Jahrg. IV, Nr. 49 vom 7. Dezember 1930
WELTKUNST
17
und seine Notizen für eine neue Ausgabe der
Penthesilea mit Tinte in ein Exemplar der
Erstausgabe geschrieben, womit er bewies,
daß ein großer Gelehrter nicht immer ein
guter Bibliophile zu sein braucht. Wißig glos-
siert Dr. Hanauer in seiner Benutzungsord-
nung für Bibliotheken diese Unsitte, wenn er
sagt: „Um auch den nachfolgenden Lesern
des Buches von dem eigenen Gedankenreich-
tum Kenntnis zu geben, empfiehlt er sich, Be-
merkungen auf den eigens dazu freigelas-
senen Rand zu schreiben. Dadurch wird nicht
nur das Aussehen des Buches verschönt, son-
dern auch die Lektüre erleichtert, wenn gleich
ein Kommentar mitgeliefert wird. Ein Ver-
gleich mehrerer solcher Ergänzungen und
wohl meistens Verbesserungen gibt inter-
essante Vergleichsmöglichkeiten über die
Wirkung des Gelesenem Man nehme dazu
einen möglichst harten, eventuell angefeuch-
teten Kopierstift und drücke stark auf. Aere
perennius.“ Die liebliche Gewohnheit, Bücher
mit Handschuhen anzufassen, ist oft genug
gerügt worden. Man kann dem weiblichen
Geschlecht, das hier an der Spiße steht, nur
raten, immer Regenwetter abzuwarten und
nur zarte weiße Einbände anzutatschen, da
auf diesen der Handschuhabdruck in die wün-
schenswerte deutlichste Erscheinung tritt. —
Der früher so gefürchtete Bücherwurm, vor
dem schon Lukian warnt und dessen seltsam
gewundenen Gängen wir in alten Bänden so
oft begegnen, ist selten geworden und richtet
in Privatsammlungen nur noch wenig Scha-
den an. Auch Stockflecken trifft man seit
Einführung der Zentralheizung weniger als
früher. — Die gemeingefährlichen Bestien,
welche diebischerweise die Bilder aus ge-
borgten Büchern ausschneiden, beehren im
allgemeinen fast nur öffentliche Büchereien.
Ein Edinburger Blatt hat mal vorgeschlagen,
es sollte dem Übeltäter für jede gestohlene
Tafel ein Zahn ausgerissen werden, aber
„ohne Luftgas“. — Zum Schluß möchte ich
noch eines letzten, darum nicht weniger ge-
fährlichen Bücherfeindes Erwähnung tun. Das
ist oft die liebevolle, sorgende Ehefrau des
Sammlers. So lange es bei der unter obli-
gatem Augenaufschlag klagenden Anrede
bleibt: „Muckelchen, schon wieder? Wo sollen
wir denn bloß noch mit all dem Kram hin?
Wir ersticken ja!“, so lange geht es ja noch.
Aber es kann auch schlimmer kommen. Der
Antiquar Kemsys hat mal davon berichtet,
welcher wunderbaren Szene zwischen einem
sammelnden Staatsanwalt und seiner lieb-
lichen Frau Gemahlin er beigewohnt hat, wo-
bei Frauchens „Lorchen“ auch seinen Teil
dazu beitrug, indem es den Wechselgesang
des Ehepaares andauernd mit dem seelen-
vollen Gekreische „Bücher raus!“ begleitete.
Wenn es dann wirklich zur Exmission der
geistigen Ware kommt — wir Männer geben
ja bei unserer angeborenen Sanftheit doch
immer nach — wie? — dann kann man
wirklich sagen: „Habent sua fata libelli“,
wenn dieser Satz des alten Terentianus
Maurus auch ursprünglich ganz etwas an-
deres bedeutete, nämlich besagen wollte, daß
Schmähschriften ihre Schicksale hätten je
nach der geistigen Kapazität des Lesers, wie
denn der Hexameter, der immer nur gekürzt
zitiert wird, eigentlich lautete: „Pro captu
lectoris habent sua fata libelli.“
Ueber Bibliophilie und die Krise der
Gesellschaft der Bibliophilen
Von Robert Steinberg
Wir bringen den nachstehenden Artikel zum
Abdruck, ohne uns mit dem Inhalt desselben
zu identifizieren. Wir hoffen, daß aus den
Kreisen der Deutschen Gesellschaft der Biblio-
philen zu den Anregungen des Herrn Steinberg
Stellung genommen wird, wozu wir die Spalten
der „Weltkunst“ gern zur Verfügung halten.
