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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 5.1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.9076#0124
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507

Frühling in: Winter.

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s war Weihnachtabend. Von den Kirchtürmen ver-
kündeten die Glocken die siebente Stunde. Dichter
Nebel hatte sich in den Straßen hernieder gesenkt,
so daß die Laternen gespenstisch wie große feurige
Augen aus dem grauen Dunst hervorleuchteten. In
den Verkaufsläden drängten sich noch die Käufer, um
alsbald beladen mit allerlei Packeten nach Hause zu
eilen. Auch zwischen den Krambuden des Weihnachtmarktes ging es noch ziemlich
lebhast her, wo der Proletarier seine kleinen Einkäufe macht, um der
Frau und den Kindern noch eine bescheidene Freude zu bereiten. Die Ver-
käufer priesen, manche freilich schon mit heiserer Stimme, die Mannigfaltig-
keit und Preiswürdigkeit ihrer Waare, und das disharmonische Geräusch der
verschiedenen Kinderspielzeuge, dazu hie und da der würzige Geruch der zum
Verkaufe ausgestellten Tannen bildeten das seltsame Etwas, welches auch in
unserem Gemüthe, als wir Kinder waren, alle jene unbestimmten Hoff-
nungen rege machte, mit welchem wir in jedem Jahre dem Weihnachtsfeste
entgegen gingen.

Durch die sich schon mehr lichtende Menge der Käufer oder Neugierigen
schritt bedächtig die wohlgebaute kräftige Gestalt eines noch jungen Mannes
in Arbeiterkleidung. Der breitkämpige, schwarze Filzhut, ein joviales Gesicht
mit wohlgepflegtem dunkeln Schnurrbarte, das kurze Wamms und die hellen,
vom Kalkstaube weißgefärbten Beinkleider ließen in ihrem Träger sofort einen
Angehörigen des ehrsamen Maurerhandwerks erkennen.

Fritz Buchwald, so heißt unser neuer Bekannter, gedachte seinen Logis-
leuten, einem schon bejahrten kinderlosen Ehepaare, eine kleine Freude zu be-
reiten. Für die beiden Alten hatte er schon seine Gaben in der Tasche, doch
auch der alte Pudel Murri, auf den die guten Leute so viel hielten, sollte seine
Freude haben, deshalb wurde in einer Bude noch ein neues Halsband gekauft.

Mit rüstigen Schritten vorwärts strebend und im Begriffe, um die nächste
Straßenecke zu biegen, rennt er Plötzlich mit einem weiblichen Wesen zusammen,
in welchem er ans den ersten Blick ein hübsches, gleichfalls mit Sachen ver-
schiedener Art bepacktes Dienstmädchen erkennt. Beide blicken sich erschreckt
einen Augenblick an, aber als sie ihm in das freundlich wie um Entschuldigung
bittende Auge geschaut, schreit sie leicht auf und eilt flüchtigen Fußes quer
über die Straße, als wolle sie einem Schreckensbilde entfliehen.

Erstaunt und etwas verblüfft zugleich schaut Fritz ihr nach. Freilich
sieht er nur noch, soweit der Schein der nächsten Laterne reicht, etwas von
ihrem weißen Strumpfe, dann entschwindet die flüchtige Gestalt seinen Augen.

„Diese Aehnlichkeit", brummt er, „aber nicht möglich, daß sie es ist,
mit der ich damals auf dem Kriegerball so flott tanzte und die ich als meine
heimliche Liebe bis jetzt immer im Herzen getragen. Unmöglich! Ich habe
meine schöne Tänzerin von damals für etwas „Höheres" gehalten!"

