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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 5.1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.9076#0116
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499

Hobelspäh ne.

Manche Leute glauben, sie könnten das Fort-
schreiten der Zeit aufhalten, indem sie die Zeiger
ihrer Uhr zum Stillstehen bringen. Solche Leute
sind die Anhänger des Sozialistengesetzes.

„Auf der zufriedenen und ergebungsvollen
Armuth ruht ein großer Segen", hörte ich
salbungsvoll einen Prediger sagen. Der große
Segen ist aber meist nur ein Kindersegen.

Die europäische Polizei

Vereinigt nach Afrika segelt sie,

Sie duldet nicht länger die Sklaverei,

Die Sache des Menschenrechts regelt sie.

Nun lasse der Lorbeer der Humanität

Daheim auch die Völker uur schlafen nicht;
Daß hier auch das Menschenrecht glorreich besteht,
So züchte man weiße Sklaven nicht.

Das Altersversorgungsgesetz für Arbeiter ist ein Messer ohne Klinge,
dem der Griff fehlt. Und damit will man eine einschneidende Sozial-
reform bewirken?

Der Verein Duslebimbam in Dresden will einen Preis aussetzen auf die
beste Lösung der sozialen Frage. — Da muß ich doch wirklich lachend
meinen Hobel ausklopfen und mit Göthe singen:

Wer dieses Lebens Unverstand
Mit Wehmuth will genießen,

- Der stelle sich ins Sachsenland
Und trample mit den Füßen.

Soeben kriege ich einen Brief vom „langen Christian"*) Herrgott-
sakrament I

An den Denunzianten.

Ich möchte ihm so gerne sagen,

Was für ein großer Lump er ist,

Doch darf ich es versteckt nur wagen,

Da eS so gar gefährlich ist.

Was viele brave Menschen klagen:

Daß ein so großer Schuft er ist,

Wie gerne möcht' ich's ihm offen sagen,

Doch geht es leider nur durch List.

Ihr getreuer

Säge, Schreiner.

*) Er schreibt, daß er an der Briefverwechslung unschuldig sei. Ein Versehen könne
Jedem passiren.

Bismarck als Theologe.

Die Universität Gießen hat den Reichskanzler zum voetor tkeo-
loZiÄS ernannt, damit bei der jetzt überhandnehmenden Frömmigkeit der
Mann, welcher darüber entscheidet, was dem Lande frommt, auch den offi-
ziellen Befähigungsnachweis für die Frömmigkeit besitzt.

Lebensmittcl-Tchmuggel.

Man muß sich zu helfen wissen! Seit der Verkehr mit Lebensmitteln
an der österreichischen Grenze so erschwert ist, daß es den deutschen Grenz-
bewohnern fast unmöglich gemacht wird, die weit billigeren Nahrungsmittel
aus Oesterreich herüber zu holen, geht der Schlosser Wamperl jeden Mittag
über die Grenze, ißt sich drüben tüchtig satt und kehrt dann mit den schon
in Verdauung begriffenen unverzollten Lebensmitteln zurück, ohne daß ihm
die Zollwächter etwas anhaben können.

Tie Kunst, zu hungern.

Ein Hungerkünstler in Barcelona will an sich selbst den Nachweis führen,
daß man 30 Tage lang fasten könne. Ein alter Weber aus Sachsen will
jenen Hungerkünstler jedoch vollständig aus dem Sattel heben, indem er aus
Lohn- und Lebensmittelpreis-Tabellen den Nachweis führt, daß er schon
dreißig Jahre gefastet hat.

Bauern saßen am Abend in der Dorfschenke, um bei einem Krug Bier die
Zeit zu verplaudern, als Plötzlich der Schulmeister in der Schenke erschien.
Das war ein Ereigniß. Er setzte sich mit gewichtiger Miene au den Tisch.

„Wißt Ihr auch schon das Neueste?"

„Was giebt's denn?" srugen mehrere Bauern zugleich.

„Jaja", meinte Meier, „so lebt man in den Tag hinein, während das
Dach über dem Kopfe zusammenzufallen droht".

Die Bauern horchten hoch auf.

„Jawohl", fuhr Meier wie schadenfroh fort, „am 4. November werden
wir ein Erdbeben haben."

„Ein Erdbeben!" Die Bauern sperrten den Mund auf.

„Dies Erdbeben ist von dem berühmten Professor Falb vorhergesagt
worden, der mit seinen Prophezeihungen noch immer das Richtige getroffen
hat. Da steht es in der Zeitung." Und er legte eine Zeitung vor, die in
der That einen Artikel über Or. Falbs Prophezeihungen enthielt.

„Es muß wahr sein", meinte der Moorbauer; „da steht's ja gedruckt,
daß am 4. November ein Erdbeben kommt."

„Und in Hinterhausen", fuhr Meier fort, „wird es ganz besonders heftig
sein. Der Kirchthurm stürzt gleich zusammen und ihr könnt sroh sein, wenn
es nur die Dächer eurer Häuser und nicht auch sofort eure Schädel zer-
trümmert."

„Herrjemineh!" rief der Moorbauer, dessen Haus dicht neben der
Kirche steht.

