Jahrg. IV, Nr. 39 vom 28. September 1930
WELTKUNST
Die Expertise
Beiträge zur Diskussion des Problems
In Fortsetzung der von uns in Nr. 33 der „Kunst-
auktion" mit dem Vorschlag von Dr. Lapp-Rottmann
eröffneten Diskussion zur Expertisenfrage bringen
wir heute nach den vorhergehenden Äusserungen
von Geheimrat Friedländer (Nr. 33), Prof. Dr.
Schottmüller, Dr. Gold und den technischen
Erläuterungen von C. Brandmayer (Nr. 34),
Prof. W i n k 1 e r, Hofrat G. Glück und einer
Replik von Dr. Lapp-Rottmann (Nr. 35),
von Sir Charles J, Holmes K.C.V.O. (London),
Prof. Dr. Koetschau und Dr. J. S t r a n s k y,
New York (Nr. 36), von Hofrat Prof. Tietze
(Wien), einer Antwort von Dr. A. Gold, einer
Zuschrift von Dr. Rudolf Heinemann-Fleisch -
mann, München (Nr. 37), und von Prof. Dr. Julius
Baum, Ulm (Nr. 38), weitere Beiträge von Prof.
Dr. Otto Fischer (Basel) und Dr. J. B. de I a Fa i 11 e
(Amsterdam).
des weltfremden, aber unbestechlichen Ge-
lehrten mehr Bestand haben, als der mer-
kantil verwertbare Taufschein des gewerbs-
mäßigen Expertisenmachers. Es kommt auch
nicht darauf an, daß unbedingt ein großer
Meistername ausgesprochen wird, wenn das
Werk dafür kunstgeschichtlich um so sicherer
eingereiht, evtl, auch das Für und Wider der
möglichen Zuschreibungen objektiv dargelegt
ist. Es kommt zuleßt doch nicht auf Namen,
sondern auf die künstlerische Bedeutung an,
die das Werk in sich selber hat. Diese kann
aber nicht Gegenstand der Expertise sein,
sondern muß durch sich selber wirken.
2. Die Expertise soll eine genaue Beurtei-
lung des Erhaltungszustandes des
Kunstwerks enthalten. Dieser ist künstle-
risch wie auch kommerziell ebenso wichtig,
wie die kunsthistorische Eingliederung. Die
erfahren haben, kritisch und exakt festzu-
stellen. Händler und Käufer werden eben-
falls ihren Vorteil davon haben.
3. Die Expertise soll eine, sei es auch nur
kurze, Begründung des von dem Gut-
achter abgegebenen Urteils enthalten. Mit
dem apodiktischen Wahrspruch des großen
Mannes, der sich auf Erfahrung und Intuition
beruft, ist in Wahrheit niemand gedient und
jedem Mißbrauch das Tor geöffnet. Wird
diese Forderung erfüllt, so werden vielleicht
weniger, aber dafür auch gründlichere und
zuverlässigere Gutachten geschrieben werden.
Ich kann mich in diesem Punkt den in der-
selben Richtung gehenden Ausführungen in
den früheren Nummern der „Kunstauktion“
nur anschließen.
