Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 5.1888

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.9076#0053
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
434

« Krkenntniß. «

«Dem umgehenden Fortschritts»,««»? I. Cellarius gewidmet.)

In deiner Brust ruh'n nicht des Schicksals Sterne,
Du selber bist nicht deines Glückes Schmied; —

Auch suche nicht das Glück in dunkler Ferne,

Das dich bis jetzt zu jeder Stunde mied:

Mit trotz'gem Muth die Willenskraft dir stähle
Und lerne, strebe vorwärts ohne Rast,

Aufklärend wirke und die Treuen zähle,

Die du mit geist'ger Kraft erworben hast.

Nur blinder Zufall und nur blindes Walten
Vertheilt die Lebensgüter in der Welt,

Du selbst kannst dir dein Schicksal nicht gestalten
Wenn dir des Tages Götze fehlt — das Geld.

Doch giebt's ein Steuer, das durch Sturm und Wellen
Mit Sicherheit uns führt zum fernen Ziel:

Das ist die Macht der Wahrheit! Nie zerschellen
Wird sie im wirren wilden Wogenspiel!

War's eig'ne Kraft, wenn in der Sucht zum Streben
Der Mächt'gen Gunst dich leicht nach oben trug?
Und, Hand auf's Herz, führst du ein glücklich Leben,
Wenn auf dem Volke ruht der Armuth Fluch?

Drum Ehre dem, der in dem Geistesringen
Den Muth noch nie im Daseinskampf verlor,
Der Andern Muth verlieh zum Vorwärtsdringen,

Stets hielt der Freiheit Banner hoch empor!

So lasset, Freunde, uns're Kraft uns üben,

Zu trotzen muthig des Geschickes Schlag
In nns'rer schweren Laufbahn, die zu trüben
Man mehr und mehr sich mühet Tag um Tag;

Noch winkt das Ziel in uugewifser Ferne
Und auch das Glück, das die Enterbten mied;

Vereint nur zwingen wir des Schicksals Sterne,

Kein Einzelner ist seines Glückes Schmied.

Wir halten hoch der Jugend Ideale,

Nur ihnen war der Besten Kraft geweiht,

Vor aller Welt hellleuchtend widerstrahle
Du hehres Bild, des Volkes Einigkeit!
Die Wahrheit siegt! Aus der Geschichte lerne,
Die Vielen schon solch' schweren Kampf beschied,
Auf, auf, Ihr Freunde, in der Näh' und Ferne,
Vereinigt sind wir uusers Glückes Schmied!

I. Hamburgius.

Das Kropfthal.

Von K. W.

Weißt du, meine schöne
Leserin, was ein Kropf
ist? Denjenigen, die da
lieben und leben in den ge-
segneten Tiefebenen Nord-
deutschlands, ist's ein schau-
erliches Geheimniß, —
ie schöner jedoch die Ge-
gend wird, je näher man
den Alpen und dem Boden-
see kommt, um so häufiger
trifft man Vertreterinnen
des schönen Geschlechts, die mit einem Kröpflein,
oft auch mit einem ansehnlichen Kropf, einem
unförmlichen Klumpen am Halse von der Größe
eines Hühnerei's bis zum Kürbis, geziert sind.
Es giebt sogar Gegenden, wo jedes Menschenkind, Männlein und Weib-
lein, mit einem solchen Auswuchs versehen ist und je umfangreicher der
Kropf, um so größer das Ansehen. Der Schultheiß hat in solchen
Orten stets den größten aller Kröpfe.

Aus einer solchen Gegend, das Kropfthal genannt, will ich euch jetzt
eiu Slücklein erzählen, über das ihr ench baß verwundern werdet.

