Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Winckelmann, Johann Joachim; Winckelmann, Johann Joachim [Hrsg.]; Bruer, Stephanie-Gerrit [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Hrsg.]; Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Winckelmann-Gesellschaft [Hrsg.]; Gross, Marianne [Bearb.]
Schriften und Nachlaß (Bd. 2, T. 1): Sendschreiben von den herculanischen Entdeckungen — Mainz am Rhein: von Zabern, 1997

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51406#0074
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
70

Sendschreiben von den Herculanischen Entdeckungen · Text

den Canonicus Mazocchi, einen Mann von mehr als achtzig Jahren, welcher die Zierde der
Gelehrsamkeit in Italien ist, heftig, unzeitig und oft auf eine ungeziemende Art tadelt und
angreift, wurde die Bekantmachung dieses Werkes, da der letzte Bogen sollte gedruckt werden,
untersaget, und es ist auch dem Verfasser auferlegt, es niemanden außer seiner Wohnung zu
5 geben. Mir ist es aber dennoch gelungen, dieses Werk durchzulaufen, und ich werde gelegent-
lich über dasselbe meine Anmerkungen und Verbesserungen beybringen. Es besteht dasselbe aus
734 Seiten, und der Vorbericht, die Zusätze und drey umständliche Register betragen 88 Seiten,
in groß Quart.
Vorläufig werde ich erstlich von den durch den Vesuvius verschütteten Orten, zweytens von
io der Verschüttung selbst, zum dritten von der Entdeckung und von der Art derselben reden, und
in dem letzten Stücke werde ich über die Entdeckungen selbst meine Bemerkungen mittheilen.
Von den durch den Vesuvius verschütteten Orten, Herculanum, Pompeji und Stabia ist
vorher die Lage derselben anzuzeigen, und besonders in so ferne Vergehungen der Scribenten
anzumerken und Verbesserungen zu geben sind; wer mehr zu wissen verlanget, kann es in
15 bekannten Schriften finden.
Herculanum, sagt Strabo, lag auf einer Erdzunge, welche sich ins Meer erstreckete, und dem
Winde aus Africa (Scirocco) ausgesetzet [6] war: so verstehe ich das Wort άκρα, welches hier
so wenig, als da, wo es von den drey Spitzen der Insel Sicilien gebraucht wird, ein Vorgebirge
bedeuten kann. In dem wahren Verstände dieses Worts haben so wohl alte als neue Scribenten
20 gefehlet, wegen Unwissenheit der Lage der Orte, und Cluverius zeiget unter andern diesen Mis-
verstand in alten Dichtern, welche von den drey Sicilianischen Spitzen reden, und dieselbe als
Vorgebirge beschreiben. Das Ufer ist bey Reggio in Calabrien so platt, als gegen über in Sicilien,
wo Pelorus lag, und die Gebirge erheben sich allererst etliche Meilen weit vom Ufer. Das Wort
άκρα ist also, was wir itzo Capo nennen. So heißt Capo d' Anzo, wo ehemals das alte Antium
25 stand, welches kein Vorgebirge, sondern ein plattes Ufer ist und war. Das Circeische Vorgebirge
aber zwischen gedachtem Orte und Terracina, welches ein hoher Felsen ist, heißt nicht Capo,
sondern Monte Circello.
Zu dieser Anmerkung und Erklärung veranlasset mich der Zweifel gedachten Neapelschen
Gelehrten über den Strabo. Dieser, welcher das Wort άκρα in seiner gewöhnlichen Bedeutung
30 eines Vorgebirges nimmt, will den Text des Strabo hier fehlerhaft finden, weil das alte Hercula-
num auf keinem Vorgebirge kann gelegen seyn, und er nimmt sich die Freyheit, an statt άκραν
zu setzen μακράν. Er übersetzet also Φρουρίον μακράν έχον, oppidum in ipsa littoris longitudi-
ne situm, und nimmt das Wort μακράν absolute und substantive, wider allen Gebrauch des-
selben, und ohne diese Freyheit mit einer einzigen Stelle zu unterstützen; ja er bricht kurz ab,
35 und sagt, daß diese Art zu reden den Anfängern in der Sprache bekannt sey. Ich bin etwas mehr,
als ein Anfänger in derselben, kann mich aber dergleichen Gebrauch des Wortes μακρύς nicht
entsinnen.
Das Ufer, auf welches das alte Herculanum gebauet war, erstreckete sich als eine Erdzunge
ins Meer; das ist, es war ein Capo. Dieses ist die Meynung des Strabo, und er will von keinem
40 Vorgebir [7] ge reden. Es zeiget dieses noch itzo der Augenschein: denn Portici und Resina,
welche oben auf der verschütteten Stadt Herculanum gebauet sind, liegen beynahe in gleicher
Höhe mit dem Meere, welches ein flaches und sandiges Ufer hat. Folglich kann das alte
 
Annotationen