ZWEITE REISE NACH VENEDIG
(HERBST 1505 BIS ANFANG 1507)
I. HINREISE UND AUFENTHALT IN VENEDIG 1505
Wir wissen nicht, ob Dürer die Reise wie bei seiner ersten Alpenfahrt auf dem Hin- und Rückwege
unterbrochen hat, um Studien zu machen. Da die Rückkehr in dem als Reisemonat sehr ungünstigen
Januar vor sich gegangen ist, bliebe nur die Fahrt südwärts für Reisebilder und-Studien übrig.
Die wichtigsten Zeugnisse für einen Aufenthalt Dürers in Italien vor seinem Eintreffen in der Lagu-
nenstadt, auch sie nicht vollgültige und gleichwertige, sind die „villana windisch“ (Nr. 375) und die
überfallenen Tiere (Nr. 379), beide 1505 datiert. Die erstgenannte Zeichnung muß zufolge ihrer Auf-
schrift in Italien entstanden sein. Wegen des seltsamen Typus der Dargestellten ist doch wohl anzu-
nehmen, daß sie außerhalb Venedigs geschaffen wurde. Dürer hat sie an einem Orte gezeichnet, an
dem er noch andere ähnliche Modelle vorfand (Nr. 371 von 1505, Anh. Taf. XVI). Bei dem verhält-
nismäßig reichen Bestand dieser Zeugnisse ist es nicht zu gewagt, von mehreren anderen großen Bild-
niszeichnungen, die teilweise 1505 datiert sind und stilistisch nahe zusammen gehen (Nr. 372/74),
ähnliche Anregung durch Ort und Bevölkerung anzunehmen. Eins der Bildnisse (Nr. 374) zeigt ein
junges lächelndes Mädchen im Profil. Man ahnt die Nähe Leonardos. Er steht hinter dem andern
Dokument, das für Dürers Aufenthalt 1505 in Italien zeugt. Die überfallenen Tiere von 1505 (Nr.
379) scheinen zu beweisen, daß er Dürer damals durch irgendwelche Werke irgendwo außerhalb Ve-
nedigs entgegen getreten ist. In der Anordnung der Studien, den Motiven findet das Blatt seine näch-
sten Verwandten in gewissen Zeichnungen des Italieners (Anh. Taf. XVIII), und auch einzelne
Köpfe der Tiere deuten auf dieses Vorbild hin.
Solange nicht urkundliche Nachrichten über den Weg, den Dürer genommen hat, zutage gekommen
sind, wird freilich jeder Versuch, aus den Werken auf ihn zu schließen, mehr oder weniger hypothe-
tisch bleiben. Der stark verkürzte Akt Christi von 1505 (Nr. 378) kann als Zeugnis für eine Be-
gegnung Dürers mit Mantegna (in Padua), der herrliche König Tod (Nr. 377) als Andenken für
das Haus bei seiner Abreise oder als Lebenszeichen von der Reise gedeutet werden. Letzten Endes
kam es bei der Gruppierung der in diesem Abschnitt vereinigten Werke darauf an, die Blätter von
1505, soweit sie Hinweise auf Italien enthalten, mit stilverwandten undatierten Werken zu vereinigen.
In der Gruppe hat die Kopie des italienischen Gemäldes eines Urteils Salomos (Nr. 376), das auch
1506 entstanden sein kann, seinen Platz gefunden. Die auf diesen folgenden Abschnitte enthalten nur
noch Zeichnungen auf venezianischem Papier und konstruierte Akte.
371. Brustbild einer windischen (?)
Bäuerin
Rechts oben echt bezeichnet und 1505 datiert.