Wer jemals aus dem die Berghöhe krönenden Tannenwald hervor-
trat und die mit ewigem Schnee bedeckten Berge sah, die den südlichen
Eingang des Kropfthals hüten, die zwanzig Bächlein, die, in Schleier-
fällen von der Felskrone über der Alm herniederschwebend, es in hundert-
fachen Windungen durchädern, bald spannbreit, kaum fußtief und krystall-
weiß über einen Mosaik von farbigem Kiesel rinnend, bald mit lasur-
blauen oder smaragdgrünen Wellen das Mühlrad peitschend, der wird,
wenn er aus dem Gewühle der Welt sich in's Hochland zurückziehen will,
sich schwerlich ein reizenderes Asyl wünschen, als dies abgelegene Thal
mit seinen fünf sauberen Dörfern an der Berglehne. Die Kräuter auf
den Matten sind würziger, die Ziegen flinker und die Schafe mit feinerem
f^ließ bekleidet, als anderswo; die Bewohner des Thales sind jedoch mit
Kröpfen gesegnet, ohne Ausnahme. Alles, vom Greise bis zum Säugling,
vom Schultheiß und Schulmeister bis zum jüngsten Gaishirten herunter,
trägt dieselbe Zierde, und der Gaisbua setzt den grünen, mit Alpenblumen
geschmückten Spitzhut darum nicht minder lustig auf's Ohr. Es ist hübsch,
die Leute beim Sonntagstanze oder bei einer Prozession versammelt zu

sehen; der Kropf giebt allen einen verschiedenen Ausdruck: Den Einen
macht er besonders ehrbar und würdevoll, den Andern besonders schelmisch
und sanft. Das Völkchen hat sehr geringen Verkehr mit der übrigen
Welt; es denkt nicht daran und glaubt kaum, daß Millionen Menschen
sich ohne Kropf behelfen müssen.

Vor einigen Jahren kamen zwei Fremde, ein Arzt und ein Maler,
in das kleine Paradies; jener um zu botanifiren, dieser um landschaft-
liche Studien zu machen. Beide beschlossen, einige Zeit zu bleiben, und
fanden gastliche Aufnahme bei dem reichen Hans Sterzing in Ganders-
heim, dessen Tochter für die größte Schönheit des ganzen Thales galt.
Anfangs wurden die beiden Kropflosen wie Meerwunder angestaunt und
belächelt, aber nach wenigen Tagen hatte sich das Publikum au ihren
Anblick gewöhnt, und der Schullehrer verbot der hoffnungsvollen Jugend
auf's Strengste, ihnen mit Geschrei und Gelächter nachzulaufen, indem er
sagte: „Es ist sündhaft, einem Menschen körperliche Mängel vorzuwerfen,
und am Ende könne Einer auch ohne Kropf ein braver Christ sein und
in den Himmel kommen". Dasselbe sagte der Schultheiß und der Müller
in der Schenke, und seitdem wurden der Arzt und der Maler allerseits
mit stiller Theilnahme behandelt. Ersterer aber vergalt diese Freund-
lichkeit schlecht.

Marie Sterzing hatte eine feine Gestalt, ein sanftes Auge mit langen
seidenen Wimpern, und trug ihr Kröpfchen so zierlich wie eine Taube,
wenn sie den Kops zu ihrem Tauber emporhebt und den weißschwellen-
den Hals vorbeugt. Der Arzt nahm ein doppeltes Interesse an dem
Mädchen; er gewann bald ihr und ihrer Mutter Vertrauen und bewies,
daß Marie nur deshalb so schöu sei, weil sie den kleinsten Kropf im
Thale habe. Dieser Grund besiegte die Furcht der Alten und sie willigte
nach langem Sträuben ein, Marie behandeln zu lassen, natürlich in tiefster
Heimlichkeit. Der Arzt glaubte in seiner Kur Fortschritte zu machen und
rieb sich vor Vergnügen die Hände.

„Du bist ein Weltverbesserer und wirst Unheil stiften", sagte der
Maler warnend. Aber der Arzt hörte nicht auf den guten Rath und
braute und filtrirte so lange, bis das Unglück hereinbrach.

Des Müllers Jockel und des Schultheiß' Seppel, gegen welche Marie
in der letzten Zeit auffallend kühl geworden war, belauschten diese beim
Heumähen. Sie sahen, daß sie ein Fläschchen im Busen verborgen trug
und als sie sich unbemerkt glaubte, mit einem in dem Fläschchen ent-
haltenen Zauberwasser sich eilig und eifrig den Hals wusch und darauf
dreimal bekreuzte. Nach einer Stunde ging ein dumpfes Gemurmel
durch's ganze Dorf. Die Väter der eifersüchtigen Burschen saßen bis in
die späte Nacht beim Pfarrer, und am andern Morgen, Sonntags,
predigte dieser über die Neuerer und Ketzer, die den Menschen mit Ge-
walt anders machen wollen, als der liebe Gott ihn erschaffen habe. Er
blieb nicht bei leeren Anspielungen, sondern deutete auf das räudige
 
Annotationen