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Weinbrenner, Friedrich
Architektonisches Lehrbuch (Band 1): Geometrische Zeichnungslehre, Licht- und Schattenlehre — Tübingen, 1810

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https://doi.org/10.11588/diglit.6992#0008
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VIII

Erläuterung giebt, da wird eine aufmerksame Betrachtung der Figuren die gewünschte
Befriedigung gewähren. Für die Welt, nicht für gelehrte Schule gebildet, gebe ich mit
dem besten Willen, was der ältere Künstler dem jungern , durch Zeichnung und kurze
Erklärung, ohne gelehrte Ausstattung, zu seiner unentbehrlichen Belehrung und Bildung
geben kann und soll. Nicht speculativ, nicht in philosophischer und gelehrter Rüstung,
das heisst, abschreckend für Zöglinge und ausübende Künstler, kann und will ich
einherschreiten. Gelehrsamkeit dient uns wenig, und die Idee einer architektonischen
Vernunft, hat für uns nur dann einigen Werth, wenn Erfahrung hinzutritt. Hiebei
leitete mich zugleich ein lebhaftes Gefühl der Mängel des schriftlichen und mündlichen
architektonischen Unterrichtes , das ich , hauptsächlich während eines sechsjährigen
Aufenthaltes in Rom, an mir und andern oft zu beobachten Gelegenheit hatte.

Ein junger Baukünstler, der seiner Bildung wegen sich nach Rom begiebt, will
dort dem ästhetischen Studium der Baukunst sich hingeben. Er will durch das Gefühl
der Lust oder Unlust, bei angestrengter Betrachtung architektonischer Gegenstände des
Alterthums, seinen Geist auf Abstractionen leiten, die, bei eigenen Productionen, in
der Wahl und Erfindung sein Urtheil kunstmäsig bestimmen sollen. Wird, ohne
hinlängliche Vorkenntnisse, die Entzifferung der hohen Vorzüge altrömischer Ueberreste
der Baukunst ihm gelingen? Vermag er, ohne gehörige Vorschule, von den ungeschriebenen
Buchstaben des Meisters zu seinen Grundsätzen , zu der Erhabenheit seiner Ideen sich
emporzuschwingen? Kann er, so lang nicht die ächten Regeln seiner Kunst ihm so zur
Natur geworden sind, dass er sich ihrer kaum noch bewusst ist, den Geist der Meister
des edlen Alterthums lebendig in sich aufnehmen? Kann er bei eigenem Versuch in
Aufgaben, welche die Ausführung antiker Gebäude, wo nicht übertreffen, doch erreichen
sollen, mit kühner, kunstgeübter Hand, erhaben über das Alltägliche, fern von sclavischer
Nachahmung und ängstlichem Formenspiel, durch die That beweisen, dass Formen
sind, was der Geist aus ihnen schafft?
 
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