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HINREISE UND AUFENTHALT IN VENEDIG 1505
nisstil sogleich bei der Berührung Dürers mit
dem italienischen Land und seinen Bewohnern
eine Steigerung und Ausweitung erhielte. So saf-
tig und lebensnah, dabei von urtümlicher Ge-
lassenheit, sind auch die großartigsten der frühe-
ren Köpfe nicht (Nr. 270/2).
Da das Blatt bis zum Weltkrieg in der Braun-
schweiger Sammlung Vieweg verborgen war, ist
es — trotz der Abbildung im Lippmann — sel-
ten in der Literatur berücksichtigt worden
(Ephrussi S. 84), war aber wegen der eindrucks-
vollen Größe wahrscheinlich immer gut be-
kannt. Daß es in Italien entstand, ist wohl im-
mer angenommen worden. Das Vorkommen
mehrerer Köpfe vom Schlage der villana win-
disch Nr. 375 (Abb. Anh. Taf. XVI) im Werke
Dürers legt nahe, auch hierin ein Mannweib die-
ses Schlages zu sehen. Außer dem Reif im Haar
ist als kostümliche Besonderheit zu beachten,
daß die Frau links das Haar in Zöpfen, rechts
offen trägt.
1 Eine Übersicht über den größeren Teil des erhaltenen
Materials gibt G. Glück im Wiener Jahrb. Bd. 36, 1924
S. 97 ff.
372. Kopf eines alten Mannes
mit Kappe. — Unten echt bezeichnet und 1505
datiert. Links davon in späterer Schrift „Propria
mano de Alberto Durero“. — Rückseite: Eine
unleserlich gewordene Beschriftung mit Kohle
geschrieben. Darunter von späterer Hand: N.
Lammert.
Kohle 297X186 (beschnitten)
Aus Samml. Mitchell, Malcolm
Lippm. 74
London, Brit. Museum
Dem folgenden Blatt in der Behandlung der Au-
genbrauen und der Augenpartie besonders nah-
verwandt, im übrigen aber im Gegensatz zu ihm
kaum modelliert. Die Beschriftung in italieni-
scher Sprache deutet darauf, daß die Zeichnung
in italienischem Besitz — vielleicht von Anfang
an — gewesen ist.
Das Blatt ist zweifellos beschnitten, die enge
Rahmung beweist es. Ob es aber ursprünglich so
groß war, daß oberhalb des Kopfes die Jahres-
zahl 1505 gestanden haben kann, und zwar ana-
log dem ungewöhnlich großen Namenszeichen
auch ziemlich groß, wie Flechsig annimmt (II
S. 24), überzeugt mich nicht. Auffällig an der
Signierung ist außer der Größe die Breite und
tiefe Schwärze der Buchstabenschenkel. Es ist
unmöglich, sich vorzustellen, daß die blasse
dünne Zeichnung zwischen so kräftig gegebenen
Ziffern und Zeichen gestanden hat. Vielmehr
sieht es so aus, als ob beide gleichzeitig aus-
nahmsweise neben statt übereinander hinzuge-
schrieben seien, vielleicht weil die Zeichnung
Dürer abverlangt und er dabei um Signierung
gebeten worden war. Der vorhandene Raum
wird keine andere Anbringung gestattet haben.
Vielleicht ist auch damals schon das Blatt an den
Rändern etwas beschnitten worden, weil es be-
stoßen war.
373. Kopf einer alten Frau
mit Kopftuch.
Kohle auf rötlich grundiertem Papier, weiß gehöht
260X187
Aus Samml. Sloane
Lippm.-Winkler 737 (farbig)
London, Brit. Museum
Die merkwürdige Zeichnung ist vor der Veröf-
fentlichung im Lippmann, soviel ich sehe, nur
bei Ephrussi (S. 84) als Dürer aufgeführt, in den
letzten Jahrzehnten ist sie entsprechend ihrer Be-
nennung im Museum und ihrer Erstveröffent-
lichung1 als „Matthias Grünewald (?)“ wohl in
der Regel als Werk aus dem Kreise dieses Künst-
lers aufgefaßt worden. Seitdem wir aber über
30 Kreide- und Kohlezeichnungen von Grüne-
wald kennen gelernt haben, kann diese hier nicht
mehr als stilverwandt gelten. Sie ordnet sich, zu-
mal durch die Ähnlichkeit mit dem vorhergehen-
den Blatt (s. dort), deutlich dem Dürer’schen
Kunstkreis ein und galt früher auch immer als
Werk seiner Hand. Wolf Huber, ein von Dü-
HINREISE UND AUFENTHALT IN VENEDIG 1505
nisstil sogleich bei der Berührung Dürers mit
dem italienischen Land und seinen Bewohnern
eine Steigerung und Ausweitung erhielte. So saf-
tig und lebensnah, dabei von urtümlicher Ge-
lassenheit, sind auch die großartigsten der frühe-
ren Köpfe nicht (Nr. 270/2).