Jetzt ging der Schulmeister hinaus und ließ die rathlosen Bauern mit
der Zeitung allein. Sie wußten, wie er ganz richtig kalkulirte, sich nicht
anders zu helfen, als daß sie die Dorfhexe riefen, um sich von ihr berathen
zu lassen. Die Alte wurde aus dem Bette geholt und trat ein, Pfiffig mit
ihren Triefäuglein blinzelnd.

„Was will man von mir?" frug sie mit ihrer heiseren Stimme und
stieß mit ihrem Stecken auf den Boden.

„Schau' mich nicht so mit dem bösen Blick an", rief der Moorbauer,
„daß ich nicht einen Leibschaden kriege. Sag uns lieber, wie wir dem Erd-
beben vorbeugen können."

Die Alte las aufmerksam die Zeitung und ließ sich erzählen, was der
Schulmeister gesagt; dann legte sie die Karten und sprach:

„Jaja, ein großes Unglück steht Hinterhausen bevor. Der Kirchthurm
wird einstürzen vom Erdbeben und wird sechs Bauern, drei Ochsen, vier Kühe
und zwei Schafe erschlagen. Das Dorf wird in Brand gerathen und ab-
brennen."

„O weh!" heulten die Bauern.

„Ruhe", sprach die Hexe. „Ihr habt noch ein Mittel, euch zu retten."

„Rede!" schrie der Moorbauer. Die Hexe sah ihn blinzelnd an; dann
sagte sie feierlich:

„In alten Zeiten opferte man, wenn ein Ungeheuer eine Stadt oder ein
Dorf bedrängte, eine schöne Jungfrau. Thut desgleichen und ihr werdet das
Unglück verhüten."

„Da möcht' ich am liebsten meine Alte opfern", rief ein Bauersmann.

„Still", meinte die Hexe. „Ich sehe in den Karten, was ihr zu thun
habt. Das Erdbeben ist das Ungeheuer, der Schulmeister der Held, der euch
retten kann. Einer von euch muß seine Tochter dem Schulmeister zur Frau
versprechen; dann geht der Schulmeister zu dem großen Wettermacher, dem
Professor Falb, und bewegt diesen, daß er das Erdbeben verhindert. Denn
das kann der k)r. Falb ganz allein."

„Moorbauer, Moorbauer!" schrie es von allen Seiten, „Du mußt dem
Schulmeister Deine Tochter geben; die will er haben."

Der Moorbauer kratzte sich hinter den dicken Ohren und sah in diesem
Augenblick großartig dumm aus.

„Moorbauer!" riefen die in ihrem Eigenthum bedrohten Dorfbewohner,
„Du mußt, Du mußt, oder wir dulden Dich nimmer unter uns."

Das Gesicht des Moorbauern wurde immer länger.

„Wenn der Kirchthurm einfält", sagte die Hexe, „so trifft er des Moor-
bauern Haus zuerst."

Das Gesicht des Moorbauern zuckte und er biß sich auf die Lippen; endlich
aber sprach er: „Wenn der Schulmeister das Erdbeben verhindern kann, so
soll er mein Lieschen haben."

Der Schulmeister war an den Professor Falb abgesandt worden, aber
er war noch nicht zurückgekehrt. Der gesürchtete vierte November kam. Am
Abend gegen sechs Uhr sollte die Katastrophe eintreten. Die Bauern flohen
alle hinaus ins freie Feld und nahmen vor Allem ihr Vieh mit; nur die
Hexe blieb im Dorf. Sie läutete in einer alten Kapelle und schauerlich, wie
von einem Armensünderglöcklein, schollen die Glockenschläge durch die Luft.
Es schlug langsam sechs Uhr und die Bauern erwarteten jeden Augenblick
ihren Kirchthurm stürzen zu sehen. — Da kam der Schulmeister Meier an-
gerannt und hielt ein Schreiben hoch in der Hand.

„Gerettet!" rief er und stürzte auf Lieschen zu, die er stürmisch an seine
Brust drückte, ohne daß der Moorbauer einschritt.

„Nun bist Du mein!" flüsterte er ihr in's Ohr und tanzte mit ihr im
Kreise herum.

„Da steht's", rief er, „der Professor Falb läßt das Erdbeben in Afrika
los, so daß man in Hinterhausen gar nichts davon verspürt."

Richtig stand so in dem Brief zu lesen und die Bauern konnten freilich
nicht prüfen, ob Or. Falb das wirklich geschrieben hatte. Aber sie trauten
sich doch erst nach einigen Stunden in das Dorf; einige brachten sogar die
Nacht im Freien zu.

Der erste Besuch des glücklichen Brautpaares galt der alten Hexe.

„Seht, Kinder", sagte die Alte lächelnd, „eine Hexe kann auch Gutes
stiften."

„Ihr habt Eure Sache gut gemacht", meinte Meier und drückte ihr ein
paar harte Thaler iu die Hand, „aber vor ein paar hundert Jahren wäret
Ihr doch verbrannt worden."

„Glaub's wohl", meinte die Hexe lachend. „Aber diesmal hat sich der
Moorbauer gebrannt."
 
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