12
WELTKUNST
Jahrg. IV, Nr. 40 vom 5. Oktober 1930
(Fortseßung von Seife 3)
richtet, in dem sie dem Wunsche Ausdruck
geben, daß das Lebenswerk eines Berliner
Ehrenbürgers, Geheimrats Hoffmann, als wert-
volles Werkzeug zur Förderung edelster
Geisteskuliur der deutschen und ausländischen
Gelehrtenwelt nußen möge.
Eine Festaufführung von Strauß
„Rosenkavalie r“, unter der Leitung von
Schillings, beschließt diesen Tag als Bild ge-
sellschaftlicher und gelehrter Elite.
Am zweiten Tage erfolgte die An- [
fahrt der Gäste vom Kaiser-Friedrich-Museum
zur feierlichen Eröffnung der Neuschöpfungen.
Pergamons Siegesaltar bildet einen symboli-
schen Hintergrund zu dieser Feier. Geheimrat
Waeßoldt dankt denGästen für ihr Erscheinen.
Dann verteilen sie sich in zwanglosenGruppen,
von Berliner Gelehrten durch die neuen Räume
geführt, über Kleinasiens und Nebukadnezars
Wunderbauten zu den Schüßen des Deutschen
Museumsflügels. — Am Abend beschloß ein
großer Empfang im Weißen Saal des
Berliner Schlosses die Feierlichkeiten.
Der XII. internationale
kunsthistorische Kongreß in Brüssel
Von Prof. Dr. Julius Baum
Kunsthistorische Kongresse sind wie die
kunstgeschichtliche Disziplin noch eine ver-
hältnismäßig junge Einrichtung und dement-
sprechend wenig diszipliniert. Ursprünglich
eine deutsche Angelegenheit und in kurzen
Zwischenräumen aufeinanderfolgend, haben
sie in den letzten Jahrzehnten nur noch in
größeren Zeiträumen stattgefunden. Der
9. Kongreß war 1908 in München, der 10.
1912 in Rom, der 11. 1921 in Paris. Man kann
nicht eben sagen, daß bei der bisherigen Form
der Kongresse ein Bedürfnis bestehe, sie häu-
figer abzuhalien. Sie müßten denn ganz an-
ders organisiert werden. Herr de Pu y-
v e 1 d e , der Direktor des Museums der bil-
denden Künste in Brüssel, hat, unterstützt von
einem Stabe von Helfern, sich die größte
Mühe gegeben, den Brüsseler Kongreß zweck-
mäßig vorzubereiten; es ist ihm auch im höhe-
ren Maße gelungen, den Teilnehmern den
Aufenthalt in Brüssel angenehm zu machen.
Aber im Grunde hat die Tagung lediglich den
Zweck gehabt, eine Begegnung zwischen den
Kunsthistorikern der europäischen Länder
herbeizuführen. Die Organisation als ganzes
leidet noch.an Kinderkrankheiten.
Ein kunsthistorischer Kongreß hat nicht die
innere Notwendigkeit etwa einer ärztlichen
Tagung. Die Neuentdeckung berühmter Ärzte
sind für die ganze Menschheit von größter
Wichtigkeit; auf ihre Veröffentlichung horcht
die Welt. Was ein Kunsthistoriker ermittelt,
ist für die Millionen, die außerhalb des engen
Kreises der Kunstfreunde und Kunstforscher
stehen, gänzlich gleichgültig. Aus diesem
Grunde muß erreicht werden, daß bei Kon-
gressen von internatio-
nalem Ausmaß die
öffentlichen Mitteilun-
gen auf das vorsichtig-
ste auf ihren Wert ge-
prüft werden. Es ist
ein grober Unfug, wenn
ein deutscher Dozent
ein Manuskript abliest,
das schon von Jahr-
zehnten in einer deut-
schen Zeitschrift ver-
öffentlicht war, ohne
irgend etwasNeues hin-
zuzufügen. Man kann
das mokante Lächeln
einiger französischer
Gelehrter verstehen, als
er die Notwendigkeit
des Vortrages mit
mangelnder Auswirkung
seiner älterenVeröf fent-
lichung begründete.
Dies war schlechte Re-
gie. Wir müssen ver-
hindern, daß beim
nächsten Kongreß jeder
Beliebige alles Be-
liebige vortragen kann.
Es muß eine Kom-
mission von anerkann-
ten Fachleuten einge-
seßt werden, von der
die Vorträge vorher zu
prüfen sind.