Die Redaktion
Ein Mann kann mit einer Frau sehr be-
freundet sein, wenn beide einen gewissen
Grad von Klugheit besaßen, unabhängig davon,
ob der weibliche Partner schön oder häßlich
ist. Aber oft wird sich die aufrichtige Freund-
schaft des lebensstarken Mannes in innige
Liebe verwandeln, wenn „sie" schön ist, oder
„er“ ihre Schönheiten entdeckt. So ungefähr
— stelle ich mir vor — wurde aus einem
Bücherfreund, deren es gab, solange Bücher
sind, der erste Bibliophile. Diese Metamor-
phose muß sehr früh in der Geschichte des
Buches vor sich gegangen sein, so früh, daß
man praktisch sagen kann: Die Bibliophilie
ist so alt wie das Buch selbst.
Und wie die Liebe in allen ihren Formen
so alt ist wie die Welt, und wie sie heute und
je jung ist und sein wird, so ist die Biblio-
philie heute jung wie je und wird es sein,
solange es Bücher gibt.
Diese Lehre der Geschichte wieder einmal
öffentlich festzustellen, ist eine Notwendigkeit
des Tages. Gibt es doch weite Kreise, die
mit ernster Sorge um die Zukunft der deut-
schen Bibliophilie im besonderen erfüllt sind.
Gewiß fordert die Not unseres Vaterlandes
auch von der Bibliophilie wie von dem ein-
zelnen Bibliophilen ihren Tribut, der sich aus-
prägt in sinkenden Marktpreisen der Sammel-
objekte, in der materiellen Unmöglichkeit für
viele, ein spezielles Sammelgebiei weiter
auszubauen, ja in dem Zwang, sich von lieb-
gewordenen Sammelobjekien oder gar ganzen
Bibliotheken zu trennen. Doch sind das Er-
scheinungen, die im Laufe der Geschichte
immer wiederkehren, ohne daß ihnen tiefere
als konjunkturelle Bedeutung innewohnt.
Was aber ist der Grund, der viele Biblio-
phile für die Zukunft unseres gemeinsamen
Interesses fürchten läßt? Es ist nicht die
Krise der Bibliophilie, es ist die Krise der
großen deutschen Gesellschaft der Biblio-
philen und ihrer „Zeitschrift für Bücher-
freunde“. Die Ursachen dieser Krise sollen
hier nur kurz angedeutet werden, um gleich-
zeitig zu versuchen, Wege zu weisen, die nicht
nur aus dieser Krise herausführen, sondern
der deutschen Bibliophilie in ihrer Auswirkung
einen neuen Impuls geben können.
Da muß es, ohne jemand wehe tun zu
wollen, in erster Linie ausgesprochen werden:
Henry de Toulouse-Lautrec, Miss May Belfort
saluant (II. Zustand)
Radierung -— Eau forte,— Etching
Lager-Katalog XXX, Nr. 1402
Gutekunst & Klipstein, Bern
diese Krise ist weniger eine Krise der Gesell-
schaft, als eine solche ihres überalterten Vor-
standes. Und dieser Vorstand, der in seinen
führenden Stellungen von verdienstvollen Be-
gründern der Gesellschaft beseßt ist, unter
denen unser verehrter Fedor von Zobelfiß das
Vorrecht ewiger Jugend zu genießen scheint,
ist weniger an Jahren als an seinen Methoden
überaltert, die man ohne Übertreibung als
autokratisch bezeichnen darf. Nun glauben
wir dargelegt zu haben, daß die Bibliophilie
eine Erscheinung ist, die so zeitlos wie zeitge-
und verbunden ist. Dazu ist sie eine
der vornehmsten Äußerungen menschlicher
Geistestätigkeit, insofern sie das Mysterium
der Schrift und des Buchdruckes mit dem
der Kunst verbindet, ja vielleicht selbst Kunst
ist. Ein solches Gebilde vertrüge heutzutage
keinesfalls die immer mehr oder weniger
brutalen Methoden der Autokratie, wenn nicht
schon die Qualität ihrer wahren Träger die
edle Freiheit des demokratischen Prinzips er-
forderte.
