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WELT KUNST
Jahrg. IV, Nr. 49 vom 7. Dezember 1930
Das unbekannte Meisterwerk
Bildnis
Dr. Rudolf Heinemann-
das in seiner muster-
der Technik nicht
abonniert ?
die sich, ohne ehrliche Händler zu sein, in
einer des Gelehrten unwürdigen Weise am
Kunsthandel bereichern — diese Überzeugung
wird in mir selbst nicht mehr erschüttert wer-
den können. Aber man würde nach außen
zum Schweigen verdammt, in die alte hoff-
nungslose Stimmung zurückgezwungen, die
allen Beteiligten bekannt ist: „Wir wissen es
alle, aber wir können es nicht beweisen.“
Es gibt noch eine Reihe anderer Fragen
des Expertisenwesens, die uns brennend inter-
essieren. Es ist zum mindesten gedankenlos,
zu glauben, daß die Art der Expertise und die
Art ihres Zustandekommens den akademi-
schen Lehrer nichts angehe. Durch die Ex-
pertisen werden uns nicht selten erstaunliche
Änderungen des wissenschaftlichen Weltbildes
zugemutet, des Bildes hervorragender Künst-
ler — in ihrem Stil, ihrer Entwicklung, ihrer
Qualität vor allem —, die wir vor unseren
Studenten nur bei unbegrenztem Vertrauen
vertreten könnten. Dieses Vertrauen ist er-
schüttert. Gewiß, keineswegs nur durch die
peinlicheren Arten der Honorierung. Aber es
genüge dieses Mal, bei jener allgemeinsten
Frage der Standesehre zu bleiben. Ich wage
die Bitte an die Herren des guten Handels
selbst, uns zu helfen. Den Typus 3 könnte
man sehr schnell ausrotten, wenn die Händler
selbst sich ihm restlos versagten und jede
Verkoppelung von Honorar und Marktwert ab-
lehnten. Man meint, der Händler müßte froh
sein, diesen Typus los zu werden. Die Wis-
senschaft selbst kann hier schon kaum mehr
helfen. Für sie sind die Leute des Typus 3,
von 4 nicht zu reden, ohnehin verloren. Von
ihr dürfen jene nichts anderes mehr er-
warten, als mit Verachtung ausgestoßen zu
werden.
alle Gelehrten von
bunter Reihenfolge
Hadeln, Buchner,
Der klare Zweck meines Aufseßes war es
doch, zu zeigen, wieso die Expertise notwen-
dig ist und warum der Händler gezwungen
ist, den besten Spezialisten bei wichtigen
Bildern um Rat zu fragen. In meinem Auf-
saß habe ich weiter dagegen protestiert, daß
dieser kleine Kreis von anerkannten Spezial-
forschern von unbefugter Seite ein „Ring“
genannt wurde.
Geheimrat Pinder schreibt: „Automatisch
wurde dabei auch das geistige Niveau ge-
senkt“, ferner „was Menschen höherer Bil-
dungsstufe sich denken werden, brauche ich
nicht auszusprechen“. Wieviele, wohl auch
von Geheimrat Pinder anerkannte Museums-
direktoren und sonstige Kunstgelehrte — die
sich, zum Teil auch schriftlich, außerordent-
lich zustimmend zu meinem Aufsaß geäußert
haben — wären wohl nach dieser Bemerkung
von der „höheren Bildungsstufe“ ausge-
schlossen!
frage großenteils zustimmen muß, obwohl es
nicht angeht, dem „wirtschaftlich interessier-
ten“ Experten die bona fides abzusprechen,
abgesehen davon, daß nicht wenige der Ver-
treter gerade auch der von Ihnen ver-
schmähten Gruppen für die Wissenschaft
Außergewöhnliches geleistet haben, übrigens,
verehrter Herr Geheimrat, es ist leicht, vom
grünen Tisch her Wissenschaftler zu ver-
urteilen, die den Mut haben, der Historie neues
Material zuzuführen und dieses Material neu-
artig zu ordnen, es ist leichter, zu negieren,
als positiv an neuem Aufbau mitzuwirken.