Überhaupt litt der
Kongreß an der Fülle
der Vorträge. Sie
mußten in fünf Sälen
gleichzeitig stattfinden;
es war daher besten-
falls möglich, ein Fünftel
der gesamten Vor-
träge zu hören. Wir
versagen es uns hier,
auf die einzelnen Red-
ner einzugehen. Ihre
Aufstellung nimmt im
Programm des Kon-
gresses nahezu zwei
Bogen ein; auch ist der
Inhalt der meisten Vor-
träge auszugsweise im
voraus gedruckt und den Teilnehmern über-
mittelt worden. Es sei nur bemerkt, daß die-
jenigen Vorträge, denen der Berichterstatter
beiwohnen konnte, zum größten Teil den
Schriften der vortragenden Gelehrten ent-
nommen waren, und ein unbedingtes Bedürf-
nis, die Referate zu halten, demnach nicht
vorlag. Dies gilt selbst für so entlegene Ge-
biete wie für die schottischen Steinkreuze,
über die Baldwin Brown interessant be-
richtete, ohne jedoch wesentlich über den In-
halt seines Werkes über die alte Kunst in
England hinauszugehen. Wirklich wertvoll
waren die Vorträge, die mit eigentlicher
Wissenschaft nichts zu tun hatten, sondern
sich auf die Praxis des Kunstbetriebes be-
zogen, und hier wieder besonders die Be-
richte über die Bedeutung der Röntgen-
Strahlen für die Ermittlung übermalter Bilder.
Was hier von Prof. Ganz, Basel, an Hand
eines vorzüglichen Lichtbildermaterials, haupt-
sächlich über die Entdeckung des neuen Hol-
bein in München (vgl. „Die Kunsiauktion"
Nr. 34, S. 10), vorgebracht und von anderen
Forschern bestätigt wurde, war nur zu
sehr geeignet, die in der leßten Zeit allgemein
erhobene Forderung zu stüßen, daß ernsthafte
Expertisen auf jeden Fall von Röntgenunter-
suchungen begleitet sein müssen.
Die Vorträge waren von einer Fülle von
Besichtigungen und gesellschaftlichen Veran-
staltungen umrahmt. Am ersten Abend fand
eine Begrüßung im Brüsseler Rathaus und ein
Festessen statt. Hieran schlossen sich Be-
suche in Gent, in Schloß Bioul bei Dinant, aus-
führliche ganztägige Besichtigungen der
großen Ausstellungen in Antwerpen und
Lüttich, weiterhin noch Ausflüge nach Mecheln,
Löwen, Namur und Brügge. Auch für die
Brüsseler Museen stand ausreichend Zeit zur
Verfügung. Eine vorzügliche Aufführung von
„Kephalos und Prokris“, einem Werke des
Mozartzeitgenossen Gretry, eine hübsche Auf-
führung alter, hauptsächlich vlamischer Musik
von Konservatoriumsschülern im Königlichen
Konservatorium, Minisferempfänge und ein
Ausflug in das Kongo-Museum in Tervueren
schlossen sich an die wissenschaftliche Ar-
beit an.
In Ergänzung der vorstehenden Ausführun-
gen schreibt uns unser Pariser Mitarbeiter
Dr. Fritz Neugass aus Brüssel:
Auf dem Programm waren 160 Vorträge
angekündigt, die in vier Sektionen nebenein-
ander zur Sprache kamen. Fast die Hälfte
aller Communiques bezogen sich auf die flan-
drische und niederländische Kunst, so daß
viele Fragen eine neue Lösung fanden und
die mannigfaltigsten Einflüsse festgestellt und
aufgeklärt wurden.
Die Verbindung von Urkundenforschern, hi-
storisch geschulten Lehrern und Museums-
direktoren war überaus fruchtbringend und
lehrreich und vertiefte das Verständnis der
mittelalterlichen Meisterwerke durch ihre viel-
seitige Beleuchtung und erschöpfende Be-
handlung. Max J. Friedlaender bezeichnete
mit Recht auf seiner Rede beim Eröffnungs-
bankett diese Zusammenarbeit der ver-
schiedenen kunstgeschichthchen Spezialfor-
scher als das erfreulichste Ergebnis dieser
Zusammenkunft.
Die vier Sektionen waren den verschiede-
nen Zweigen der Kunstwissenschaft gewidmet.
Die Abteilung für Museumskunde hat in der
Behandlung der Bildanalyse durch Rönt-
genstrahlen und durch vergrößerte Photo-
Pa s c i n
Mädchen — Jeune fille — Girl
Ausstellung Galerie Rudolf Wiltschek, Berlin
graphie die Erfahrungen aller Länder gesam-
melt und zum ersten Male die Ergebnisse der
Bilddurchleuchtung mitgeteilt. Fast allgemein
konnte man bei dieser neuen Methode den
ursprünglichen Zustand des Bildes erkennen,
da die späteren Übermalungen und Zutaten
durch ihre verschiedene chemische Substanz
ein anderes Bild bei der Durchleuchtung er-
geben. Der Direktor der belgischen Museen,
Leo van Puyvelde, hat bei einem Bilde Rogers
van der Weyden dank der Durchleuchtung be-
wiesen, daß ein Kopf in späterer Zeit über-
malt wurde, nachdem die ursprüngliche Unter-
malung sorgfältig abgekraßt worden ist. Doch
nicht nur die Veränderungen werden durch
die Röntgen- und Ultraviolettstrahlen sichtbar,
sondern auch die verschiedenen Methoden
der Untermalung, so daß man in Zukunft
für die Gruppierung und Zuschreibung von
Bildern mehr als nur die stilkritischen Hilfs-
mittel zur Verfügung haben wird. Noch ist
man nicht in der Lage, die einzelnen Farb-
schichten durch die Durchleuchtung zeitlich
zu bestimmen, doch mit der Vervollkommnung
der Apparate und einer reicheren Erfahrung
wird dies Verfahren zu einer der Hauptstüß-
punkte der kunstgeschichtlichen Expertise
werden.