Unter solchen Gedanken und Betrachtungen besteigt Fritz den Waggon
der Pferdebahn und bald klettert er in einem Arbeiterquartiere die vier
Treppen zu seiner Wohnung empor. Erst seit wenigen Wochen wohnt er
bei den Leuten, doch sühlt er sich recht wohl in seinem Logis. Sein Quartier-
wirth, der Schneider Paul Held, der als Hausarbeiter für ein großes
Schneidermagazin arbeitete und nebenher etwas Privatkundschast hatte, war
ein seelengutes Kerlchen, wenn auch zuweilen ein etwas wunderlicher Kauz,
besonders wenn er auf seine Heldenthaten im schleswig-holsteinischen Kriege
zu reden kam, welchen er seiner Zeit mitgemacht hatte. Deshalb hatte er
aber auch seinen neuen Einwohner ins Herz geschlossen, mit dem sich über
militärische Dinge reden ließ und der zuweilen mit kindlicher Geduld, wenn
auch nicht ohne den Schelm im Nacken, seinen Erzählungen Gehör schenkte.
Seine getreue Ehehälfte hatte bald erkannt, daß der jetzige Einwohner ein braver
Junge sei, wie sie sich einen besseren als Hausgenossen nicht wünschen könne,
und deßhalb suchte sie ihm die Mutter zu ersetzen, wie und wo sie es irgend
nur vermochte. Als jetzt Fritz Buchwald nach Hause kam, empfing sie ihn
allein, da ihr Mann noch fertige Arbeit abliefern gegangen war, und Murri
sprang schmeichelnd an ihm empor, lüstern seine Taschen beschnuppernd.

Doch immer noch gedankenvoll ob der unerwarteten Begegnung achtete

heute der junge Mann kaum des freundlichen Enrpsanges, sondern beschritt
geradewegs sein sauberes und anheimelndes Zimmer.

„Na, laß ihn man", murmelte die Frau Wirthin, „heute ist Weihnacht-
abend. Er denkt wohl an seine Mutter zu Hause, da soll man ihn nicht stören."

Fritz aber ging unterdeß, immer noch nachdenklich, in seiner Klause auf
und ab, entledigte sich nach und nach seiner Arbeitskleider, nahm aus dem
Schrank seine Sonntagskleider und begann sich zu schmücken wie zu einer
besonderen Feier. Er wußte es selber nicht, warum, hatte er doch eigentlich
gar nicht mehr die Absicht gehabt, heute noch auszugehen.

Lange saß er dann noch in Gedanken an eine frühere Zeit. Er erinnerte
sich daran, daß er eigentlich nur deshalb sich dazu hergegeben hatte, Unter-
osfizier zu werden, um in seiner Kompagnie nicht einen andern, sogenannten
Soldatenschinder obenauf kommen zu lassen, und wie er dann später allen
Lockungen auf Weiterdienen aus dem Wege gegangen und es vorgezogen,
lieber in die Reihen seiner Handwerkskameraden zurückzukehren, um mit ihnen
gemeinsam eine bessere Zukunft des Arbeiterstandes zu erringen.

Mütterchen Held aber ging geschäftig hin und her, ihre Wohnung auf-
räumend, vor allen Dingen die Spuren der Thätigkeit ihres Mannes beiseite
zu schaffen, um dann ein kleines Abendbrot herzurichten; hatte sie doch sogar
von ihrem Krämer, bei welchem sie einkaufte, zu Weihnacht nach guter alter
Sitte eine Flasche Wein geschenkt erhalten. „Wenn nur der Alte bald nach
Hause kommen möchte! Nicht wahr, mein Murri? Ja, der geht gewiß erst
in die Kneipe. Na, es mag ihm ja auch gegönnt sein, wenn er nur nicht
zu lange bleibt!"

Doch horch, jetzt kommt Jemand die Stiege herauf. Der Pudel springt
mit kurzem freudigem Bellen zur Thür. Doch das ist noch nicht der Herr
Schneidermeister Held, sondern jugendliche Schritte nähern sich und als die
Thür sich öffnet, begrüßt eine wohllautende Stimme die alte Frau mit einem
herzlichen:

„Guten Abend, liebes Tantchen!"

„Sieh — sieh, Marie! Wie lieb und gut, daß Du uns heute besuchst!"
bewillkommnet Frau Held das hübsche Mädchen, welche soeben hereintritt.

„Ach, seid mir nur nicht böse, daß ich so lange nicht bei Euch war. Da
aber meine Gnädige immer krank war, konnte ich gar nicht abkommen.
Jetzt geht es ja gottlob besser. Sie sind heute Abend zu ihren Kindern
gefahren und so habe ich Erlaubniß, auszugehen, und siehst Du, liebes
Tantchen, mein erster Gang ist zu Euch!"