Damit sind wir aber schon bei einem
anderen Grunde für die bestehende Krise. Die
Mitgliederzahl der Gesellschaft der Biblio-
philen ist mit ihrem derzeitigen numerus
clausus von 1200 so groß, daß die wenigen
wirklichen Bibliophilen von Passion in der
Unzahl der Mitläufer (aus geschäftlichen und
gesellschaftlichen Beweggründen) untergehen.
Diese Mitläufer, unter denen sich gewiß nicht
die schlechtesten Zeitgenossen und manche
bedeutenden Wissenschaftler aus Beruf und
Neigung befinden, haben genügend andere
Gelegenheiten, sich bücherfreundlich zu be-
tätigen. Sie werden z. B. den örtlichen
Bibliophilenvereinigungen, deren es fast zwei
Dußend gibt, wertvolle Förderer sein können.
Aber in der repräsentativen deutschen Gesell-
schaft der Bibliophilen haben sie nichts zu
suchen.
Analog ist die unbestreitbare Alters-
schwäche der Zeitschrift für Bücherfreunde zu
erklären. Aber hier sprechen auch noch Ein-
flüsse materieller Art entscheidend mit, die
an dieser Stelle nicht zur Erörterung stehen.
Es muß jedenfalls erreicht werden, daß aus
der Zeitschrift für Bücherfreunde im Sinne des
eingangs Gesagten eine Zeitschrift der Biblio-
philen wird.
Dies ist nicht der geeignete Ort, materielle
Vorschläge zur Änderung der gerügten Miß-
stände zu unterbreiten. Es soll aber verraten
werden, daß entsprechende Anträge in Vor-
bereitung sind. Die antragstellenden Mit-
glieder der Gesellschaft der Bibliophilen
hoffen zuversichtlich, daß es ihnen gelingen
möge, das oben umrissene Ziel zu erreichen,
zum Segen der deutschen Bibliophilie.
Dresdener Museums-Diebstahl
Das Kriminal amt Dresden teilt uns mit,
daß seit Juni 1930 aus einem Dresdener Museum fol-
gende Kupferstiche entwendet worden sind:
1. Wie ein teutscher Monsieur will* 1 2 * * 5 gekleidet sein. —
2. Wahrhafte Abkonterfehung einer Mißgeburt
zweier bei den Hintern aneinandergewachsener Kin-
der des Christof Berne und Frau Christiana zu
Raindorf b. Nürnberg. — 3. Kontrafaktur einer Miß-
geburt zu Stenartzhofen bei Neuburg a. D. Totge-
boren 26. Äug. 1620. — 4. Jörg Hausse, ein geigender
Zwerg, geb. zu Gottersweyer. P. Aubry, 1640. —
5. Der Wein thut das sein . .. Augsburg. H. J. Ma-
nasser. — 6. Magengift.... H. T. f ecit. Nürnberg,
Peter Iselburg. — 7. Crafft, Tugendt u. Würckung
des hochnutzbarlichen Tabacs durchs ABC ge-
gossen, fein gröblich. — 8. Eigentliche Beschreibung
der beschwerlichen Seuche des Wurms. (Gespräch
zwischen Patient und Doktor.) — 9. Allegorie auf
(Fortsetzung auf Seite 20)
MARCEL GUIOT
4, RUE VOLNEY
p a ie i s
hervorragende Sammlung lithographischer arbeiten von
TOULOUSE-LAUTREC
WELTKUNST
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und seine Notizen für eine neue Ausgabe der
Penthesilea mit Tinte in ein Exemplar der
Erstausgabe geschrieben, womit er bewies,
daß ein großer Gelehrter nicht immer ein
guter Bibliophile zu sein braucht. Wißig glos-
siert Dr. Hanauer in seiner Benutzungsord-
nung für Bibliotheken diese Unsitte, wenn er
sagt: „Um auch den nachfolgenden Lesern
des Buches von dem eigenen Gedankenreich-
tum Kenntnis zu geben, empfiehlt er sich, Be-