Es ist hier nicht der Plaß, eine Analyse der
160 Vorträge, denen etwa 800 Teilnehmer aus
zwanzig Ländern beiwohnten, zu geben; sie
alle werden demnächst in dem ausführlichen
offiziellen Kongreßbericht publiziert werden.
Interessant war jedoch festzustellen, wie die
Kunstwissenschaft in allen Ländern einen
verschiedenen Charakter hat.
Die Deutschen zeigten durchweg in ihren
Vorträgen den stärksten geistigen Gehalt.
So hat Panofsky (Hamburg) eine hervor-
ragende neue Interpretation des sog. Apostel-
bildes von Dürer in seiner neuen religiösen
reformatorischen Gesinnung gegeben, und
Strzygowski, der selbst nicht kommen konnte,
übermittelte einen Bericht, worin er die Land-
schaft des Genter Altars der Brüder van Eyck
mit alten verlorenen iranischen Mosaiken,
chinesischen Spiegeln und den Malereien von
Adjanfa in Indien zusammenbringf. Tolnai
sprach über verschollene Jugendwerke Michel-
angelos und Feulner, der neue Direktor des
Frankfurter Kunstgewerbemuseums, über die
Hauptströmungen der deutschen Barockskulp-
lur und die Tätigkeit und Einflüsse der belgi-
schen und französischen Bildhauer an den
deutschen Höfen. Hensler (Dresden) konnte
während des Krieges in Belgien das künstle-
rische Werk des Lothringers Jean Mone, des
Hofbildhauers Karls V., zusammenstellen und
der Kunstgeschichte eine klare festumrissene
Persönlichkeit gewinnen. Der größte Erfolg
der Deutschen, der ganz im stillen und gänz-
lich inoffiziell gefeiert wurde, war der Fund,
den Buchner im Depot seines Wallraf-Richarß-
Museums machte: zwei Bildnisse von Mat-
thias Grünewald aus der Spätzeit des Mei-
sters.
Die Franzosen befaßten sich neben den
radiologischen Problemen hauptsächlich mit
ästhetischen und ikonographischen Sujets,
mit stilkritischen Vergleichen und Wechsel-
beziehungen.
Die Italiener feierten den Einfluß ihrer
Kunst auf die vlämischen Meister, und die
Belgier hatten genügend Material, um ihnen
mit der Wirkung ihrer Kunst auf die italieni-
schen Maler entgegnen zu können.
Otto Mueller t
Di® persönlichen Notizen der folgenden
Zeilen verdanke ich der Liebenswürdigkeit des
Herrn K. Schmidt-Rottluff.
Am 24. September ist der Maler Otto
Mueller einer schweren Krankheit, die er, seit
langem unerkannt, in sich trug, im Alter von
56 Jahren erlegen. Von Jugend an der Malerei
zugewandt, trat er 1910 der fünf Jahre vorher
gegründeten Künstlervereinigung „D i e
Brücke“ bei und nahm später einen Ruf
an die Breslauer Akademie an, wo er
seit Jahren als Lehrer wirkte.
Schon die frühen Arbeiten des Künstlers
bezeichnen eindeutig den Weg, den seine Kunst
im weiteren Verlauf einschlug; spätere Arbeiten
unterscheiden sich von ihnen nur durch fort-
geschrittenere Durchbildung der künstlerischen
Mittel. Seine Entwicklung ist weniger durch
eine wechselnde Auseinanderseßung mit ab-
folgenden Problemen als durch fortschreitende
Klärung, durch stetiges Verfolgen einer von
Anfang an stabilisierten Idee bestimmt. Zeich-
nungen, Aquarelle, Lithos und Gemälde sind,
troßdem jede Gattung in der ihr eigenen
Technik gemäß behandelt ist, auffallend ein-
heitlich; dem Künstler selbst galt die Graphik
nur als Vorbereitung für das Bild. Seine Dar-
stellungen zeigen eine absichtsvolle Beschrän-
kung auf wenige Motive, die immer wieder
abgewandelt werden; meist sind jugendliche
Akte in einer Landschaft dargestellt. Die
Einheitlichkeit seines Werkes erklärt sich
durch den sehr organischen Aufbau einer rein
ideellen Vorstellungswelf, welche die Natur-
formen geseßmäßig transponiert. Troß schein-
barer Typik seiner leuchtenden, rhythmisierten
und immer konsequent flächig verarbeiteten
Werke erweist ein Vergleich mehrerer Bilder
die stets formal neue Konzeption jeder ein-
zelnen Komposition. Manche Arbeiten zeigen
ein vorbildliches Auflösen des Lichts in ge-
brochene Flächen; allen eignen in gleichem
Maße Straffheit der Darstellungsmittel, ein
inniges, zuweilen glühend tropisches Natur-
gefühl und ein feiner lyrischer Unterton. Otto
Muellers Liebe galt der Kunst der Ägypter,
ohne daß diese aiuf sein Schaffen formal ein-
wirkte. Die Beschäftigung mit ihr und uner-
müdliches Experimentieren führte ihn zur Ver-
vollkommnung einer eigenen Leimfarbentech-
nik, die er in der Durchführung seiner Inten-
tionen dienstbar machte. Die Wirkungen
reiner Wandmalerei als Zielseßung erreichte
er durch Verwendung einer dem Freskogrund
verwandten, groben Leinwand, mit welcher
sich die Farben besonders günstig verbanden,
die Leuchtkraft und Haltbarkeit seiner Werke.