Ich glaube nicht, daß diese Forderungen
utopisch oder unpraktisch sind. Jeder Be-
teiligte hat ein großes Interesse daran, daß
das jeßt herrschende Expertisenunwesen in
ein vernünftiges und anständiges Expertisen-
wesen verwandelt wird. Gewissenlose Exper-
tisenmacher schaufeln sich auf die Dauer doch
nur ihr eigenes Grab, das Vertrauen der
Käufer wie der Händler ist heute schon
schwer erschüttert. Es kann für den Kunst-
Prof. Dr. Otto Fischer:
Es ist eine Tatsache, daß es unter Kunst-
historikern und Kunstschriftstellern heute
zehn oder zwölf Herren gibt, die „wirksame
Expertisen ausstellen“. Unter diesen zehn
oder zwölf Aposteln sind einige wirklich
große Kenner, mehrere treffliche Spezialisten
auf bestimmten Gebieten, aber mindestens
ebensoviele Pfuscher, die ihren Ruf ledig-
lich ihren geschäftlichen Talenten und ihren
engen Verbindungen mit dem Kunsfhandel
verdanken. Ich habe von diesen schon die
leichtfertigsten und unbegreiflichsten Gut-
achten in Händen gehabt. Aber auch der
beste Kenner ist durch das Expertisenweseh
großen Gefahren ausgeseßt; vor allem der,
auf einem Gebiete ein Urteil abzugeben, das
er troß eines umfassenden und gut ge-
schulten Blicks eben doch nicht gründlich
beherrscht, und der anderen, zu rasch und
flüchtig zu verfahren. Er ist sich oft „der
dauernden Gefahr, in der der Kenner
schwebt", nicht genügend bewußt oder er
treibt wissentlich Mißbrauch mit seinem zu
Recht oder zu Unrecht erworbenen Namen.
Diesem Ubelstand abzuhelfen, liegt im Inter-
esse des Kenners selber so sehr, wie in dem
des anständigen Kunsthandels und des
Käufers.
Den Vorschlag eines Ehrengerichts halte
ich nicht für praktisch. Es könnte doch nur
in besonders krassen Fällen nachweisbarer
Unredlichkeit oder Leichtfertigkeit einen
„wirksamen“ Spruch tun. Auf einem Gebiet,
wo sich sehr große materielle Interessen,
persönliche Beziehungen aller Art, ideelle
Motive (z. B. Förderung des eigenen
Museums), Ehrgeiz und Eitelkeit, Leichtsinn
und Flüchtigkeit, Stimmung und Laune, Kennt-
nis und Unkenntnis hundertfach verschlingen,
sind aber die Fäden meist viel zu fein ge-
Die ganze Welt der Kunst liest die
WELTKUNST
spönnen, als daß sie ein Ehrengericht wirk-
lich entwirren könnte. Es würden also doch
nur die Kleinen gehängt, die Großen aber
laufen gelassen. Dagegen halte ich folgende
Forderungen, die vom Eiandel wie vom
Käufer an eine „wirksame“ Expertise zu
stellen wären, für wichtig:
1. Die Expertise soll von dem besten
Kenner des betreffenden Spezialge-
biets ausgestellt sein, gleichgültig, ob
dieser der bekannten Apostelzahl der markt-
gängigen und „wirksamen“ Experfisenmacher
angehört oder nicht. Käufer und Händler
sollten sich darüber klar sein, daß jedes
Gutachten um so wertvoller ist, je gründlicher
die Kenntnisse und Erfahrungen des Ver-
fassers gerade auf diesem seinem engsten
Arbeitsfelde sind und je unabhängiger sein
Urteil. Auf die Dauer wird das weniger
„wirksame" und weniger lobende Gutachten
Goya, Portrait von Goyas’s Arzt Dr. Stafford
Leinwand, 69,5 : 54,7 cm
Galerie Bachstitz, Berlin
Goya, Portrait du medecin de l'artiste, le docteur Stafford
Toile, 6g,5 : 54,7 cm
Galerie Bachstitz, Berlin
Goya, Portrait of the artist’s physician, Dr. Stafford
Canvas, 6g,5 by 54,7 cent
In the Bachstitz Gallery, Berlin
meisten Expertisen lassen aus guten Gründen
diesen Punkt ganz außer acht, einmal weil
es dem Besißer unbeguem ist, die oft vor-
handenen Mängel festgestellt zu sehen, dann
aber auch, weil die Gutachter selber hier
allzu häufig versagen. Es wird aber gerade
für diese sehr nüßlich sein, wenn sie ge-
nötigt sind, sich mit dem Werk gründlich zu
beschäftigen und die vielerlei Verände-
rungen, die besonders alte Kunstwerke oft
handel wie für den Sammler nur förderlich
sein, wenn die Seifenblase der großen
Namen zerplaßt und eine neue Sachlichkeit
an ihre Stelle tritt. Es ist aber auch für den
größten Kenner nüßlich, wenn er seine
Grenzen erkennt und mit Bescheidenheit in
ihnen sein Genügen findet. Es wird dann
keinen Ring der zehn oder zwölf Apostel
mehr geben, aber dafür mehr anständige
und gründliche Arbeit. Auch die unkontrol-
lierbaren Beziehungen zwischen Wissenschaft
und Handel werden dann etwas weniger
unkontrollierbar und „wirksam“ sein.