merkungen auf den eigens dazu freigelas-
senen Rand zu schreiben. Dadurch wird nicht
nur das Aussehen des Buches verschönt, son-
dern auch die Lektüre erleichtert, wenn gleich
ein Kommentar mitgeliefert wird. Ein Ver-
gleich mehrerer solcher Ergänzungen und
wohl meistens Verbesserungen gibt inter-
essante Vergleichsmöglichkeiten über die
Wirkung des Gelesenem Man nehme dazu
einen möglichst harten, eventuell angefeuch-
teten Kopierstift und drücke stark auf. Aere
perennius.“ Die liebliche Gewohnheit, Bücher
mit Handschuhen anzufassen, ist oft genug
gerügt worden. Man kann dem weiblichen
Geschlecht, das hier an der Spiße steht, nur
raten, immer Regenwetter abzuwarten und
nur zarte weiße Einbände anzutatschen, da
auf diesen der Handschuhabdruck in die wün-
schenswerte deutlichste Erscheinung tritt. —
Der früher so gefürchtete Bücherwurm, vor
dem schon Lukian warnt und dessen seltsam
gewundenen Gängen wir in alten Bänden so
oft begegnen, ist selten geworden und richtet
in Privatsammlungen nur noch wenig Scha-
den an. Auch Stockflecken trifft man seit
Einführung der Zentralheizung weniger als
früher. — Die gemeingefährlichen Bestien,
welche diebischerweise die Bilder aus ge-
borgten Büchern ausschneiden, beehren im
allgemeinen fast nur öffentliche Büchereien.
Ein Edinburger Blatt hat mal vorgeschlagen,
es sollte dem Übeltäter für jede gestohlene
Tafel ein Zahn ausgerissen werden, aber
„ohne Luftgas“. — Zum Schluß möchte ich
noch eines letzten, darum nicht weniger ge-
fährlichen Bücherfeindes Erwähnung tun. Das
ist oft die liebevolle, sorgende Ehefrau des
Sammlers. So lange es bei der unter obli-
gatem Augenaufschlag klagenden Anrede
bleibt: „Muckelchen, schon wieder? Wo sollen
wir denn bloß noch mit all dem Kram hin?
Wir ersticken ja!“, so lange geht es ja noch.
Aber es kann auch schlimmer kommen. Der
Antiquar Kemsys hat mal davon berichtet,
welcher wunderbaren Szene zwischen einem
sammelnden Staatsanwalt und seiner lieb-
lichen Frau Gemahlin er beigewohnt hat, wo-
bei Frauchens „Lorchen“ auch seinen Teil
dazu beitrug, indem es den Wechselgesang
des Ehepaares andauernd mit dem seelen-
vollen Gekreische „Bücher raus!“ begleitete.
Wenn es dann wirklich zur Exmission der
geistigen Ware kommt — wir Männer geben
ja bei unserer angeborenen Sanftheit doch
immer nach — wie? — dann kann man
wirklich sagen: „Habent sua fata libelli“,
wenn dieser Satz des alten Terentianus
Maurus auch ursprünglich ganz etwas an-
deres bedeutete, nämlich besagen wollte, daß
Schmähschriften ihre Schicksale hätten je
nach der geistigen Kapazität des Lesers, wie
denn der Hexameter, der immer nur gekürzt
zitiert wird, eigentlich lautete: „Pro captu
lectoris habent sua fata libelli.“
Ueber Bibliophilie und die Krise der
Gesellschaft der Bibliophilen
Von Robert Steinberg
Wir bringen den nachstehenden Artikel zum
Abdruck, ohne uns mit dem Inhalt desselben
zu identifizieren. Wir hoffen, daß aus den
Kreisen der Deutschen Gesellschaft der Biblio-
philen zu den Anregungen des Herrn Steinberg
Stellung genommen wird, wozu wir die Spalten
der „Weltkunst“ gern zur Verfügung halten.
