigartiger, als die
kunsthistorisch vielleicht noch so wichtige Entdeckung neuer
Wahrheiten. Daß die Atmosphäre bewegt ist und den Aspekt der
Dinge verändert, sahen einige; bald sahen es viele, und schließlich
ihen es alle. Aber aus diesem Sehen heraus die Farben der Dinge
im Bilde zu neuer, reiner Leuchtkraft gebracht zu haben, dies ist
Jnstables große Tat.
; Constables Wirkung war in Frankreich und Deutschland größer als
in seinem Heimatlande. Während die Ausstellung seiner Bilder,
besonders des „Heuwagens“, im Pariser Salon im Jahre 1824 auf
den Vater der modernen französischen Malerei, Delacroix, so revo-
lutionierend wirkte, daß er schnell vor der Eröffnung des Salons
noch sein großes Hauptbild, das „Massacre de Scio“, in Constable-
schern Sinne übermalte; während Adolf Menzel die Ausstellung von
Constables Bildern, die im Jahre 1839 oder 1840 in Berlin im Hotel
de Rome stattfand, gründlich studierte und diese Anregungen dann
in seinen, während des nächsten Jahrzehnts gemalten herrlichen
Landschaften zu einem eigenen Bildstil, dem dann im Impressionis-
musweiterwirkendenStilverarbeitete; während alsodergrößte Fran-
zose und der größte Deutsche dieser Kunstepoche mit sicherstem
Instinkt das Neue und Schöpferische in Constables Leistung be-
griffen und fruchtbar machten, ließ sich die englische Schule kaum
von ihm beeinflussen. Auf fruchtbaren Boden fiel dieses Neue
eigentlich nur bei dem in Paris gebildeten, jung verstorbenen
Richard Parkes Bonington. Merkwürdig schwankend zwi-
schen Englischem, Französischem und Guardi, dessen Fortsetzer
Waldmann, Englische Malerei. 5
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Constable schuf hieraus neue Harmonien und ein neues System von
Farben. Dies ist das Entscheidende. Seine Himmel sind bunt,
und sein Wiesengrün ist nicht irgendein Grün als Effekt, sondern
es setzt sich aus zahllosen Nuancen verschiedensten Grüns zu-
sammen; und daß ein Baum grün ist, bedeutet für ihn nicht eine
naturwissenschaftliche Tatsache, sondern dieses Grün spielt für
ihn eine ganz andere Rolle im farbigen Aufbau des Bildes. Sein
Kolorit ist stärker und leuchtender, intensiver und schwingender
als das seiner Vorgänger und Mitmenschen, und zugleich ist dieser
Farbenreichtum ausgeglichener und bei allem Kontrastreichtum
harmonischer. Er erreicht manchmal Rubens, aber Rubenssche
Kraft und Rubenssche Leuchtkraft nicht als eine aus den Farben
der Seele gewonnene Dekoration, sondern Rubens aus einfacher
und treuer Anschauung des Wirklichen. Constable malte die ersten
bunten Bilder der neuen Kunst. Dies ist einzigartiger, als die
kunsthistorisch vielleicht noch so wichtige Entdeckung neuer
Wahrheiten. Daß die Atmosphäre bewegt ist und den Aspekt der
Dinge verändert, sahen einige; bald sahen es viele, und schließlich
ihen es alle. Aber aus diesem Sehen heraus die Farben der Dinge
im Bilde zu neuer, reiner Leuchtkraft gebracht zu haben, dies ist
Jnstables große Tat.
; Constables Wirkung war in Frankreich und Deutschland größer als
in seinem Heimatlande. Während die Ausstellung seiner Bilder,
besonders des „Heuwagens“, im Pariser Salon im Jahre 1824 auf
den Vater der modernen französischen Malerei, Delacroix, so revo-
lutionierend wirkte, daß er schnell vor der Eröffnung des Salons
noch sein großes Hauptbild, das „Massacre de Scio“, in Constable-
schern Sinne übermalte; während Adolf Menzel die Ausstellung von
Constables Bildern, die im Jahre 1839 oder 1840 in Berlin im Hotel
de Rome stattfand, gründlich studierte und diese Anregungen dann
in seinen, während des nächsten Jahrzehnts gemalten herrlichen
Landschaften zu einem eigenen Bildstil, dem dann im Impressionis-
musweiterwirkendenStilverarbeitete; während alsodergrößte Fran-
zose und der größte Deutsche dieser Kunstepoche mit sicherstem
Instinkt das Neue und Schöpferische in Constables Leistung be-
griffen und fruchtbar machten, ließ sich die englische Schule kaum
von ihm beeinflussen. Auf fruchtbaren Boden fiel dieses Neue
eigentlich nur bei dem in Paris gebildeten, jung verstorbenen
Richard Parkes Bonington. Merkwürdig schwankend zwi-
schen Englischem, Französischem und Guardi, dessen Fortsetzer
Waldmann, Englische Malerei. 5