Zeitweise malte er sogar unmittelbar al fresco,
also notwendig auf den ersten Wurf, eine Ar-
beitsweise, die er wegen der ihr anhaftenden |
technischen Gebundenheit und zugunsten
größerer Farbigkeit wieder aufgab. Es ist
sehr zu bedauern, daß diesem geborenen
Freskanfen keine Aufträge zu Wandmalereien
zuteil geworden sind.
Otto Mueller erschien seiner Umgebung als
ein Träumer; um so mehr seßte er sie ständig
aufs Neue in Erstaunen durch eine seltene
Otto Mueller
Selbstbildnis
Portrait dß lui memß — Portrait of himsel
Treffsicherheit des Urteils über Dinge, von
denen man nicht annahm, daß sie in seinen
Gesichtskreis traten, und durch eine plößlich
sich erweisende Befähigung für Aufgaben,
deren Lösung man von ihm nicht erwartete.
Er, der sich nicht sonderlich mit der Kunst
Anderer beschäftigte, wußte im Kreise einer
Jury den Wert oder Unwert eines Kunstwerkes
sofort zu bestimmen und sein Urteil mit in-
tuitiver Sicherheit zu begründen. Ebenso un-
erwartet stellte sich nach seiner Berufung an
die Breslauer Akademie eine ausgesprochene
Eignung zum Lehrer heraus. Wie kaum ein
anderer von seinen Schulern geliebt, förderte
er sie durch eine straffe Schulung, die keinen
unterdrückte und aus jedem das Brauchbarste
hcrausholte. Ein Gegner vorzeitigen Malens,
das immer die Möglichkeit der Selbsttäu-
schung und formaler Unbestimmtheit birgt,
verlangte er von seinen Schülern ausschließ-
liches Zeichnen. Als eines Tages die Aka-
demie durch eine Ausstellung Rechenschaft
über ihre Tätigkeit ablegen sollte, teilte er
jedem seiner Schüler drei Farben zu, mit denen
sie ein Stilleben zu malen hatten. Die Arbei-
ten seiner Klasse waren der Erfolg der Aus-
stellung.
Carl Hauptmann hat dem Künstler in sei-
nem Roman „Einhart der Lächler“ ein Denk-
mal geseßt, glücklicher und verständnisvoller,
als es Cezanne durch Zola in „L’Oeiuvre“ ge-
schehen ist. Wie sehr der Dichter den Maler
im Kern seines Wesens erkannte, zeigt die
eigentümliche Tatsache, daß er den Helden
seines Buches unter die Zigeuner gehen läßt,
und daß, Jahre später, Otto Mueller alljähr-
lich einige Monate unter Zigeunern zu ver-
Die ganze Welt der Kunst liest die
WELTKUNST
bringen pflegte. Diese Neigung, mehr ein
Trieb, war bedeutsam. Nicht, nur im Äußeren
glich Otto Mueller diesem Wandervolk; eine
tatsächlich bestehende, blutsmäßige Verwandt-
schaft kam zum Durchbruch, der Künstler
hatte wahrhaft das Herz eines der ihren und
fühlte sich, selbst eine dem Mystischen und
Magischen zugewandte Natur, ihrem magischen
Lebensgefühl unmittelbar verbunden. Vagant
wie sie, lebte er auch in der Stadt gänzlich
bedürfnislos, hatte nie Besiß, selten eine
Wohnung und schlief im Atelier. Die Astro-
logie beschäftigte ihn sehr, und es gibt kaum
ein Selbstbildnis, das nicht ein glückbringen-
des Zeichen aus seinem Horoskop trägt.
Die Würdigung Otto Muellers hat bisher
darunter gelitten, daß seine zeitlose Kunst
keine eigentlichen Anknüpfungspunkte er-
kennen läßt, von der Problematik heutiger
Malerei unberührt geblieben ist und sich
schwer in eine der bei uns Begriffsgläubigen
so beliebten Kategorien einordnen läßt. Die
zeitgebundene Nahsicht, der wir uns schwer
entziehen können, erschwert nicht nur in die-
sem Fall die unbefangene Bewertung, die erst
durch die ausgleichende und gerechtere Stel-
lungnahme einer späteren Entwicklungsstufe
vollzogen werden wird. In Berlin wurden bis-
her Arbeiten Otto Muellers von Carl Nieren-
dorf und Ferdinand Moeller ausgestellt. Es ist
zu hoffen, daß das durch äußere Umstände sehr
verstreute Werk des Künstlers in absehbarer
Zeit zu einer Gesamtausstellung vereinigt wird.