„Und das ist brav von Dir, ich dachte schon, Du hättest einen heimlichen
Schatz, oder denkst Du immer noch an Deinen hübschen Unteroffizier?"

„Mein Unteroffizier? Ach ich habe ja nur einen Abend mit ihm
getanzt auf dem Ball, wo meine Freundin mich eingeführt."

„Hast Du ihn denn nie wiedergesehen?"

„Ach, Tante, denke Dir meinen Schrecken! Vorhin hatte ich noch etwas
zu besorgen für meine Herrschaft und als ich wieder nach Hause will, renne
ich an der Ecke mit einem Maurer zusammen und der sah „ihm" so ähnlich!
Ich bin schnell fortgelaufen, aber ich glaube, er hat mir noch nachgesehen!"

„Pst, Kind, nicht so laut! Warum kein Maurer? Das sind eben so
brave Leute als andere, und unser jetziger Einwohner ist auch einer. Ach,
den hast Du noch gar nicht gesehen! Besser wünsche ich mir keinen! Aber
jetzt komm, Marie, nimm Deinen Mantel ab. So! Ei der Tausend, heute
hast Du Dich aber schön gemacht — ganz wie eine kleine Dame!"

In diesem Augenblicke verkündet ein Geräusch, daß Herr Held in höchst-
eigener Person sich seiner erhabenen Behausung nähert und ein sröhliches:
„Guten Abend, Alte!" zeigt an, daß sich der gestrenge Hausherr in heiterster
Laune befindet. „Potz Bombenelement!" fügt er hinzu, „da soll mir doch einer
die Kanone gleich mit zehn Preßgeschirren auf einmal laden! Das ist ja unsere
Marie! Na, willkommen, freut mich, daß Du Dich auch wieder einmal und
gerade heute sehen läßt, dachte schon, müßte mit Muttern allein den Heitigen-
abend verbringen."

Marie packte jetzt ihre kleinen Geschenke aus, die sie den beiden Alten
mitgebracht hatte. Mit freundlichem Lachen wies sie die Dankesworte der
guten Leute zurück.

Der treue Pudel Murri hat unterdeß immer an der Thür geschnuppert,
welche zum Zimmer führt, in welchem wir unfern Fritz Buchwald seinen
Betrachtungen und Vorbereitungen zum Weihnachtsfeste überlassen haben.

Jetzt erscheint er selber auf der Schwelle, in der Hand einen Weih-
nachtsbaum. Aber wie angewurzelt bleibt er stehen und vergißt ganz seine
Anrede, als er die junge Dame gewahr wird, welche verwirrt und verlegen
Miene macht, sich hinter ihre Tante zu flüchten.

„Nun, Kinder", meint diese, „was ist denn das mit Euch?"

„Ich", stottert dieser, „ich wollte nur unserm Murri etwas bringen."

„So? Einen Weihnachtsbaum gar? Na, na", meinte der Meister,
„stille Wasser haben tiefen Grund, und mit Euch Beiden ist entweder etwas
nicht in Ordnung oder es ist bereits in Ordnung. Aber jetzt, Kinder, setzt
Euch, kommt nun und laßt uns fröhlich sein!"

Bald ist die kleine Runde vereint und Tante Held weiß es natürlich
so zu machen, daß das junge Paar nicht getrennt bleibt. Die Unterhaltung
unserer Freunde, zuerst noch etwas einsilbig, belebt sich allmälig, als man
ein Gläschen auf gegenseitiges Wohlsein getrunken.

Marie wagt es zuweilen, verstohlen den Einwohner ihrer Tante zu
mustern und dieser erlaubt sich endlich die Frage:

„Mein Fräuleiu, ich glaube, ich habe bereits früher das Vergnügen
gehabt, Sie zu sehen."

Marie, bis unter die Haare erröthend, meint, verschämt vor sich nieder
blickend: „Ach, Herr Buchwald, ich bin ja gar kein Fräulein, ich bin ja nur ein
Dienstmädchen."

„O, ist's möglich! Da haben wir uns schon heute Abend getroffen?
Und ich Ungeschickter hätte Sie bald umgerannt!"
 
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