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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 5.1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.9076#0088
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470

Der Studrenkopf.

Humoreske von W. Küget.

iefe Stille herrscht in dem Atelier des
MalersDoffenbach, der, vor derStasfelei
sitzend, soeben die letzten Pinselstriche
an einem Studienkopfe anbringt, welcher
eine reizende Brünette darstellt. — Jetzt
öffnet sich leise die Thüre des Ateliers
und herein schleicht der reiche Mäcen,
Baron von Weilersberg, dem es gelingt,
dicht hinter den arbeitenden Maler zu
gelangen, ohne daß dieser es bemerkt.
Erschrocken fährt derKüustler zusammen,
als er so unerwartet die von dem hinter
ihm stehenden Baron gesprochenenWorte
vernimmt: „Aeh, äh, mein Lieber, haben
ja da wieder ein prächtiges Kunstwerk
geliefert! Ist wohl zur Ausstellung für
den „Salon" bestimmt? Werden Furore
damit machen, lieber Doffenbach! Ist
wirklich eine ganz phänomenale Leistung,
dieser Studienkopf!"

Doffenbach hat sich bereits halb von
seinem Sitze erhoben, um den Mäcen
begrüßen zu können, doch drückt ihn
dieser wieder auf den Stuhl nieder mit
den Worten: „Bitte, Verehrtester, lassen Sie sich durch mich ja nicht in
Ihrer Arbeit stören! Nnr gestatten Sie mir gütigst, daß ich Ihnen einige
Augenblicke bei derselben zuschauen darf." Der Maler murmelt etwas
wie: „Mir sehr angenehm", und pinselt dann lustig weiter.

Nach Verlauf einer Viertelstunde ist das Bild vollendet, während
welcher Zeit Baron von Weilersberg, das Monokel in's rechte Auge ge-
klemmt, dasselbe ununterbrochen anstarrte, dabei ein über das andere
Mal ausrufend: „Mein Gott, mein Gott, welch ein reizendes Gesichtchen!"

Als der Maler Palette und Pinsel bei Seite gelegt, tritt der Baron
ganz dicht an ihn heran und sagt: „Hören Sie mal, mein lieber Doffen-
bach, ich habe mich so sehr in die Züge des jungen Mädchens verliebt,
daß ich ernstlich gesonnen bin, sie zu meiner Gatlin zu machen. Sie ist
doch aus guter Familie, was? Bitte, verrathen Sie mir, wer Ihr Modell
gewesen ist und wo ich dasselbe finden kann?"

Der Maler zögert lange mit der Antwort, endlich sagt er: „Das
Mädchen ist sehr anständig, und meine Cousine Henriette Bardenfels.
Leider werden Sie ihr aber nicht mehr in Europa begegnen können,
denn sie ist vor einigen Wochen als Erzieherin mit einer amerikanischen
Familie nach Südamerika gereist." — „Teufel, das ist ärgerlich!" ruft
der Baron aus. „Aber ich werde ihr nachreisen; bitte, geben Sie mir
die Adresse dieser Familie!" — „Wie, Sie wollen ihr nach Südamerika
folgen?" fragt der Maler erstaunt. — „Ja, das ist mein fester Entschluß!
Bitte, geben Sie mir die Adresse!" — Als er dieselbe erhalten,
umarmt er Doffenbach und mit dem Ausruf: „Entweder Sie sehen
mich als den Gatten Ihrer himmlischen Cousine, oder nie wieder!"
stürmt der Baron zur Thüre hinaus.