Dr. Kurt Kusenberg
WELTKUNST
Jahrg. IV, Nr. 40 vom 5. Oktober 1930
(Fortseßung von Seife 3)
richtet, in dem sie dem Wunsche Ausdruck
geben, daß das Lebenswerk eines Berliner
Ehrenbürgers, Geheimrats Hoffmann, als wert-
volles Werkzeug zur Förderung edelster
Geisteskuliur der deutschen und ausländischen
Gelehrtenwelt nußen möge.
Eine Festaufführung von Strauß
„Rosenkavalie r“, unter der Leitung von
Schillings, beschließt diesen Tag als Bild ge-
sellschaftlicher und gelehrter Elite.
Am zweiten Tage erfolgte die An- [
fahrt der Gäste vom Kaiser-Friedrich-Museum
zur feierlichen Eröffnung der Neuschöpfungen.
Pergamons Siegesaltar bildet einen symboli-
schen Hintergrund zu dieser Feier. Geheimrat
Waeßoldt dankt denGästen für ihr Erscheinen.
Dann verteilen sie sich in zwanglosenGruppen,
von Berliner Gelehrten durch die neuen Räume
geführt, über Kleinasiens und Nebukadnezars
Wunderbauten zu den Schüßen des Deutschen
Museumsflügels. — Am Abend beschloß ein
großer Empfang im Weißen Saal des
Berliner Schlosses die Feierlichkeiten.
Der XII. internationale
kunsthistorische Kongreß in Brüssel
Von Prof. Dr. Julius Baum
Kunsthistorische Kongresse sind wie die
kunstgeschichtliche Disziplin noch eine ver-
hältnismäßig junge Einrichtung und dement-
sprechend wenig diszipliniert. Ursprünglich
eine deutsche Angelegenheit und in kurzen
Zwischenräumen aufeinanderfolgend, haben
sie in den letzten Jahrzehnten nur noch in
größeren Zeiträumen stattgefunden. Der
9. Kongreß war 1908 in München, der 10.
1912 in Rom, der 11. 1921 in Paris. Man kann
nicht eben sagen, daß bei der bisherigen Form
der Kongresse ein Bedürfnis bestehe, sie häu-
figer abzuhalien. Sie müßten denn ganz an-
ders organisiert werden. Herr de Pu y-
v e 1 d e , der Direktor des Museums der bil-
denden Künste in Brüssel, hat, unterstützt von
einem Stabe von Helfern, sich die größte
Mühe gegeben, den Brüsseler Kongreß zweck-
mäßig vorzubereiten; es ist ihm auch im höhe-
ren Maße gelungen, den Teilnehmern den
Aufenthalt in Brüssel angenehm zu machen.
Aber im Grunde hat die Tagung lediglich den
Zweck gehabt, eine Begegnung zwischen den
Kunsthistorikern der europäischen Länder
herbeizuführen. Die Organisation als ganzes
leidet noch.an Kinderkrankheiten.
Ein kunsthistorischer Kongreß hat nicht die
innere Notwendigkeit etwa einer ärztlichen
Tagung. Die Neuentdeckung berühmter Ärzte
sind für die ganze Menschheit von größter
Wichtigkeit; auf ihre Veröffentlichung horcht
die Welt. Was ein Kunsthistoriker ermittelt,
ist für die Millionen, die außerhalb des engen
Kreises der Kunstfreunde und Kunstforscher
stehen, gänzlich gleichgültig. Aus diesem
Grunde muß erreicht werden, daß bei Kon-
gressen von internatio-
nalem Ausmaß die
öffentlichen Mitteilun-
gen auf das vorsichtig-
ste auf ihren Wert ge-
prüft werden. Es ist
ein grober Unfug, wenn
ein deutscher Dozent
ein Manuskript abliest,
das schon von Jahr-
zehnten in einer deut-
schen Zeitschrift ver-
öffentlicht war, ohne
irgend etwasNeues hin-
zuzufügen. Man kann
das mokante Lächeln
einiger französischer
Gelehrter verstehen, als
er die Notwendigkeit
des Vortrages mit
mangelnder Auswirkung
seiner älterenVeröf fent-
lichung begründete.
Dies war schlechte Re-
gie. Wir müssen ver-
hindern, daß beim
nächsten Kongreß jeder
Beliebige alles Be-
liebige vortragen kann.
Es muß eine Kom-
mission von anerkann-
ten Fachleuten einge-
seßt werden, von der
die Vorträge vorher zu
prüfen sind.