Unter dem Titel „Das unbekannte Meister-
werk“ gibt Wilhelm R. V a 1 e n t i n e r , der
Direktor des Museums in Detroit, mit Unfer-
stüßung von Ludwig Burchard und Alfred
Scharf eine luxuriös ausgestaftefe fünf-
bändige Bild-Publikation heraus, deren erster
Band mii 103 herrlich klaren und tonigen
wie es, in äußerem Gewände unvergleichbar,
seit den lange vor dem Kriege erschienenen
Bildpublikafionen wie Spemanns „Museum“
oder dem „Archiv für Kunstgeschichte" nicht
mehr in Angriff genommen wurde. D.
der „Sammlung Schloß Rohoncz“ eingestan-
den sind. — Wo ist denn die wissenschaftliche
Leistung des Kronzeugen Hans Tieße, daß er
sich eine Universal-Kenninis anmaßt, die über
jener der genannten Gelehrten von Weltruf
steht?
Doch, Herr Geheimrat, genug der Abwehr
eines vor allem in der Form auch betrüblichen
Angriffs. Aus Ihren Worten erkennt man klar,
wie weit entfernt Sie sind von der primär
notwendigen, praktischen Kunstforschung, die
leider — mit wenigen Ausnahmen — heute
ihre Pflege abseits der Universitäten suchen
muß, bei den Museen und den jeßt so viel
geschmähten promovierten und sogar nicht
promovierten Herren des Kunsthandels, denen
Sie übrigens Ihre Anerkennung in praktischer
Form — zu der Sie gerade in München
Gelegenheit hätten — nie zum Ausdruck brin-
gen. Denn keine Kunsthandlung Ihrer
Universitätsstadt München — und gerade hier
Salomon van Ruisdael, Flußlandschaft
Paysage — Landscape
Holz -— Bois — Panel, 14,5 : 19,5 cm
Versteigerung —- Vente —• Sale:
A. Wertheim, Berlin, 11. Dezember 1930
Nicolas Poussin, Landschaft —■ Paysage — Landscape
München, Galerie Fleischmann
Aus: Valentiner, Das unbekannte Meisterwerk (Verlag Klinkhardt & Biermann, Berlin, 1930)
Völlig unerklärlich ist es, mit welchen
Worten ich bei Geheimrat Pinder den Ein-
druck erwecken konnte, als stünde ich den
gelehrten Experten mit dem Gefühl eines „Ar-
beitgebers“ gegenüber, wenn ich davon
sprach, daß der pflichtbewußte Kunsthändler
bei jedem wichtigen Objekt den hervorragen-
den Spezialkenner um sein Urteil bitten muß.
Mir deshalb das Gefühl eines Arbeitgebers
zum Arbeitnehmer und noch dazu in diesem
Zusammenhang „herablassendes“ Gefühl zu
unterstellen, ist doch wohl geradezu an den
Haaren herbeigezogen.
Ich spreche im Namen wohl beinahe aller
„promovierter Herren“ des Kunsfhandels,
wenn ich dagegen protestiere, daß Pinder
in einem Aufsaß, in dem er vor diesen promo-
vierten Herren des Kunsfhandels eine Ver-
beugung macht, ausgerechnet Herrn Hans
Tieße als Kronzeugen gegen unsaubere
Machinationen anruft, Herrn Hans Tieße, der
die Stirn hat, in seinem, gelinde gesagt, un-
sachlichen Artikel über die „Sammlung Schloß
Rohoncz" in der „Frankfurter Zeitung“ von
einer „trüben Welt von verbündeten Händlern,
Restauratoren und Expertiseuren“ zu
sprechen, Herrn Hans T i e t z e, der mit dieser
befinden sich doch einige der international
angesehensten und wissenschaftlich kenntnis-
reichsten Händler! — kann sich meines
Wissens eines Besuches des offiziellen Ver-
treters der Kunstwissenschaft der Stadt
rühmen. Ist das Angst vor der „trüben Welt“
des Kunsthandels oder Angst vor der Be-
rührung mit dem „lebendigen Objekt“, das
noch nicht durch das Fegefeuer der kunst-
historischen Literatur gegangen ist?
Die Gerechtigkeit verlangt im übrigen, zu
betonen, daß jeder anständig denkende
Händler Ihrem Aufsaß über die Honorierungs-
Lichtdrucktafeln und den Beschreibungen
erster Sachkenner vor kurzem erschienen ist.
Zweck und Sinn dieses großzügigen Unter-
nehmens ergibt sich aus den grundlegenden
Umwälzungen, denen der öffentliche und
private Besiß im Laufe der leßten Jahrzehnte
unterworfen war und die eine nicht unbe-
trächtliche Menge von Ftauptwerken der be-
deutendsten Meister dem Gesichtskreise des
Forschers und Kunstfreundes entrückt haben.