Dr. J. B. de la Faille:
Schon früher habe ich mich in der „Kunst-
chronik“ (Nr. 16, 18. Juli 1925) zu dieser heiklen
Angelegenheit geäußert. Ich schrieb damals
u. a.:
Die Verwirrung auf dem Gebiete der Gut-
achten für alte und moderne Gemälde und für
andere Kunstgegenstände ist im Wachsen be-
griffen. Schon zu lange dauert eine Verwir-
rung, die eine Verbesserung, ja eine umstür-
zende Veränderung dringend erheischt. Das
Publikum verliert das Vertrauen beim Kaufen
von Kunstgegenständen, es verlangt Zertifi-
kate, Beweise der Herkunftsechtheit und
schriftliche Garantien. Früher kaufte man die
Kunst um der Kunst willen; man war selber
Sachverständiger und erwarb das, was man
schön fand, ohne sich allzusehr um die mög-
liche Echtheit oder Zuschreibung zu beküm-
mern. Das heutige Publikum ist verändert.
Jene, die um der Schönheit und allein um ihret-
willen kaufen, sind Ausnahmen geworden, die
Mehrzahl kauft aus anderen Beweggründen.
Man will in erster Linie für sein Geld Ware
haben — Gewißheit, daß ein altes Gemälde
wirklich alt ist —, daß ein Gemälde, welches
man als einen Rembrandt oder Hals kaufte,
ein paar Jahre später nicht wieder Boi oder
Leyster genannt wird und folglich hinsichtlich
seines Geldwertes beträchtlich sinkt. Hierbei
füge ich sogleich hinzu, daß es natürlich nie-
mals möglich ist, ein einigermaßen fragwürdi-
ges Gemälde ein für allemal diesem oder
jenem Meister zuzuschreiben, so daß eine
spätere Änderung in der Zuschreibung voll-
kommen ausgeschlossen wäre. Eingehendes
Quellenstudium, Entdeckungen in Archiven und
notariellen Aufzeichnungen, sowie der Fort-
schritt in der Stilkritik, dies alles wird noch
viele Überraschungen mit sich bringen und die
herrschenden Meinungen ändern, wohl aber
muß und kann das Publikum so sehr als mög-
lich geschüßt werden vor Betrug, Verfälschun-
gen oder unkundiger Belehrung. Den heutigen
Käufern alter oder moderner Kunst fehlt zu-
meist aus begreiflichen Gründen die Zeit, sich
in sfilkritische Betrachtungen zu vertiefen.
Aber ob sie nun zu einem Kunstgegenstand
aus ästhetischen Ursachen, aus Überlegungen
spekulativer oder snobistischer Art, aus Be-
dürfnis, ihr Geld anzulegen, aus reiner Sam-
melwut hingezogen werden — alle haben
Recht auf Belehrung, sofern sie nach einer
solchen verlangen.