Überhaupt litt der
Kongreß an der Fülle
der Vorträge. Sie
mußten in fünf Sälen
gleichzeitig stattfinden;
es war daher besten-
falls möglich, ein Fünftel
der gesamten Vor-
träge zu hören. Wir
versagen es uns hier,
auf die einzelnen Red-
ner einzugehen. Ihre
Aufstellung nimmt im
Programm des Kon-
gresses nahezu zwei
Bogen ein; auch ist der
Inhalt der meisten Vor-
träge auszugsweise im
voraus gedruckt und den Teilnehmern über-
mittelt worden. Es sei nur bemerkt, daß die-
jenigen Vorträge, denen der Berichterstatter
beiwohnen konnte, zum größten Teil den
Schriften der vortragenden Gelehrten ent-
nommen waren, und ein unbedingtes Bedürf-
nis, die Referate zu halten, demnach nicht
vorlag. Dies gilt selbst für so entlegene Ge-
biete wie für die schottischen Steinkreuze,
über die Baldwin Brown interessant be-
richtete, ohne jedoch wesentlich über den In-
halt seines Werkes über die alte Kunst in
England hinauszugehen. Wirklich wertvoll
waren die Vorträge, die mit eigentlicher
Wissenschaft nichts zu tun hatten, sondern
sich auf die Praxis des Kunstbetriebes be-
zogen, und hier wieder besonders die Be-
richte über die Bedeutung der Röntgen-
Strahlen für die Ermittlung übermalter Bilder.
Was hier von Prof. Ganz, Basel, an Hand
eines vorzüglichen Lichtbildermaterials, haupt-
sächlich über die Entdeckung des neuen Hol-
bein in München (vgl. „Die Kunsiauktion"
Nr. 34, S. 10), vorgebracht und von anderen
Forschern bestätigt wurde, war nur zu
sehr geeignet, die in der leßten Zeit allgemein
erhobene Forderung zu stüßen, daß ernsthafte
Expertisen auf jeden Fall von Röntgenunter-
suchungen begleitet sein müssen.
Die Vorträge waren von einer Fülle von
Besichtigungen und gesellschaftlichen Veran-
staltungen umrahmt. Am ersten Abend fand
eine Begrüßung im Brüsseler Rathaus und ein
Festessen statt. Hieran schlossen sich Be-
suche in Gent, in Schloß Bioul bei Dinant, aus-
führliche ganztägige Besichtigungen der
großen Ausstellungen in Antwerpen und
Lüttich, weiterhin noch Ausflüge nach Mecheln,
Löwen, Namur und Brügge. Auch für die
Brüsseler Museen stand ausreichend Zeit zur
Verfügung. Eine vorzügliche Aufführung von
„Kephalos und Prokris“, einem Werke des
Mozartzeitgenossen Gretry, eine hübsche Auf-
führung alter, hauptsächlich vlamischer Musik
von Konservatoriumsschülern im Königlichen
Konservatorium, Minisferempfänge und ein
Ausflug in das Kongo-Museum in Tervueren
schlossen sich an die wissenschaftliche Ar-
beit an.
In Ergänzung der vorstehenden Ausführun-
gen schreibt uns unser Pariser Mitarbeiter
Dr. Fritz Neugass aus Brüssel:
Auf dem Programm waren 160 Vorträge
angekündigt, die in vier Sektionen nebenein-
ander zur Sprache kamen. Fast die Hälfte
aller Communiques bezogen sich auf die flan-
drische und niederländische Kunst, so daß
viele Fragen eine neue Lösung fanden und
die mannigfaltigsten Einflüsse festgestellt und
aufgeklärt wurden.
Die Verbindung von Urkundenforschern, hi-
storisch geschulten Lehrern und Museums-
direktoren war überaus fruchtbringend und
lehrreich und vertiefte das Verständnis der
mittelalterlichen Meisterwerke durch ihre viel-
seitige Beleuchtung und erschöpfende Be-
handlung. Max J. Friedlaender bezeichnete
mit Recht auf seiner Rede beim Eröffnungs-
bankett diese Zusammenarbeit der ver-
schiedenen kunstgeschichthchen Spezialfor-
scher als das erfreulichste Ergebnis dieser
Zusammenkunft.
Die vier Sektionen waren den verschiede-
nen Zweigen der Kunstwissenschaft gewidmet.
Die Abteilung für Museumskunde hat in der
Behandlung der Bildanalyse durch Rönt-
genstrahlen und durch vergrößerte Photo-
Pa s c i n
Mädchen — Jeune fille — Girl
Ausstellung Galerie Rudolf Wiltschek, Berlin
graphie die Erfahrungen aller Länder gesam-
melt und zum ersten Male die Ergebnisse der
Bilddurchleuchtung mitgeteilt. Fast allgemein
konnte man bei dieser neuen Methode den
ursprünglichen Zustand des Bildes erkennen,
da die späteren Übermalungen und Zutaten
durch ihre verschiedene chemische Substanz
ein anderes Bild bei der Durchleuchtung er-
geben. Der Direktor der belgischen Museen,
Leo van Puyvelde, hat bei einem Bilde Rogers
van der Weyden dank der Durchleuchtung be-
wiesen, daß ein Kopf in späterer Zeit über-
malt wurde, nachdem die ursprüngliche Unter-
malung sorgfältig abgekraßt worden ist. Doch
nicht nur die Veränderungen werden durch
die Röntgen- und Ultraviolettstrahlen sichtbar,
sondern auch die verschiedenen Methoden
der Untermalung, so daß man in Zukunft
für die Gruppierung und Zuschreibung von
Bildern mehr als nur die stilkritischen Hilfs-
mittel zur Verfügung haben wird. Noch ist
man nicht in der Lage, die einzelnen Farb-
schichten durch die Durchleuchtung zeitlich
zu bestimmen, doch mit der Vervollkommnung
der Apparate und einer reicheren Erfahrung
wird dies Verfahren zu einer der Hauptstüß-
punkte der kunstgeschichtlichen Expertise
werden.
