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Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]
Die Weltkunst — 4.1930

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Nr. 39 (28. September)
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WELTKUNST

Jahrg. IV, Nr. 39 vom 28, September 1930

originaltechnische Kommentare zu Hilfe kom-
men, die sich durch ein intensives Vergleichen
von Kleinigkeiten und Nebensächlichkeiten
ihre Aufschlüsse schaffen muß, durch eine
den Buchkenner heranbildende exakte Mikro-
logie, mit der vertraut zu werden, jedem
Bibliographen wichtig sein sollte. Archiva-
lische, Original- und sonst berichtende Urkun-
den sind meist unbekannt oder nicht vorhan-
den, Überreste alter Werkstatteinrichtungen
sind nur hin und wieder in einem Museum auf-
zufinden, sie können kaum noch zu Gegen-
ständen eines privaten Sammeleifers werden,
der eine Sammlung schaffen will und nicht
lediglich ihr Wunschbild. Da die Anhalts-
punkte für eine derartige Sammlung in der
Literatur weit verstreut sind, kann man sich
ihr System am besten aufstellen, wenn man
sie von der Gegenwart in die Vergangenheit
zurückführt. Das heilst, wenn man von einer
bestimmten Technik ausgeht, etwa von der
Stereotypie, um dann die Druckerstlinge der
Stereotypieverfahren festzustellen. Bei der-
gleichen Untersuchungen wird man erstaunen,
wie mannigfach und reichhaltig sich eine
bibliotechnische Bibliothek verzweigt, mehr
noch, wie viele sonst unbeachtete Bücher als
Liebhaberwerte für sie aufzufinden sind. Die
Entwicklung der photomechanischen Repro-
duktionstechniken des 19. Jahrhunderts hat
eine Fülle von Druckerstlingen hervorgebracht,
die Maschinentechnik der Typographie eben-
falls, und auch das 16. bis 18. Jahrhundert
sind reich an bedeutsamen Druckerstlingen.
Der Frage, ob eine bibliotechnisch-hisforische
Spezialbibliothek interessant wäre, braucht
man in einem Zeitalter des technischen
Denkens die Antwort nicht zu suchen. Wes-
halb sollten die Cimelien der ersten Schnell-
pressendrucke kulturhistorisch und technisch-
historisch nicht ebenso interessant sein wie
die bisweilen verschwommenen Buchkunst-
schwärmereien, die sich einem Musterdrucke
zuwenden? Die Beschäftigung mit der Buch-
kunstgeschichte hat sich technisch vertieft, die
Bewunderung der Gesamterscheinung eines
Buchkunstwerkes hat sich sozusagen speziali-
siert. Man bewundert z. B. nicht mehr den
Bodoni-Stil, weil er ein anerkannter histori-
scher Stil ist, sondern man versucht, aus
seinen technischen Eigenheiten und Einzel-
heiten die ästhetische Gesamtwirkung herzu-
leiten. Mag auch der genießende Buchfreund
klagen, er verderbe sich allen Kunstgenuß
durch die rationalistischen Überlegungen,
darauf wäre nur zu erwidern, daß sie eine
viel intensivere Aneignung der Buchkunst-
werte ermöglichen als das unbestimmt
empfindende Geschmacksurteil, daß eine be-
hauptete Kennerschaft nur auf jenen beruhen
kann. Es ist kein Zufall, wenn die ausüben-
den Buchdruckmeister und Letternkünstler,
wie etwa William Morris, als Buchkunst-
sammler nicht in der historisch schemati-
sierten Tradition zu verbleiben pflegen, wenn
sie eine abweichende, anscheinend will-
kürliche Auswahl ihrer schönsten Bücher
treffen, denn sie haben das Auge und die
praktische Erfahrung, um ästhetische Quali-
täten als technische zu beurteilen. Wer schöne
Bücher als notwendige, weil zweckerfüllende
Produkte der Technik der Typographie sam-
melt, muß imstande sein, technische Mängel
und Vorzüge gegeneinander abzuwägen; er
wird sich auch technisch-historisch unter-
richten müssen, so daß der Weg von der
Buchkunstsammlung in die technisch-
historischen Grenzgebiete oder der umge-
kehrte Weg von diesen in die Bereiche der
freien Buchkunsthöhen nicht weit ist.