Kreide, Hintergrund nachträglich mit dunkel oliv-
grüner Wasserfarbe gedeckt, etwas beschnitten 350 X
266
Aus Samml. H. W. Campe, Vieweg, Eisler
Lippm. 180
Rotterdam, Mus. Boymans (Samml. Koenigs)
Von den ziemlich zahlreichen Bildnissen, die
Dürer während der 2. Italienreise gemalt und
gezeichnet hat1, ist dies eines der allerbedeutend-
sten. Es ist, als ob der erst 1503 geformte Bild-
(HERBST 1505 BIS ANFANG 1507)
I. HINREISE UND AUFENTHALT IN VENEDIG 1505
Wir wissen nicht, ob Dürer die Reise wie bei seiner ersten Alpenfahrt auf dem Hin- und Rückwege
unterbrochen hat, um Studien zu machen. Da die Rückkehr in dem als Reisemonat sehr ungünstigen
Januar vor sich gegangen ist, bliebe nur die Fahrt südwärts für Reisebilder und-Studien übrig.
Die wichtigsten Zeugnisse für einen Aufenthalt Dürers in Italien vor seinem Eintreffen in der Lagu-
nenstadt, auch sie nicht vollgültige und gleichwertige, sind die „villana windisch“ (Nr. 375) und die
überfallenen Tiere (Nr. 379), beide 1505 datiert. Die erstgenannte Zeichnung muß zufolge ihrer Auf-
schrift in Italien entstanden sein. Wegen des seltsamen Typus der Dargestellten ist doch wohl anzu-
nehmen, daß sie außerhalb Venedigs geschaffen wurde. Dürer hat sie an einem Orte gezeichnet, an
dem er noch andere ähnliche Modelle vorfand (Nr. 371 von 1505, Anh. Taf. XVI). Bei dem verhält-
nismäßig reichen Bestand dieser Zeugnisse ist es nicht zu gewagt, von mehreren anderen großen Bild-
niszeichnungen, die teilweise 1505 datiert sind und stilistisch nahe zusammen gehen (Nr. 372/74),
ähnliche Anregung durch Ort und Bevölkerung anzunehmen. Eins der Bildnisse (Nr. 374) zeigt ein
junges lächelndes Mädchen im Profil. Man ahnt die Nähe Leonardos. Er steht hinter dem andern
Dokument, das für Dürers Aufenthalt 1505 in Italien zeugt. Die überfallenen Tiere von 1505 (Nr.
379) scheinen zu beweisen, daß er Dürer damals durch irgendwelche Werke irgendwo außerhalb Ve-
nedigs entgegen getreten ist. In der Anordnung der Studien, den Motiven findet das Blatt seine näch-
sten Verwandten in gewissen Zeichnungen des Italieners (Anh. Taf. XVIII), und auch einzelne
Köpfe der Tiere deuten auf dieses Vorbild hin.
Solange nicht urkundliche Nachrichten über den Weg, den Dürer genommen hat, zutage gekommen
sind, wird freilich jeder Versuch, aus den Werken auf ihn zu schließen, mehr oder weniger hypothe-
tisch bleiben. Der stark verkürzte Akt Christi von 1505 (Nr. 378) kann als Zeugnis für eine Be-
gegnung Dürers mit Mantegna (in Padua), der herrliche König Tod (Nr. 377) als Andenken für
das Haus bei seiner Abreise oder als Lebenszeichen von der Reise gedeutet werden. Letzten Endes
kam es bei der Gruppierung der in diesem Abschnitt vereinigten Werke darauf an, die Blätter von
1505, soweit sie Hinweise auf Italien enthalten, mit stilverwandten undatierten Werken zu vereinigen.
In der Gruppe hat die Kopie des italienischen Gemäldes eines Urteils Salomos (Nr. 376), das auch
1506 entstanden sein kann, seinen Platz gefunden. Die auf diesen folgenden Abschnitte enthalten nur
noch Zeichnungen auf venezianischem Papier und konstruierte Akte.
371. Brustbild einer windischen (?)
Bäuerin
Rechts oben echt bezeichnet und 1505 datiert.
Kreide, Hintergrund nachträglich mit dunkel oliv-
grüner Wasserfarbe gedeckt, etwas beschnitten 350 X
266
Aus Samml. H. W. Campe, Vieweg, Eisler
Lippm. 180
Rotterdam, Mus. Boymans (Samml. Koenigs)
Von den ziemlich zahlreichen Bildnissen, die
Dürer während der 2. Italienreise gemalt und
gezeichnet hat1, ist dies eines der allerbedeutend-
sten. Es ist, als ob der erst 1503 geformte Bild-