Die Redaktion
Ein Mann kann mit einer Frau sehr be-
freundet sein, wenn beide einen gewissen
Grad von Klugheit besaßen, unabhängig davon,
ob der weibliche Partner schön oder häßlich
ist. Aber oft wird sich die aufrichtige Freund-
schaft des lebensstarken Mannes in innige
Liebe verwandeln, wenn „sie" schön ist, oder
„er“ ihre Schönheiten entdeckt. So ungefähr
— stelle ich mir vor — wurde aus einem
Bücherfreund, deren es gab, solange Bücher
sind, der erste Bibliophile. Diese Metamor-
phose muß sehr früh in der Geschichte des
Buches vor sich gegangen sein, so früh, daß
man praktisch sagen kann: Die Bibliophilie
ist so alt wie das Buch selbst.
Und wie die Liebe in allen ihren Formen
so alt ist wie die Welt, und wie sie heute und
je jung ist und sein wird, so ist die Biblio-
philie heute jung wie je und wird es sein,
solange es Bücher gibt.
Diese Lehre der Geschichte wieder einmal
öffentlich festzustellen, ist eine Notwendigkeit
des Tages. Gibt es doch weite Kreise, die
mit ernster Sorge um die Zukunft der deut-
schen Bibliophilie im besonderen erfüllt sind.
Gewiß fordert die Not unseres Vaterlandes
auch von der Bibliophilie wie von dem ein-
zelnen Bibliophilen ihren Tribut, der sich aus-
prägt in sinkenden Marktpreisen der Sammel-
objekte, in der materiellen Unmöglichkeit für
viele, ein spezielles Sammelgebiei weiter
auszubauen, ja in dem Zwang, sich von lieb-
gewordenen Sammelobjekien oder gar ganzen
Bibliotheken zu trennen. Doch sind das Er-
scheinungen, die im Laufe der Geschichte
immer wiederkehren, ohne daß ihnen tiefere
als konjunkturelle Bedeutung innewohnt.
Was aber ist der Grund, der viele Biblio-
phile für die Zukunft unseres gemeinsamen
Interesses fürchten läßt? Es ist nicht die
Krise der Bibliophilie, es ist die Krise der
großen deutschen Gesellschaft der Biblio-
philen und ihrer „Zeitschrift für Bücher-
freunde“. Die Ursachen dieser Krise sollen
hier nur kurz angedeutet werden, um gleich-
zeitig zu versuchen, Wege zu weisen, die nicht
nur aus dieser Krise herausführen, sondern
der deutschen Bibliophilie in ihrer Auswirkung
einen neuen Impuls geben können.
Da muß es, ohne jemand wehe tun zu
wollen, in erster Linie ausgesprochen werden:
Henry de Toulouse-Lautrec, Miss May Belfort
saluant (II. Zustand)
Radierung -— Eau forte,— Etching
Lager-Katalog XXX, Nr. 1402
Gutekunst & Klipstein, Bern
diese Krise ist weniger eine Krise der Gesell-
schaft, als eine solche ihres überalterten Vor-
standes. Und dieser Vorstand, der in seinen
führenden Stellungen von verdienstvollen Be-
gründern der Gesellschaft beseßt ist, unter
denen unser verehrter Fedor von Zobelfiß das
Vorrecht ewiger Jugend zu genießen scheint,
ist weniger an Jahren als an seinen Methoden
überaltert, die man ohne Übertreibung als
autokratisch bezeichnen darf. Nun glauben
wir dargelegt zu haben, daß die Bibliophilie
eine Erscheinung ist, die so zeitlos wie zeitge-
und verbunden ist. Dazu ist sie eine
der vornehmsten Äußerungen menschlicher
Geistestätigkeit, insofern sie das Mysterium
der Schrift und des Buchdruckes mit dem
der Kunst verbindet, ja vielleicht selbst Kunst
ist. Ein solches Gebilde vertrüge heutzutage
keinesfalls die immer mehr oder weniger
brutalen Methoden der Autokratie, wenn nicht
schon die Qualität ihrer wahren Träger die
edle Freiheit des demokratischen Prinzips er-
forderte.