Zu den kostbarsten Werken früher Graphik
gehört die Sammlung von Einblatt-Holz-
schnitten einer schweizerischen Stiftsbiblio-
thek. Mit Staunen findet man diese Samm-
lung kostbarster Frühdrucke in dem Katalog
der Versteigerung wieder, die von der Firma
Hollstein & Puppel auf den 7. und
8. November dieses Jahres anberaumt ist.
Die Abteilung der ersten 37 Nummern ent-
hält Schrot-Blätter und Holzschnitte. Damit
wird die älteste Sammlung graphischer
Blätter, die überhaupt bekannt ist, zur Auf-
lösung gelangen. Der Pater Ildefons von Arx
hat diese Blätter 1824 in dem von dem Pater
Gallus Kemlin geschriebenen Manuskript ge-
funden, ihm entnommen und sie in zwei Alben
zusammengeklebt. Der Pater Gallus Kemlin
trat 1428 in das Stift ein und ist nach 1477 ge-
storben. Seine Sammlung zeitgenössischer
Metall- und Holzschnitte ist tatsächlich
400 Jahre unberührt und auch dann nur in der
Zusammenstellung verändert in der Stifts-
bibliothek geblieben. Mit wenigen Aus-
nahmen handelt es sich um unersetzliche Unica,
deren Zahl der Katalog mit 42 beziffert. Der
Katalog nennt zunächst drei Schrot-Blätter,
die aus der ältesten Metallschnitt-Werkstatt
stammen und deren frühestes Erzeugnis,
einige heilige Bernharden von Siena, durch die
Jahreszahl 1454 bekannt ist. Von den hier vor-
liegenden Blättern ist das älteste wohl ein
HL Georg, der dieselbe Bordüre wie das
Blatt von 1454 trägt, vor allem aber auch die-
selbe Technik zeigt, die darin bestand, daß
der schwer zu bearbeitende Hintergrund aus
der Mefallplatte herausgesägt wurde. Der
Calvarienberg und der Hl. Andreas (Abb.
S. 16) zeigen schon durch ihren reich orna-
mentierten Hintergrund, sowie die Behandlung
der Gewänder einen erheblichen technischen
Fortschritt und dürften daher jünger sein.
Unter den Holzschnitten finden wir zwei
große Holzschnitte von der Hand des Meisters
des Christophorus. Da der Christophorus die
Jahreszahl 1420 zeigt, dürfte die Ansehung der


Hl. Anna selbdritt. Oberrheinisch um 1460.
Einblatt-Holzschnitt — 28 : 20,2 cm — Kat.-Nr. 26.
Versteigerung bei Hollstein & Puppel, Berlin, am 7. u. 8. November 1930.
Ste. Anne avec la vierge et Tenjant Jesus. Haut-Rhin vers 1460.
Gravüre sur bois — 28:20,2 amt. — No. 26 du Cat.
Ste. Anne with the virgin and child. Upper Rhine about 1460
Wood-cut — 28 -.20,2 cent. — No. 20 of the Catalogue

Entstehungszeit, 1440 bis 1460, gewiß zutreffen.
Kunsthistorisch besonders interessant ist die
Madonna mit den vier weiblichen Heiligen

(Nr. 24). Dieser Holzschnitt ist berühmt, weil
er dem Direktor des Brüsseler Kupferstich-
kabinetts, Henry Hymans, die Grundlage gab,

die vielfach angezweifelte Echtheit der Jahres-
zahl des die gleiche Szene betreffenden
Brüsseler Blattes zu beweisen. Eine ein-
gehende Beschreibung müßte eigentlich jeden
einzelnen Holzschnitt der Kloster-Sammlung
speziell würdigen.
Die bekannte Publikation von Fäh über die
Holzschnitte von St. Gallen gibt bei der
damals noch unvermeidlichen Unvollkommen-
heit der Bildwiedergabe eine nur ganz an-
deutungsweise Vorstellung von der Schönheit
und unberührten Frische dieser kostbaren
Blätter. Die Reproduktionen des Katalogs
sind schon viel zuverlässigere Abbildungen
der Originale.
Nach den Erfahrungen, die man bei
Auktionen gemacht hat, in denen Schrot-
Blätter und so frühe Holzschnitte vor-
gekommen sind, — allerdings dürfte eine Ver-
steigerung von so vielen frühen Graphiken
überhaupt noch nie vorgekommen sein — ist
die Beteiligung aller Interessenten der ganzen
Welt an diesem Ereignis vollkommen sicher.
Man wird eine Konkurrenz um Unica erleben,
die um so unerbittlicher sein wird, als mit
einer ähnlichen Möglichkeit, solche Stücke zu
erwerben nicht wieder gerechnet werden kann.
Die Auktionsfirma hat die Schrot-Blätter mit
je 30 000 M., die Madonna mit den vier
Heiligen mit 15 000 M. geschaßt, also mit
Preisen, die man bei der Bedeutung und
Einzigartigkeit dieser Blätter nur als zurück-
haltend bezeichnen kann.
Auf die Kupferstiche alter Meister, beson-
ders von Rembrandt, Dürer, Schongauer und
Meckenem (Abb. S. 17), und das fast voll-
ständige Werk von Lucas van Leiden, die in
derselben Versteigerung zum Ausruf kommen,
werden wir noch besonders zurückkommen.


literarischer Fälscher:
Friedrich Wagenfeld
Von Hans Kasten
Am 2. Januar 1810 wurde in Bremen in
der Faulenstraße (durch diese Reminiszenz
bildete er die bekannte Sage von den sieben
Faulen) als Sohn einfacher Leute Friedrich
Wagenfeld geboren.
Nach dem Besuch der Schule, die er mit
einem für sein ganzes Leben bezeichnenden
Zeugnis: „Von Sitten roh und gemein“ ver-
ließ, ging er 1829 zum Studium der Theologie
nach Göttingen, wo er drei Jahre verblieb.
Das unstete Leben ohne elterliche Aufsicht
war für Wagenfcld eine Versuchung, der er

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BIBLOGRAPHIKON
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Die erste deutsche Encyclopädie. Einzig bekanntes
Exemplar der Zainer sehen Presse zwischen 1489 und
1496, mit dem ersten Ulmer Accipies-Holzschnitt.

Antiquariats-Katalog I
(im Druck)

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ben 16. Tiljrfjunbcits /
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in Original=Ausgaben.
 
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