In fünf Jahren hat sich dieser Zustand nicht
gebessert. Im Gegenteil, die Anzahl der
(Fortseßung auf Seite 24)
Ein Bildnis
von Goya
Das Bildnis von Goyas Arzt Dr. Stafford
aus dem Besiß der Galerie Bachstiß, das, in
der Fachliteratur oft erwähnt, aus der ehe-
maligen Sammlung Friß von Gans stammt und
von uns nebenstehend wiedergegeben wird,
gehört der mittleren Zeit des Meisters an und
dürfte um 1790 entstanden sein. Vor dem
graugrünen, nach links hin dunkler getönten
Hintergrund ist der Dargestellte als Halbfigur,
in Dreiviertelansicht vor einem Tisch sißend,
gegeben. Der linke Arm hängt hinter der
Lehne des rötlich-braunen Stuhles herab, die
rechte Hand hält ein braunes Buch. Langes,
silbergraues Haar umgibt die hohe Stirn. Die
Gesichtsfarbe ist frisch, die Nase kräftig, der
Mund schmal; über dunklen, scharf blickenden
Augen spannen sich dunkle Brauen. Die
Kleidung besteht aus einer weißen, am Saum
goldbestickten Weste und einem bräunlichen
Rock, das weiße Halstuch endigt in ein Jabot,
das über die Weste fällt.
Im ganzen weist das schöne Bildnis die
schlichte Charakteristik, die helle, blasse Be-
leuchtung und die sorgfältige Malweise der
mittleren Periode Goyas auf und stellt sich als
ein tüchtiges Werk dieser Zeit um 1790 dar.
Die psychologische Erfassung des Modells, das
Stetige im Blick der Augen des Dargestellten
verleihen dem Gemälde eine besonders ein-
dringliche und prägnante Wirkung. Kb.
LAMBERTUS DEVRIES&ClE.
Filter /finiter
BERLIN W 10, VIKTORIASTRASSE 30
PREUSSISCHE AKADEMIE DER KÜNSTE - BERLIN W8 • PARISER PLATZ 4
Ausstellung
von
MEISTERWERKEN
AUS DEN
PREUSSISCHEN SCHLÖSSERN
(veranstaltet von der Verwaltung der Staatlichen Schlösser
und Gärten in Gemeinschaft mit der Akademie der Künste)
27. SEPTEMBER BIS END E NOVEMBER 1930
GEÖFFNET TÄGLICH (AUCH SONNTAGS) VON 10-5UHR
Eintritt 1.50RM
WELTKUNST
Die Expertise
Beiträge zur Diskussion des Problems
In Fortsetzung der von uns in Nr. 33 der „Kunst-
auktion" mit dem Vorschlag von Dr. Lapp-Rottmann
eröffneten Diskussion zur Expertisenfrage bringen
wir heute nach den vorhergehenden Äusserungen
von Geheimrat Friedländer (Nr. 33), Prof. Dr.
Schottmüller, Dr. Gold und den technischen
Erläuterungen von C. Brandmayer (Nr. 34),
Prof. W i n k 1 e r, Hofrat G. Glück und einer
Replik von Dr. Lapp-Rottmann (Nr. 35),
von Sir Charles J, Holmes K.C.V.O. (London),
Prof. Dr. Koetschau und Dr. J. S t r a n s k y,
New York (Nr. 36), von Hofrat Prof. Tietze
(Wien), einer Antwort von Dr. A. Gold, einer
Zuschrift von Dr. Rudolf Heinemann-Fleisch -
mann, München (Nr. 37), und von Prof. Dr. Julius
Baum, Ulm (Nr. 38), weitere Beiträge von Prof.
Dr. Otto Fischer (Basel) und Dr. J. B. de I a Fa i 11 e
(Amsterdam).
des weltfremden, aber unbestechlichen Ge-
lehrten mehr Bestand haben, als der mer-
kantil verwertbare Taufschein des gewerbs-
mäßigen Expertisenmachers. Es kommt auch
nicht darauf an, daß unbedingt ein großer
Meistername ausgesprochen wird, wenn das
Werk dafür kunstgeschichtlich um so sicherer
eingereiht, evtl, auch das Für und Wider der
möglichen Zuschreibungen objektiv dargelegt
ist. Es kommt zuleßt doch nicht auf Namen,
sondern auf die künstlerische Bedeutung an,
die das Werk in sich selber hat. Diese kann
aber nicht Gegenstand der Expertise sein,
sondern muß durch sich selber wirken.