Da das Blatt bis zum Weltkrieg in der Braun-
schweiger Sammlung Vieweg verborgen war, ist
es — trotz der Abbildung im Lippmann — sel-
ten in der Literatur berücksichtigt worden
(Ephrussi S. 84), war aber wegen der eindrucks-
vollen Größe wahrscheinlich immer gut be-
kannt. Daß es in Italien entstand, ist wohl im-
mer angenommen worden. Das Vorkommen
mehrerer Köpfe vom Schlage der villana win-
disch Nr. 375 (Abb. Anh. Taf. XVI) im Werke
Dürers legt nahe, auch hierin ein Mannweib die-
ses Schlages zu sehen. Außer dem Reif im Haar
ist als kostümliche Besonderheit zu beachten,
daß die Frau links das Haar in Zöpfen, rechts
offen trägt.
1 Eine Übersicht über den größeren Teil des erhaltenen
Materials gibt G. Glück im Wiener Jahrb. Bd. 36, 1924
S. 97 ff.
372. Kopf eines alten Mannes
mit Kappe. — Unten echt bezeichnet und 1505
datiert. Links davon in späterer Schrift „Propria
mano de Alberto Durero“. — Rückseite: Eine
unleserlich gewordene Beschriftung mit Kohle
geschrieben. Darunter von späterer Hand: N.
Lammert.
Kohle 297X186 (beschnitten)
Aus Samml. Mitchell, Malcolm
Lippm. 74
London, Brit. Museum
Dem folgenden Blatt in der Behandlung der Au-
genbrauen und der Augenpartie besonders nah-
verwandt, im übrigen aber im Gegensatz zu ihm
kaum modelliert. Die Beschriftung in italieni-
scher Sprache deutet darauf, daß die Zeichnung
in italienischem Besitz — vielleicht von Anfang
an — gewesen ist.
Das Blatt ist zweifellos beschnitten, die enge
Rahmung beweist es. Ob es aber ursprünglich so
groß war, daß oberhalb des Kopfes die Jahres-
zahl 1505 gestanden haben kann, und zwar ana-
log dem ungewöhnlich großen Namenszeichen
auch ziemlich groß, wie Flechsig annimmt (II
S. 24), überzeugt mich nicht. Auffällig an der
Signierung ist außer der Größe die Breite und
tiefe Schwärze der Buchstabenschenkel. Es ist
unmöglich, sich vorzustellen, daß die blasse
dünne Zeichnung zwischen so kräftig gegebenen
Ziffern und Zeichen gestanden hat. Vielmehr
sieht es so aus, als ob beide gleichzeitig aus-
nahmsweise neben statt übereinander hinzuge-
schrieben seien, vielleicht weil die Zeichnung
Dürer abverlangt und er dabei um Signierung
gebeten worden war. Der vorhandene Raum
wird keine andere Anbringung gestattet haben.
Vielleicht ist auch damals schon das Blatt an den
Rändern etwas beschnitten worden, weil es be-
stoßen war.
373. Kopf einer alten Frau
mit Kopftuch.
Kohle auf rötlich grundiertem Papier, weiß gehöht
260X187
Aus Samml. Sloane
Lippm.-Winkler 737 (farbig)
London, Brit. Museum
Die merkwürdige Zeichnung ist vor der Veröf-
fentlichung im Lippmann, soviel ich sehe, nur
bei Ephrussi (S. 84) als Dürer aufgeführt, in den
letzten Jahrzehnten ist sie entsprechend ihrer Be-
nennung im Museum und ihrer Erstveröffent-
lichung1 als „Matthias Grünewald (?)“ wohl in
der Regel als Werk aus dem Kreise dieses Künst-
lers aufgefaßt worden. Seitdem wir aber über
30 Kreide- und Kohlezeichnungen von Grüne-
wald kennen gelernt haben, kann diese hier nicht
mehr als stilverwandt gelten. Sie ordnet sich, zu-
mal durch die Ähnlichkeit mit dem vorhergehen-
den Blatt (s. dort), deutlich dem Dürer’schen
Kunstkreis ein und galt früher auch immer als
Werk seiner Hand. Wolf Huber, ein von Dü-