*

5

Eines von jenen entsetzlichen Gewittern, wie sie nur den Tropen
eigen, und gegen welche die unsrigen die reinsten Kinderspiele sind,
ging gerade über der guten Stadt Pernambuco in Südamerika
nieder, als Baron von Weilersberg daselbst das Haus aufsuchte,
in dem laut der Angabe Doffenbach'3 Henriette Bardenfels, die
„himmlische Cousine" als Erzieherin der amerikanischen Familie
wohnen sollte. Trotz seines Regenschirmes wurde er auf dem Wege
dahin dnrch den strömenden Regen doch bis auf die Haut naß und
bereits bangte ihm, er würde durch denselben noch ganz aufgeweicht
werden, als er Plötzlich freudig ausruft: „Gott sei dank, da ist
endlich das Haus, in dem sie, die himmlische Henriette, lebt und
athmet!" — Er reißt an der Klingel und nach wenigen Sekunden
öffnet eine Negerin die Hausthüre. „Ist Fräulein Bardenfels zu
sprechen?" fragt der Baron, ohne zu bedenken, daß die schwarze
Dienerin wohl kaum je Gelegenheit gehabt haben dürfte, deutsche
Sprachstunden zu nehmen. Ein grinsendes Lächeln, bei dem sich
der Mund der Schwarzen von dem einen bis zu dem anderen Ohre
verzieht, ist die einzige Antwort auf die Frage Weilersberg's. Beide
ständen heute wahrscheinlich noch so einander gegenüber, da der
Fragende nur deutsch, die Negerin aber nur spanisch sprach, wenn
nicht plötzlich hinter dieser eine andere Frau, eine Weiße, erschienen
wäre. Diese, die Negerin zur Seite schiebend, fragt den Baron:
„Wen wünschen Sie zu sprechen, mein Herr?" — „Fräulein Henriette
Bardenfels . . .." — „Ah, die Erzieherin meiner Kinder?" fällt die
Dame dem Baron in's Wort. — „Ja, ganz richtig, gnädige Frau,
die Erzieherin Ihrer Kinder, Fräulein Bardenfels, die Cousine des
Malers Doffenbach in Berlin, der mir Ihre Adresse gab, um das Fräu-
lein . . . — „Hier, in Pernambuco aufsuchen zu können?" — „So
ist's, gnädige Frau!" — „Dann bedauere ich sehr, daß Ihnen dies
nicht möglich ist, denn Fräulein Bardenfels weilt gegenwärtig mit meinem
Gatten und meinen Kindern in Rom. Dieselben werden erst bis nächstes

Frühjahr hierher zurückkehren. Es war allerdings ursprünglich beab-
sichtigt, daß wir allesammt von Europa nach Pernambuco heimkehren
sollten, aber der Plan wurde noch in der letzten Stunde abgeändert und
ich reiste allein hierher zurück, während mein Gatte, unsere Kinder und
die Erzieherin in Europa zurückblieben."

Der Baron starrt.der Sprecherin während ihrer Erzählung wie geistes-
abwesend ins Gesicht, und es dauert einige Zeit, bis er sich von dieser
Schreckensnachricht so weit erholt hat, um der Dame für die Auskunft
danken und sich von ihr die Adresse ihres Gatten in Rom geben lassen zu
können. Dann
verabschiedet er
sich von ihr und
nachdem dies
geschehen war,
schlägt er mit
solcher Vehe
menz auf seinen
Zylinder, daß
derselbe in sich
zusammenknallt
und ruft: „Auf
nach Rom!"

» 5

„Roma! Ro-
ma !" schreün
die italienischen
Schaffner, dabei
die Eoupelhü-
ren aufreißend.

„Ah", jubelt
Baron von Wei-
lersberg , als
ihm dieser Ruf
zu Ohren dringt,

„endlich, endlich
bin ich am Ziele
angelangt! Nur
noch wenige Mi-
nuten und ich
werde Henriette,
oh, könnte ich
doch schon sa-
gen, „meine" Henriette sehen!" Er eilt aus dem Coups, fliegt auf eine
am Bahnhof haltende Droschke zu, und sich kaum Zeit nehmend dem
Kutscher: „Alla Strada Viola 27!" zuzurufen, springt er in dieselbe
hinein. Bald darauf hielt der Wageu vor dem Haufe Nr. 27 in der
Strada Viola uud nachdem der Kutscher sein Fahrgeld in Empfang ge-
nommen, reißt der Baron an der Klingel, deren Ton laut durch das
ganze Haus gellt.

Die Hansthür öffnet sich und Weilersberg steht dem Sennor Habuleza
aus Pernambuco, derzeit in Rom, gegenüber. — „Pardon, könnte ich

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vielleicht Fräulein Bardenfels sprechen?" — „Gewiß", antwortet der An-
geredete, und fährt dann in gebrochenem Deutsch fort: „Wenn haben Sie
woll' die Güt' zu treten ein in die Empfangzimmer, dann ich senden
werd' Fräulein zu Sie!" Zehn Minuten sind vergangen, seit der Baron
im Empfangszimmer sitzt und noch ist die Heißersehnte nicht erschienen.
Er rückt ungeduldig auf dem Sessel hin und her — da, endlich lassen
sich Schritte vernehmen, die Thüre öffnet sich und — eine ältere Dame,
die auch keinen Zug von dem Porträt des Malers Doffenbach hat, tritt
in das Zimmer. Weilersberg fühlt sich einer Ohnmacht nahe, als er
 
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