So bildet dieses Werk,
haften Ausstattung zu
den auch bibliophil
wichtigsten Bänden des
deutschen Kunstbuch-
marktes gerechnet wer-
den darf, nicht nur für
den Forscher einen
Grundstock wichtigsten,
in guten Abbildungen
kaum zu beschaffenden
Arbeitsmaterials, son-
dern gleichzeitig das
europäische Dokument
einer Zeit, die die
Werte ihrer historisch-
künstlerischen Vergan-
genheit, auch wenn sie,
was der vorliegende
Band wieder in aller
Deutlichkeit zeigt, nicht
als materieller Besiß
festzuhalten sind, we-
nigstens im bildhaften
Eindruck ihrer geisti-
gen Wesenheit zu
pflegen sich bestrebt.
Wenngleich natur-
gemäß ein großer Teil
der hier reproduzier-
ten Werke aller euro-
päischen Schulen dem
Spezialforscher, wenn
auch nur in mehr oder
minder guten Wieder-
gaben, geläufig sind, so
sind sie für die Kreise
der Kunstfreunde doch
unbekannt in dem
Sinne, daß sie in ent-
legenem Privatbesiß,
oder an kaum zugäng-
licher Stelle ein der
Öffentlichkeit verwehr-
tes Sonderdasein füh-
ren. Ein Museum von
außergewöhnlicher
Breite öffnet sich dem
Betrachter beim Durch-
blättern dieses Bandes,
gibt wenigstens einen
nach dem heutigen Stande_ . _
zu überbietenden Abglanz von der Bedeutung
der Meisterwerke, die hier in sorgfältiger
Auswahl und unter Ausscheidung alles auch
nur entfernt Zweifelhaften vereinigt sind.
Die „Weltkunsl“ beweist weiter ihre
Loyalität: Sie gibt mir gleich hier Gelegen-
heit, auf den scharfen Angriff Geheimral Pin-
ders gegen meinen Beitrag zur Expertisen-
frage zu anworten.
Vorausgeschickf: Es ist mir äußerst be-
dauerlich, gegen Geheimrat Pinder, in dem
ich immer einen der vornehmsten Vertreter
der rein theoretischen Kunstwissenschaft ver-
ehrt habe, polemisieren zu müssen. Aber
dieser Beitrag Pinders zur Expertisenfrage
scheint mir weniger „brutal“, wie er selbst
schreibt, als vollkommen unobjektiv zu sein,
und er beweist klar, daß Pinder in ein Gebiet
eingreift, das ihm vollkommen ferne liegt.
Bevor ich jedoch näher darauf eingehe, muß
ich mein Verwundern darüber aussprechen,
daß ein Gelehrter von Pinders Rang aus
meinem Aufsaß willkürlich einzelne Säße
herausgreift und damit den Inhalt völlig ver-
biegt, wenn ich nicht von einem gröblichen
Mißverständnis meiner Ausführungen sprechen
soll. Wer von den Lesern sich die Mühe
nehmen will, meinen Aufsaß in Nr. 37 dieses
Blattes objektiv nochmals zu lesen, wird die
Entstellung dieses Aufsaßes durch Geheimrat
Pinder leicht erkennen können.
Bemerkung so ziemlich
Weltruf, wie z. B. in
Friedländer, Berenson,
Borenius, Gronau, Mayer, Bode, Valentiner,
Hofstede de Groot, Martin, in diese „trübe
Welt“ mit einbezieht, nachdem sie mit ihren
Namen für die Bilder ihres Spczialgeb'etes
der Sammlung von der Heydt, oder die zwei
glänzenden Bildnisse von Cranach bei Oskar
Reinhart aus früherem englischem Besiß
gegenüberstehen, die erst kürzlich für
Deutschland gerettet werden konnten. Die
französische Malerei wird durch einige Tafeln
der Primitiven des 15. Jahrhunderts, eine
großartige Landschaft von Poussin aus der
Zeit um 1645—50 (Abbildung nebenst.) und
Werke der Le Nain, Watteau, Nattier, Laueret,
Chardin, Boucher und Fragonard repräsen-
tiert, die spanische und englische Kunst durch
eine Reihe hervorragender, meist unpublizier-
ter Bildnisse der Großmeister.