2. Die Expertise soll eine genaue Beurtei-
lung des Erhaltungszustandes des
Kunstwerks enthalten. Dieser ist künstle-
risch wie auch kommerziell ebenso wichtig,
wie die kunsthistorische Eingliederung. Die
erfahren haben, kritisch und exakt festzu-
stellen. Händler und Käufer werden eben-
falls ihren Vorteil davon haben.
3. Die Expertise soll eine, sei es auch nur
kurze, Begründung des von dem Gut-
achter abgegebenen Urteils enthalten. Mit
dem apodiktischen Wahrspruch des großen
Mannes, der sich auf Erfahrung und Intuition
beruft, ist in Wahrheit niemand gedient und
jedem Mißbrauch das Tor geöffnet. Wird
diese Forderung erfüllt, so werden vielleicht
weniger, aber dafür auch gründlichere und
zuverlässigere Gutachten geschrieben werden.
Ich kann mich in diesem Punkt den in der-
selben Richtung gehenden Ausführungen in
den früheren Nummern der „Kunstauktion“
nur anschließen.
Ich glaube nicht, daß diese Forderungen
utopisch oder unpraktisch sind. Jeder Be-
teiligte hat ein großes Interesse daran, daß
das jeßt herrschende Expertisenunwesen in
ein vernünftiges und anständiges Expertisen-
wesen verwandelt wird. Gewissenlose Exper-
tisenmacher schaufeln sich auf die Dauer doch
nur ihr eigenes Grab, das Vertrauen der
Käufer wie der Händler ist heute schon
schwer erschüttert. Es kann für den Kunst-
Prof. Dr. Otto Fischer:
Es ist eine Tatsache, daß es unter Kunst-
historikern und Kunstschriftstellern heute
zehn oder zwölf Herren gibt, die „wirksame
Expertisen ausstellen“. Unter diesen zehn
oder zwölf Aposteln sind einige wirklich
große Kenner, mehrere treffliche Spezialisten
auf bestimmten Gebieten, aber mindestens
ebensoviele Pfuscher, die ihren Ruf ledig-
lich ihren geschäftlichen Talenten und ihren
engen Verbindungen mit dem Kunsfhandel
verdanken. Ich habe von diesen schon die
leichtfertigsten und unbegreiflichsten Gut-
achten in Händen gehabt. Aber auch der
beste Kenner ist durch das Expertisenweseh
großen Gefahren ausgeseßt; vor allem der,
auf einem Gebiete ein Urteil abzugeben, das
er troß eines umfassenden und gut ge-
schulten Blicks eben doch nicht gründlich
beherrscht, und der anderen, zu rasch und
flüchtig zu verfahren. Er ist sich oft „der
dauernden Gefahr, in der der Kenner
schwebt", nicht genügend bewußt oder er
treibt wissentlich Mißbrauch mit seinem zu
Recht oder zu Unrecht erworbenen Namen.
Diesem Ubelstand abzuhelfen, liegt im Inter-
esse des Kenners selber so sehr, wie in dem
des anständigen Kunsthandels und des
Käufers.