Damit sind wir aber schon bei einem
anderen Grunde für die bestehende Krise. Die
Mitgliederzahl der Gesellschaft der Biblio-
philen ist mit ihrem derzeitigen numerus
clausus von 1200 so groß, daß die wenigen
wirklichen Bibliophilen von Passion in der
Unzahl der Mitläufer (aus geschäftlichen und
gesellschaftlichen Beweggründen) untergehen.
Diese Mitläufer, unter denen sich gewiß nicht
die schlechtesten Zeitgenossen und manche
bedeutenden Wissenschaftler aus Beruf und
Neigung befinden, haben genügend andere
Gelegenheiten, sich bücherfreundlich zu be-
tätigen. Sie werden z. B. den örtlichen
Bibliophilenvereinigungen, deren es fast zwei
Dußend gibt, wertvolle Förderer sein können.
Aber in der repräsentativen deutschen Gesell-
schaft der Bibliophilen haben sie nichts zu
suchen.
Analog ist die unbestreitbare Alters-
schwäche der Zeitschrift für Bücherfreunde zu
erklären. Aber hier sprechen auch noch Ein-
flüsse materieller Art entscheidend mit, die
an dieser Stelle nicht zur Erörterung stehen.
Es muß jedenfalls erreicht werden, daß aus
der Zeitschrift für Bücherfreunde im Sinne des
eingangs Gesagten eine Zeitschrift der Biblio-
philen wird.
Dies ist nicht der geeignete Ort, materielle
Vorschläge zur Änderung der gerügten Miß-
stände zu unterbreiten. Es soll aber verraten
werden, daß entsprechende Anträge in Vor-
bereitung sind. Die antragstellenden Mit-
glieder der Gesellschaft der Bibliophilen
hoffen zuversichtlich, daß es ihnen gelingen
möge, das oben umrissene Ziel zu erreichen,
zum Segen der deutschen Bibliophilie.
Dresdener Museums-Diebstahl
Das Kriminal amt Dresden teilt uns mit,
daß seit Juni 1930 aus einem Dresdener Museum fol-
gende Kupferstiche entwendet worden sind:
1. Wie ein teutscher Monsieur will* 1 2 * * 5 gekleidet sein. —
2. Wahrhafte Abkonterfehung einer Mißgeburt
zweier bei den Hintern aneinandergewachsener Kin-
der des Christof Berne und Frau Christiana zu
Raindorf b. Nürnberg. — 3. Kontrafaktur einer Miß-
geburt zu Stenartzhofen bei Neuburg a. D. Totge-
boren 26. Äug. 1620. — 4. Jörg Hausse, ein geigender
Zwerg, geb. zu Gottersweyer. P. Aubry, 1640. —
5. Der Wein thut das sein . .. Augsburg. H. J. Ma-
nasser. — 6. Magengift.... H. T. f ecit. Nürnberg,
Peter Iselburg. — 7. Crafft, Tugendt u. Würckung
des hochnutzbarlichen Tabacs durchs ABC ge-
gossen, fein gröblich. — 8. Eigentliche Beschreibung
der beschwerlichen Seuche des Wurms. (Gespräch
zwischen Patient und Doktor.) — 9. Allegorie auf
(Fortsetzung auf Seite 20)
MARCEL GUIOT
4, RUE VOLNEY
p a ie i s
hervorragende Sammlung lithographischer arbeiten von
TOULOUSE-LAUTREC