Diese Stichproben sollen nur Umfang und
Blickweite dieses Standardwerks andeufen,
das nach seiner Vollendung ein Korpus euro-
päischer Kunst in Hauptwerken bilden wird.
Haben Sie schon die
„WELTKUNST“
Fleischmann, München
Eine Erwiderung
So findet man unter den italienischen
Werken die kürzlich von Berenson entdeckte
Madonna Masaccios aus dem Besiß von
Duveen, eine bisher unbekannte Madonna
Filippo Lippis aus einer französischen Privat-
sammlung neben dem markigen Bildnis
Castagnos der Sammlung Morgan (Ab-
bildung unten) oder dem von Venturi
dem Antonio Pollajuolo zugewiesenen weib-
lichen Profilporträt aus der Sammlung Fisher
in Detroit. Und weiter vielfach unbekannte
Hauptwerke der Bellini, Antonello da Messina,
Raffael, Correggio, Tizian und Tintorefto,
Veronese und Tiepolo. Bei den Niederländern
findet man mehrere Stücke wie das weibliche
Bildnis des Roger van der Weyden aus dem
Gotischen Haus in Wörliß oder die stillende
Madonna des Dirk Bouts und die Verkündi-
gung des Gerard David aus der Sigmaringer
Sammlung, die sich nunmehr in amerikani-
schem Privatbesiß befinden, wie überhaupt
die Abwanderung europäischen Kunstgutes
hier stark in Erscheinung tritt. So bildet einen
zweifellosen Verlust auch das hier erstmals
gut reproduzierte Männerbildnis von Dürer
aus dem Jahre 1507, das aus schwedischem
Besiß über den deutschen Kunsthandel in die
Sammlung des amerikanischen Schaßkanzlers
Mellon gelangte, wenngleich diesem Abgang
auch gerade auf dem Gebiet der deutschen
Malerei wieder Hauptwerke wie das Xilotek-
tus-Porträt des Germanischen National-
museums, die beiden Tafeln von Lochner aus
Andrea del Castagno
Männerbildnis — Portrait d homme — Portrait of a man
New York, Collection G. Pierpont Morgan
Aus: Valentiner, Das unbekannte Meisterwerk
(Verlag Klinkhardt & Biermann, Berlin, 1930)
WELT KUNST
Jahrg. IV, Nr. 49 vom 7. Dezember 1930
Das unbekannte Meisterwerk
Bildnis
Dr. Rudolf Heinemann-
das in seiner muster-
der Technik nicht
abonniert ?
die sich, ohne ehrliche Händler zu sein, in
einer des Gelehrten unwürdigen Weise am
Kunsthandel bereichern — diese Überzeugung
wird in mir selbst nicht mehr erschüttert wer-
den können. Aber man würde nach außen
zum Schweigen verdammt, in die alte hoff-
nungslose Stimmung zurückgezwungen, die
allen Beteiligten bekannt ist: „Wir wissen es
alle, aber wir können es nicht beweisen.“
Es gibt noch eine Reihe anderer Fragen
des Expertisenwesens, die uns brennend inter-
essieren. Es ist zum mindesten gedankenlos,
zu glauben, daß die Art der Expertise und die
Art ihres Zustandekommens den akademi-
schen Lehrer nichts angehe. Durch die Ex-
pertisen werden uns nicht selten erstaunliche
Änderungen des wissenschaftlichen Weltbildes
zugemutet, des Bildes hervorragender Künst-
ler — in ihrem Stil, ihrer Entwicklung, ihrer
Qualität vor allem —, die wir vor unseren
Studenten nur bei unbegrenztem Vertrauen
vertreten könnten. Dieses Vertrauen ist er-
schüttert. Gewiß, keineswegs nur durch die
peinlicheren Arten der Honorierung. Aber es
genüge dieses Mal, bei jener allgemeinsten
Frage der Standesehre zu bleiben. Ich wage
die Bitte an die Herren des guten Handels
selbst, uns zu helfen. Den Typus 3 könnte
man sehr schnell ausrotten, wenn die Händler
selbst sich ihm restlos versagten und jede
Verkoppelung von Honorar und Marktwert ab-
lehnten. Man meint, der Händler müßte froh
sein, diesen Typus los zu werden. Die Wis-
senschaft selbst kann hier schon kaum mehr
helfen. Für sie sind die Leute des Typus 3,
von 4 nicht zu reden, ohnehin verloren. Von
ihr dürfen jene nichts anderes mehr er-
warten, als mit Verachtung ausgestoßen zu
werden.
alle Gelehrten von
bunter Reihenfolge
Hadeln, Buchner,
Der klare Zweck meines Aufseßes war es
doch, zu zeigen, wieso die Expertise notwen-
dig ist und warum der Händler gezwungen
ist, den besten Spezialisten bei wichtigen
Bildern um Rat zu fragen. In meinem Auf-
saß habe ich weiter dagegen protestiert, daß
dieser kleine Kreis von anerkannten Spezial-
forschern von unbefugter Seite ein „Ring“
genannt wurde.