Den Vorschlag eines Ehrengerichts halte
ich nicht für praktisch. Es könnte doch nur
in besonders krassen Fällen nachweisbarer
Unredlichkeit oder Leichtfertigkeit einen
„wirksamen“ Spruch tun. Auf einem Gebiet,
wo sich sehr große materielle Interessen,
persönliche Beziehungen aller Art, ideelle
Motive (z. B. Förderung des eigenen
Museums), Ehrgeiz und Eitelkeit, Leichtsinn
und Flüchtigkeit, Stimmung und Laune, Kennt-
nis und Unkenntnis hundertfach verschlingen,
sind aber die Fäden meist viel zu fein ge-
Die ganze Welt der Kunst liest die
WELTKUNST
spönnen, als daß sie ein Ehrengericht wirk-
lich entwirren könnte. Es würden also doch
nur die Kleinen gehängt, die Großen aber
laufen gelassen. Dagegen halte ich folgende
Forderungen, die vom Eiandel wie vom
Käufer an eine „wirksame“ Expertise zu
stellen wären, für wichtig:
1. Die Expertise soll von dem besten
Kenner des betreffenden Spezialge-
biets ausgestellt sein, gleichgültig, ob
dieser der bekannten Apostelzahl der markt-
gängigen und „wirksamen“ Experfisenmacher
angehört oder nicht. Käufer und Händler
sollten sich darüber klar sein, daß jedes
Gutachten um so wertvoller ist, je gründlicher
die Kenntnisse und Erfahrungen des Ver-
fassers gerade auf diesem seinem engsten
Arbeitsfelde sind und je unabhängiger sein
Urteil. Auf die Dauer wird das weniger
„wirksame" und weniger lobende Gutachten
Goya, Portrait von Goyas’s Arzt Dr. Stafford
Leinwand, 69,5 : 54,7 cm
Galerie Bachstitz, Berlin
Goya, Portrait du medecin de l'artiste, le docteur Stafford
Toile, 6g,5 : 54,7 cm
Galerie Bachstitz, Berlin
Goya, Portrait of the artist’s physician, Dr. Stafford
Canvas, 6g,5 by 54,7 cent
In the Bachstitz Gallery, Berlin
meisten Expertisen lassen aus guten Gründen
diesen Punkt ganz außer acht, einmal weil
es dem Besißer unbeguem ist, die oft vor-
handenen Mängel festgestellt zu sehen, dann
aber auch, weil die Gutachter selber hier
allzu häufig versagen. Es wird aber gerade
für diese sehr nüßlich sein, wenn sie ge-
nötigt sind, sich mit dem Werk gründlich zu
beschäftigen und die vielerlei Verände-
rungen, die besonders alte Kunstwerke oft
handel wie für den Sammler nur förderlich
sein, wenn die Seifenblase der großen
Namen zerplaßt und eine neue Sachlichkeit
an ihre Stelle tritt. Es ist aber auch für den
größten Kenner nüßlich, wenn er seine
Grenzen erkennt und mit Bescheidenheit in
ihnen sein Genügen findet. Es wird dann
keinen Ring der zehn oder zwölf Apostel
mehr geben, aber dafür mehr anständige
und gründliche Arbeit. Auch die unkontrol-
lierbaren Beziehungen zwischen Wissenschaft
und Handel werden dann etwas weniger
unkontrollierbar und „wirksam“ sein.
Dr. J. B. de la Faille:
Schon früher habe ich mich in der „Kunst-
chronik“ (Nr. 16, 18. Juli 1925) zu dieser heiklen
Angelegenheit geäußert. Ich schrieb damals
u. a.:
Die Verwirrung auf dem Gebiete der Gut-
achten für alte und moderne Gemälde und für
andere Kunstgegenstände ist im Wachsen be-
griffen. Schon zu lange dauert eine Verwir-
rung, die eine Verbesserung, ja eine umstür-
zende Veränderung dringend erheischt. Das
Publikum verliert das Vertrauen beim Kaufen
von Kunstgegenständen, es verlangt Zertifi-
kate, Beweise der Herkunftsechtheit und
schriftliche Garantien. Früher kaufte man die
Kunst um der Kunst willen; man war selber
Sachverständiger und erwarb das, was man
schön fand, ohne sich allzusehr um die mög-
liche Echtheit oder Zuschreibung zu beküm-
mern. Das heutige Publikum ist verändert.
Jene, die um der Schönheit und allein um ihret-
willen kaufen, sind Ausnahmen geworden, die
Mehrzahl kauft aus anderen Beweggründen.
