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Dürer, Albrecht; Winkler, Friedrich [Oth.]
Die Zeichnungen Albrecht Dürers (Band 2): 1503-1510/11 — Berlin: Deutscher Verein für Kunstwissenschaft, 1937

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Die Jahre vor der zweiten Reise nach Venedig (Um 1503 - Herbst 1505)
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https://doi.org/10.11588/diglit.63246#0281

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DIE JAHRE VOR DER ZWEITEN REISE NACH VENEDIG
(UM 1503 — HERBST 1505)
I. BILDNISSE UND STUDIEN VON KÖPFEN 1503/05
Der Abschnitt umfaßt — einschließlich einer bis fast zur Unkenntlichkeit zerstörten Zeichnung
(Abb. Anh. Taf. IV) — ein knappes Dutzend mit Kohle, zum kleinen Teile mit Kreide ausgeführte
(Nr. 269—276, 279, 285), ein reichliches halbes Dutzend Silberstift- (Nr. 268, 277/78, 280, 283/84,
286) und 5 Federzeichnungen (Nr. 281/82, 287/89). Es ist, als ob mit der neuen Technik zugleich das
neue Thema, das Bildnis größten Formats, Dürer zugekommen wäre. Einzelne Darstellungen von
nahen Verwandten wie das Bremer Frauenbild (Bd. 1 Nr. 178), vielleicht auch einige hier in die
Folgezeit versetzte, die nicht datiert sind, sind vorangegangen. Als Entwerfer für den Glasmaler
scheint er gleichzeitig oder kurz vorher die Kohle ausprobiert zu haben (Bd. 1 Nr. 215/16). Einen
eiligen Entwurf für einen Buchtitel wirft er mit der Kohle aufs Papier (Bd. 1 Nr. 249). 1503 bricht
plötzlich die Erkenntnis in Dürer auf, welch machtvolles Werkzeug die Kohle in seiner Hand ist und
aus der Häufigkeit und Vielfältigkeit der Anwendung erraten wir, welche Befriedigung ihm die neue
Technik gewährt hat. So gestaltet er seinen nächsten Freund W. Pirckheimer und Studien für Ge-
mälde und Holzschnitte nahezu in Lebensgröße, bald mit der Kohle allein, bald mit Hinzunahme
des Wischers und behutsamer Verwendung des Pinsels, er probiert farbiges Papier in Verbindung
damit aus und wohl auch die weiße Kreide. Merkwürdig frei und gelöst kommt der Strich, wirkt
der Ausdruck. Die Blätter muten uns modern wie seine Landschaften an. Es ist die erste stattliche
Gruppe bildmäßiger Meisterzeichnungen auf figürlichem Gebiet, die ihm gelungen ist. Er packt den
Stoff und formt ihn wie nur je ein großer Eroberer und Herrscher im Reich der Kunst. Freund
Pirckheimer (Nr. 270), wie er sein konnte, saftig, sinnlich, voll sprühenden Temperaments und her-
risch, wird lebendig. Das grausame Leiden (Nr. 271), der qualvolle Tod Christi (Nr. 272) spiegeln
sich im Antlitz mit grünewaldischer Wucht wieder. Kraftvoller Wuchs und mädchenhafte Schönheit
paaren sich im Jüngling (Nr. 273), schmachtend blickt die füllige Frau auf den Beschauer (Nr. 274),
mit mütterlichem Stolz Maria auf das Kind (Nr. 275)
Mit dem Silberstift zu zeichnen, war Dürers Hand seit langem geübt. In dem großen Format wollte
es ihm nicht nach Wunsch gelingen. Er tönt das Papier, hilft mit Weißhöhung nach, zu einem voll
befriedigenden Ergebnis ist er wohl nicht gekommen. Nach Jahren unternimmt er neue Versuche,
aber erst auf der niederländischen Reise findet er die klassische Form, indem er den Maßstab ent-
schieden verkleinert.
Zögernd folgt Dürer in den Federzeichnungen dem neuen Ziel leibhafter Formengröße. Er weiß aus
Erfahrung, daß der dünne feine Strich der Feder nach anderen Maßstäben verlangt. So versucht er
es mit besonders sorgfältiger eingehender Modellierung (Nr. 282, 287) oder er hält sich besonders eng
an die Schönschrift der Kreuzlagen in seinen Stichen (Nr. 281). Am Ende ist er in der Führung des
Werkzeugs sehr beweglich und unabhängig geworden (Nr. 288) und es gelingt ihm ein Wurf von
seltener Großartigkeit (Nr. 289). Die Kalligraphie der Handschrift vermählt sich in dem Charakter-
kopf des Alten mit der subtilen Kläubelei der Skizzentechnik nach der Natur.
 
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