Geheimrat Pinder schreibt: „Automatisch
wurde dabei auch das geistige Niveau ge-
senkt“, ferner „was Menschen höherer Bil-
dungsstufe sich denken werden, brauche ich
nicht auszusprechen“. Wieviele, wohl auch
von Geheimrat Pinder anerkannte Museums-
direktoren und sonstige Kunstgelehrte — die
sich, zum Teil auch schriftlich, außerordent-
lich zustimmend zu meinem Aufsaß geäußert
haben — wären wohl nach dieser Bemerkung
von der „höheren Bildungsstufe“ ausge-
schlossen!
frage großenteils zustimmen muß, obwohl es
nicht angeht, dem „wirtschaftlich interessier-
ten“ Experten die bona fides abzusprechen,
abgesehen davon, daß nicht wenige der Ver-
treter gerade auch der von Ihnen ver-
schmähten Gruppen für die Wissenschaft
Außergewöhnliches geleistet haben, übrigens,
verehrter Herr Geheimrat, es ist leicht, vom
grünen Tisch her Wissenschaftler zu ver-
urteilen, die den Mut haben, der Historie neues
Material zuzuführen und dieses Material neu-
artig zu ordnen, es ist leichter, zu negieren,
als positiv an neuem Aufbau mitzuwirken.
Unter dem Titel „Das unbekannte Meister-
werk“ gibt Wilhelm R. V a 1 e n t i n e r , der
Direktor des Museums in Detroit, mit Unfer-
stüßung von Ludwig Burchard und Alfred
Scharf eine luxuriös ausgestaftefe fünf-
bändige Bild-Publikation heraus, deren erster
Band mii 103 herrlich klaren und tonigen
wie es, in äußerem Gewände unvergleichbar,
seit den lange vor dem Kriege erschienenen
Bildpublikafionen wie Spemanns „Museum“
oder dem „Archiv für Kunstgeschichte" nicht
mehr in Angriff genommen wurde. D.
der „Sammlung Schloß Rohoncz“ eingestan-
den sind. — Wo ist denn die wissenschaftliche
Leistung des Kronzeugen Hans Tieße, daß er
sich eine Universal-Kenninis anmaßt, die über
jener der genannten Gelehrten von Weltruf
steht?
Doch, Herr Geheimrat, genug der Abwehr
eines vor allem in der Form auch betrüblichen
Angriffs. Aus Ihren Worten erkennt man klar,
wie weit entfernt Sie sind von der primär
notwendigen, praktischen Kunstforschung, die
leider — mit wenigen Ausnahmen — heute
ihre Pflege abseits der Universitäten suchen
muß, bei den Museen und den jeßt so viel
geschmähten promovierten und sogar nicht
promovierten Herren des Kunsthandels, denen
Sie übrigens Ihre Anerkennung in praktischer
Form — zu der Sie gerade in München
Gelegenheit hätten — nie zum Ausdruck brin-
gen. Denn keine Kunsthandlung Ihrer
Universitätsstadt München — und gerade hier
Salomon van Ruisdael, Flußlandschaft
Paysage — Landscape
Holz -— Bois — Panel, 14,5 : 19,5 cm
Versteigerung —- Vente —• Sale:
A. Wertheim, Berlin, 11. Dezember 1930
Nicolas Poussin, Landschaft —■ Paysage — Landscape
München, Galerie Fleischmann
Aus: Valentiner, Das unbekannte Meisterwerk (Verlag Klinkhardt & Biermann, Berlin, 1930)
Völlig unerklärlich ist es, mit welchen
Worten ich bei Geheimrat Pinder den Ein-
druck erwecken konnte, als stünde ich den
gelehrten Experten mit dem Gefühl eines „Ar-
beitgebers“ gegenüber, wenn ich davon
sprach, daß der pflichtbewußte Kunsthändler
bei jedem wichtigen Objekt den hervorragen-
den Spezialkenner um sein Urteil bitten muß.