Es ist hier nicht der Plaß, eine Analyse der
160 Vorträge, denen etwa 800 Teilnehmer aus
zwanzig Ländern beiwohnten, zu geben; sie
alle werden demnächst in dem ausführlichen
offiziellen Kongreßbericht publiziert werden.
Interessant war jedoch festzustellen, wie die
Kunstwissenschaft in allen Ländern einen
verschiedenen Charakter hat.
Die Deutschen zeigten durchweg in ihren
Vorträgen den stärksten geistigen Gehalt.
So hat Panofsky (Hamburg) eine hervor-
ragende neue Interpretation des sog. Apostel-
bildes von Dürer in seiner neuen religiösen
reformatorischen Gesinnung gegeben, und
Strzygowski, der selbst nicht kommen konnte,
übermittelte einen Bericht, worin er die Land-
schaft des Genter Altars der Brüder van Eyck
mit alten verlorenen iranischen Mosaiken,
chinesischen Spiegeln und den Malereien von
Adjanfa in Indien zusammenbringf. Tolnai
sprach über verschollene Jugendwerke Michel-
angelos und Feulner, der neue Direktor des
Frankfurter Kunstgewerbemuseums, über die
Hauptströmungen der deutschen Barockskulp-
lur und die Tätigkeit und Einflüsse der belgi-
schen und französischen Bildhauer an den
deutschen Höfen. Hensler (Dresden) konnte
während des Krieges in Belgien das künstle-
rische Werk des Lothringers Jean Mone, des
Hofbildhauers Karls V., zusammenstellen und
der Kunstgeschichte eine klare festumrissene
Persönlichkeit gewinnen. Der größte Erfolg
der Deutschen, der ganz im stillen und gänz-
lich inoffiziell gefeiert wurde, war der Fund,
den Buchner im Depot seines Wallraf-Richarß-
Museums machte: zwei Bildnisse von Mat-
thias Grünewald aus der Spätzeit des Mei-
sters.
Die Franzosen befaßten sich neben den
radiologischen Problemen hauptsächlich mit
ästhetischen und ikonographischen Sujets,
mit stilkritischen Vergleichen und Wechsel-
beziehungen.
Die Italiener feierten den Einfluß ihrer
Kunst auf die vlämischen Meister, und die
Belgier hatten genügend Material, um ihnen
mit der Wirkung ihrer Kunst auf die italieni-
schen Maler entgegnen zu können.
Otto Mueller t
Di® persönlichen Notizen der folgenden
Zeilen verdanke ich der Liebenswürdigkeit des
Herrn K. Schmidt-Rottluff.
Am 24. September ist der Maler Otto
Mueller einer schweren Krankheit, die er, seit
langem unerkannt, in sich trug, im Alter von
56 Jahren erlegen. Von Jugend an der Malerei
zugewandt, trat er 1910 der fünf Jahre vorher
gegründeten Künstlervereinigung „D i e
Brücke“ bei und nahm später einen Ruf
an die Breslauer Akademie an, wo er
seit Jahren als Lehrer wirkte.
Schon die frühen Arbeiten des Künstlers
bezeichnen eindeutig den Weg, den seine Kunst
im weiteren Verlauf einschlug; spätere Arbeiten
unterscheiden sich von ihnen nur durch fort-
geschrittenere Durchbildung der künstlerischen
Mittel. Seine Entwicklung ist weniger durch
eine wechselnde Auseinanderseßung mit ab-
folgenden Problemen als durch fortschreitende
Klärung, durch stetiges Verfolgen einer von
Anfang an stabilisierten Idee bestimmt. Zeich-
nungen, Aquarelle, Lithos und Gemälde sind,
troßdem jede Gattung in der ihr eigenen
Technik gemäß behandelt ist, auffallend ein-
heitlich; dem Künstler selbst galt die Graphik
nur als Vorbereitung für das Bild. Seine Dar-
stellungen zeigen eine absichtsvolle Beschrän-
kung auf wenige Motive, die immer wieder
abgewandelt werden; meist sind jugendliche
Akte in einer Landschaft dargestellt. Die
Einheitlichkeit seines Werkes erklärt sich
durch den sehr organischen Aufbau einer rein
ideellen Vorstellungswelf, welche die Natur-
formen geseßmäßig transponiert. Troß schein-
barer Typik seiner leuchtenden, rhythmisierten
und immer konsequent flächig verarbeiteten
Werke erweist ein Vergleich mehrerer Bilder
die stets formal neue Konzeption jeder ein-
zelnen Komposition. Manche Arbeiten zeigen
ein vorbildliches Auflösen des Lichts in ge-
brochene Flächen; allen eignen in gleichem
Maße Straffheit der Darstellungsmittel, ein
inniges, zuweilen glühend tropisches Natur-
gefühl und ein feiner lyrischer Unterton. Otto
Muellers Liebe galt der Kunst der Ägypter,
ohne daß diese aiuf sein Schaffen formal ein-
wirkte. Die Beschäftigung mit ihr und uner-
müdliches Experimentieren führte ihn zur Ver-
vollkommnung einer eigenen Leimfarbentech-
nik, die er in der Durchführung seiner Inten-
tionen dienstbar machte. Die Wirkungen
reiner Wandmalerei als Zielseßung erreichte
er durch Verwendung einer dem Freskogrund
verwandten, groben Leinwand, mit welcher
sich die Farben besonders günstig verbanden,
die Leuchtkraft und Haltbarkeit seiner Werke.