Man will in erster Linie für sein Geld Ware
haben — Gewißheit, daß ein altes Gemälde
wirklich alt ist —, daß ein Gemälde, welches
man als einen Rembrandt oder Hals kaufte,
ein paar Jahre später nicht wieder Boi oder
Leyster genannt wird und folglich hinsichtlich
seines Geldwertes beträchtlich sinkt. Hierbei
füge ich sogleich hinzu, daß es natürlich nie-
mals möglich ist, ein einigermaßen fragwürdi-
ges Gemälde ein für allemal diesem oder
jenem Meister zuzuschreiben, so daß eine
spätere Änderung in der Zuschreibung voll-
kommen ausgeschlossen wäre. Eingehendes
Quellenstudium, Entdeckungen in Archiven und
notariellen Aufzeichnungen, sowie der Fort-
schritt in der Stilkritik, dies alles wird noch
viele Überraschungen mit sich bringen und die
herrschenden Meinungen ändern, wohl aber
muß und kann das Publikum so sehr als mög-
lich geschüßt werden vor Betrug, Verfälschun-
gen oder unkundiger Belehrung. Den heutigen
Käufern alter oder moderner Kunst fehlt zu-
meist aus begreiflichen Gründen die Zeit, sich
in sfilkritische Betrachtungen zu vertiefen.
Aber ob sie nun zu einem Kunstgegenstand
aus ästhetischen Ursachen, aus Überlegungen
spekulativer oder snobistischer Art, aus Be-
dürfnis, ihr Geld anzulegen, aus reiner Sam-
melwut hingezogen werden — alle haben
Recht auf Belehrung, sofern sie nach einer
solchen verlangen.
In fünf Jahren hat sich dieser Zustand nicht
gebessert. Im Gegenteil, die Anzahl der
(Fortseßung auf Seite 24)
Ein Bildnis
von Goya
Das Bildnis von Goyas Arzt Dr. Stafford
aus dem Besiß der Galerie Bachstiß, das, in
der Fachliteratur oft erwähnt, aus der ehe-
maligen Sammlung Friß von Gans stammt und
von uns nebenstehend wiedergegeben wird,
gehört der mittleren Zeit des Meisters an und
dürfte um 1790 entstanden sein. Vor dem
graugrünen, nach links hin dunkler getönten
Hintergrund ist der Dargestellte als Halbfigur,
in Dreiviertelansicht vor einem Tisch sißend,
gegeben. Der linke Arm hängt hinter der
Lehne des rötlich-braunen Stuhles herab, die
rechte Hand hält ein braunes Buch. Langes,
silbergraues Haar umgibt die hohe Stirn. Die
Gesichtsfarbe ist frisch, die Nase kräftig, der
Mund schmal; über dunklen, scharf blickenden
Augen spannen sich dunkle Brauen. Die
Kleidung besteht aus einer weißen, am Saum
goldbestickten Weste und einem bräunlichen
Rock, das weiße Halstuch endigt in ein Jabot,
das über die Weste fällt.
Im ganzen weist das schöne Bildnis die
schlichte Charakteristik, die helle, blasse Be-
leuchtung und die sorgfältige Malweise der
mittleren Periode Goyas auf und stellt sich als
ein tüchtiges Werk dieser Zeit um 1790 dar.
Die psychologische Erfassung des Modells, das
Stetige im Blick der Augen des Dargestellten
verleihen dem Gemälde eine besonders ein-
dringliche und prägnante Wirkung. Kb.
LAMBERTUS DEVRIES&ClE.
Filter /finiter
BERLIN W 10, VIKTORIASTRASSE 30
PREUSSISCHE AKADEMIE DER KÜNSTE - BERLIN W8 • PARISER PLATZ 4
Ausstellung
von
MEISTERWERKEN
AUS DEN
PREUSSISCHEN SCHLÖSSERN
(veranstaltet von der Verwaltung der Staatlichen Schlösser
und Gärten in Gemeinschaft mit der Akademie der Künste)
27. SEPTEMBER BIS END E NOVEMBER 1930
GEÖFFNET TÄGLICH (AUCH SONNTAGS) VON 10-5UHR
Eintritt 1.50RM