Mir deshalb das Gefühl eines Arbeitgebers
zum Arbeitnehmer und noch dazu in diesem
Zusammenhang „herablassendes“ Gefühl zu
unterstellen, ist doch wohl geradezu an den
Haaren herbeigezogen.
Ich spreche im Namen wohl beinahe aller
„promovierter Herren“ des Kunsfhandels,
wenn ich dagegen protestiere, daß Pinder
in einem Aufsaß, in dem er vor diesen promo-
vierten Herren des Kunsfhandels eine Ver-
beugung macht, ausgerechnet Herrn Hans
Tieße als Kronzeugen gegen unsaubere
Machinationen anruft, Herrn Hans Tieße, der
die Stirn hat, in seinem, gelinde gesagt, un-
sachlichen Artikel über die „Sammlung Schloß
Rohoncz" in der „Frankfurter Zeitung“ von
einer „trüben Welt von verbündeten Händlern,
Restauratoren und Expertiseuren“ zu
sprechen, Herrn Hans T i e t z e, der mit dieser
befinden sich doch einige der international
angesehensten und wissenschaftlich kenntnis-
reichsten Händler! — kann sich meines
Wissens eines Besuches des offiziellen Ver-
treters der Kunstwissenschaft der Stadt
rühmen. Ist das Angst vor der „trüben Welt“
des Kunsthandels oder Angst vor der Be-
rührung mit dem „lebendigen Objekt“, das
noch nicht durch das Fegefeuer der kunst-
historischen Literatur gegangen ist?
Die Gerechtigkeit verlangt im übrigen, zu
betonen, daß jeder anständig denkende
Händler Ihrem Aufsaß über die Honorierungs-
Lichtdrucktafeln und den Beschreibungen
erster Sachkenner vor kurzem erschienen ist.
Zweck und Sinn dieses großzügigen Unter-
nehmens ergibt sich aus den grundlegenden
Umwälzungen, denen der öffentliche und
private Besiß im Laufe der leßten Jahrzehnte
unterworfen war und die eine nicht unbe-
trächtliche Menge von Ftauptwerken der be-
deutendsten Meister dem Gesichtskreise des
Forschers und Kunstfreundes entrückt haben.
So bildet dieses Werk,
haften Ausstattung zu
den auch bibliophil
wichtigsten Bänden des
deutschen Kunstbuch-
marktes gerechnet wer-
den darf, nicht nur für
den Forscher einen
Grundstock wichtigsten,
in guten Abbildungen
kaum zu beschaffenden
Arbeitsmaterials, son-
dern gleichzeitig das
europäische Dokument
einer Zeit, die die
Werte ihrer historisch-
künstlerischen Vergan-
genheit, auch wenn sie,
was der vorliegende
Band wieder in aller
Deutlichkeit zeigt, nicht
als materieller Besiß
festzuhalten sind, we-
nigstens im bildhaften
Eindruck ihrer geisti-
gen Wesenheit zu
pflegen sich bestrebt.
Wenngleich natur-
gemäß ein großer Teil
der hier reproduzier-
ten Werke aller euro-
päischen Schulen dem
Spezialforscher, wenn
auch nur in mehr oder
minder guten Wieder-
gaben, geläufig sind, so
sind sie für die Kreise
der Kunstfreunde doch
unbekannt in dem
Sinne, daß sie in ent-
legenem Privatbesiß,
oder an kaum zugäng-
licher Stelle ein der
Öffentlichkeit verwehr-
tes Sonderdasein füh-
ren. Ein Museum von
außergewöhnlicher
Breite öffnet sich dem
Betrachter beim Durch-
blättern dieses Bandes,
gibt wenigstens einen
nach dem heutigen Stande_ . _
zu überbietenden Abglanz von der Bedeutung
der Meisterwerke, die hier in sorgfältiger
Auswahl und unter Ausscheidung alles auch
nur entfernt Zweifelhaften vereinigt sind.
Die „Weltkunsl“ beweist weiter ihre
Loyalität: Sie gibt mir gleich hier Gelegen-
heit, auf den scharfen Angriff Geheimral Pin-
ders gegen meinen Beitrag zur Expertisen-
frage zu anworten.