Zeitweise malte er sogar unmittelbar al fresco,
also notwendig auf den ersten Wurf, eine Ar-
beitsweise, die er wegen der ihr anhaftenden |
technischen Gebundenheit und zugunsten
größerer Farbigkeit wieder aufgab. Es ist
sehr zu bedauern, daß diesem geborenen
Freskanfen keine Aufträge zu Wandmalereien
zuteil geworden sind.
Otto Mueller erschien seiner Umgebung als
ein Träumer; um so mehr seßte er sie ständig
aufs Neue in Erstaunen durch eine seltene
Otto Mueller
Selbstbildnis
Portrait dß lui memß — Portrait of himsel
Treffsicherheit des Urteils über Dinge, von
denen man nicht annahm, daß sie in seinen
Gesichtskreis traten, und durch eine plößlich
sich erweisende Befähigung für Aufgaben,
deren Lösung man von ihm nicht erwartete.
Er, der sich nicht sonderlich mit der Kunst
Anderer beschäftigte, wußte im Kreise einer
Jury den Wert oder Unwert eines Kunstwerkes
sofort zu bestimmen und sein Urteil mit in-
tuitiver Sicherheit zu begründen. Ebenso un-
erwartet stellte sich nach seiner Berufung an
die Breslauer Akademie eine ausgesprochene
Eignung zum Lehrer heraus. Wie kaum ein
anderer von seinen Schulern geliebt, förderte
er sie durch eine straffe Schulung, die keinen
unterdrückte und aus jedem das Brauchbarste
hcrausholte. Ein Gegner vorzeitigen Malens,
das immer die Möglichkeit der Selbsttäu-
schung und formaler Unbestimmtheit birgt,
verlangte er von seinen Schülern ausschließ-
liches Zeichnen. Als eines Tages die Aka-
demie durch eine Ausstellung Rechenschaft
über ihre Tätigkeit ablegen sollte, teilte er
jedem seiner Schüler drei Farben zu, mit denen
sie ein Stilleben zu malen hatten. Die Arbei-
ten seiner Klasse waren der Erfolg der Aus-
stellung.
Carl Hauptmann hat dem Künstler in sei-
nem Roman „Einhart der Lächler“ ein Denk-
mal geseßt, glücklicher und verständnisvoller,
als es Cezanne durch Zola in „L’Oeiuvre“ ge-
schehen ist. Wie sehr der Dichter den Maler
im Kern seines Wesens erkannte, zeigt die
eigentümliche Tatsache, daß er den Helden
seines Buches unter die Zigeuner gehen läßt,
und daß, Jahre später, Otto Mueller alljähr-
lich einige Monate unter Zigeunern zu ver-
Die ganze Welt der Kunst liest die
WELTKUNST
bringen pflegte. Diese Neigung, mehr ein
Trieb, war bedeutsam. Nicht, nur im Äußeren
glich Otto Mueller diesem Wandervolk; eine
tatsächlich bestehende, blutsmäßige Verwandt-
schaft kam zum Durchbruch, der Künstler
hatte wahrhaft das Herz eines der ihren und
fühlte sich, selbst eine dem Mystischen und
Magischen zugewandte Natur, ihrem magischen
Lebensgefühl unmittelbar verbunden. Vagant
wie sie, lebte er auch in der Stadt gänzlich
bedürfnislos, hatte nie Besiß, selten eine
Wohnung und schlief im Atelier. Die Astro-
logie beschäftigte ihn sehr, und es gibt kaum
ein Selbstbildnis, das nicht ein glückbringen-
des Zeichen aus seinem Horoskop trägt.
Die Würdigung Otto Muellers hat bisher
darunter gelitten, daß seine zeitlose Kunst
keine eigentlichen Anknüpfungspunkte er-
kennen läßt, von der Problematik heutiger
Malerei unberührt geblieben ist und sich
schwer in eine der bei uns Begriffsgläubigen
so beliebten Kategorien einordnen läßt. Die
zeitgebundene Nahsicht, der wir uns schwer
entziehen können, erschwert nicht nur in die-
sem Fall die unbefangene Bewertung, die erst
durch die ausgleichende und gerechtere Stel-
lungnahme einer späteren Entwicklungsstufe
vollzogen werden wird. In Berlin wurden bis-
her Arbeiten Otto Muellers von Carl Nieren-
dorf und Ferdinand Moeller ausgestellt. Es ist
zu hoffen, daß das durch äußere Umstände sehr
verstreute Werk des Künstlers in absehbarer
Zeit zu einer Gesamtausstellung vereinigt wird.
Dr. Kurt Kusenberg