Vorausgeschickf: Es ist mir äußerst be-
dauerlich, gegen Geheimrat Pinder, in dem
ich immer einen der vornehmsten Vertreter
der rein theoretischen Kunstwissenschaft ver-
ehrt habe, polemisieren zu müssen. Aber
dieser Beitrag Pinders zur Expertisenfrage
scheint mir weniger „brutal“, wie er selbst
schreibt, als vollkommen unobjektiv zu sein,
und er beweist klar, daß Pinder in ein Gebiet
eingreift, das ihm vollkommen ferne liegt.
Bevor ich jedoch näher darauf eingehe, muß
ich mein Verwundern darüber aussprechen,
daß ein Gelehrter von Pinders Rang aus
meinem Aufsaß willkürlich einzelne Säße
herausgreift und damit den Inhalt völlig ver-
biegt, wenn ich nicht von einem gröblichen
Mißverständnis meiner Ausführungen sprechen
soll. Wer von den Lesern sich die Mühe
nehmen will, meinen Aufsaß in Nr. 37 dieses
Blattes objektiv nochmals zu lesen, wird die
Entstellung dieses Aufsaßes durch Geheimrat
Pinder leicht erkennen können.
Bemerkung so ziemlich
Weltruf, wie z. B. in
Friedländer, Berenson,
Borenius, Gronau, Mayer, Bode, Valentiner,
Hofstede de Groot, Martin, in diese „trübe
Welt“ mit einbezieht, nachdem sie mit ihren
Namen für die Bilder ihres Spczialgeb'etes
der Sammlung von der Heydt, oder die zwei
glänzenden Bildnisse von Cranach bei Oskar
Reinhart aus früherem englischem Besiß
gegenüberstehen, die erst kürzlich für
Deutschland gerettet werden konnten. Die
französische Malerei wird durch einige Tafeln
der Primitiven des 15. Jahrhunderts, eine
großartige Landschaft von Poussin aus der
Zeit um 1645—50 (Abbildung nebenst.) und
Werke der Le Nain, Watteau, Nattier, Laueret,
Chardin, Boucher und Fragonard repräsen-
tiert, die spanische und englische Kunst durch
eine Reihe hervorragender, meist unpublizier-
ter Bildnisse der Großmeister.
Diese Stichproben sollen nur Umfang und
Blickweite dieses Standardwerks andeufen,
das nach seiner Vollendung ein Korpus euro-
päischer Kunst in Hauptwerken bilden wird.
Haben Sie schon die
„WELTKUNST“
Fleischmann, München
Eine Erwiderung
So findet man unter den italienischen
Werken die kürzlich von Berenson entdeckte
Madonna Masaccios aus dem Besiß von
Duveen, eine bisher unbekannte Madonna
Filippo Lippis aus einer französischen Privat-
sammlung neben dem markigen Bildnis
Castagnos der Sammlung Morgan (Ab-
bildung unten) oder dem von Venturi
dem Antonio Pollajuolo zugewiesenen weib-
lichen Profilporträt aus der Sammlung Fisher
in Detroit. Und weiter vielfach unbekannte
Hauptwerke der Bellini, Antonello da Messina,
Raffael, Correggio, Tizian und Tintorefto,
Veronese und Tiepolo. Bei den Niederländern
findet man mehrere Stücke wie das weibliche
Bildnis des Roger van der Weyden aus dem
Gotischen Haus in Wörliß oder die stillende
Madonna des Dirk Bouts und die Verkündi-
gung des Gerard David aus der Sigmaringer
Sammlung, die sich nunmehr in amerikani-
schem Privatbesiß befinden, wie überhaupt
die Abwanderung europäischen Kunstgutes
hier stark in Erscheinung tritt. So bildet einen
zweifellosen Verlust auch das hier erstmals
gut reproduzierte Männerbildnis von Dürer
aus dem Jahre 1507, das aus schwedischem
Besiß über den deutschen Kunsthandel in die
Sammlung des amerikanischen Schaßkanzlers
Mellon gelangte, wenngleich diesem Abgang
auch gerade auf dem Gebiet der deutschen
Malerei wieder Hauptwerke wie das Xilotek-
tus-Porträt des Germanischen National-
museums, die beiden Tafeln von Lochner aus
Andrea del Castagno
Männerbildnis — Portrait d homme — Portrait of a man
New York, Collection G. Pierpont Morgan
Aus: Valentiner, Das unbekannte Meisterwerk
(Verlag Klinkhardt & Biermann, Berlin, 1930)