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Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]
Die Weltkunst — 4.1930

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Nr. 49 (7. Dezember)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44979#0169
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I. Beilage 4er «WELTKUNST»

Nr. 49 vom 7. Dezem ker 1930

BAU
RAUMKUNST



Arch. Dr. Freiherr v. Schlippenbach-Berlin / Haus A., Berlin / Salon — Drawing-room

Arch. Dr. Freiherr v. Schlippenbach-Berlin
Schloß Paesekendorf / Wohnzimmer —- Salon — Living-room

Diese Ausstellung verbindet Praxis und
Ästhetik, die Schöpfungen eines erfinderi-
schen Gehirnes des Künstlers und praktischen
Menschen, der Dinge herzustellen weife, die
schön und billig sind. Deutschland hat schon

sehen wirken die Stücke nicht nur durch ihre
harmonischen Farben und Linien, durch die
schöne Einfachheit des Materials. Unwider-
stehlich ist man zu der schwingenden Grazie
des einzelnen Möbels als Teil eines har-

vor langer Zeit in seinen Werkstätten für
Kunsthandwerk und Gewerbe wie auch im
Rahmen seiner führenden modernen Kunst-
zentren (z. B. Neue Kunst, München) die
Lebendigkeit und Originalität von Brangwyn’s
Entwürfen für Wanddekorationen in ihrer de-
korativen Schönheit und dramatischen Aus-
drucksfähigkeit zu würdigen verstanden.
Während der lebten Jahre lebte der Künstler
in der schönen Gegend von Weald in Sussex,
wo er sich mit Entwürfen und Experimenten
auf dem Gebiete der Inneneinrichtung, Möbel,
Keramik, Gewebe beschäftigte. Es sind —
wie er mir erzählte — seine Abenteuer mit den
Dorftischlern bei der Herstellung von Stühlen
nach seinen Modellen gewesen, die ihn zu
einem Frontangriff für die Verbesserung der
Haushaltsdinge animierten. Glücklicherweise
führte eine Zusammenkunft mit Mr. Edward
Pollard, dem Leiter des bekannten englischen
Zimmereinrichtungs-Konzerns, sowie dem ver-
antwortlichen Organisator der Ausstellung da-
zu, Frank Brangwyn’s Erfindungen und Ent-
würfe dem Publikum zu zeigen. Auf diese
Weise ist diese ungewöhnliche Ausstellung
seiner Wanddekorationen und Möbel erst
möglich geworden.
Sie zeigt eine glückliche Harmonie von
Strömungen der lebten vier Jahre auf den
Gebieten des Möbels, der Keramik, des
Bodenbelages. Wie der Künstler mir erklärte,
gibt es in England nichts, das an frucht-
barer Organisation dem Deutschen Werkbund
gleichkommt, so dafe ein deutlicher Mangel an
Zusammenarbeit von Entwurf und Ausführung,
von Künstler und Handwerker sich auf das
stärkste fühlbar macht. Dieser Mangel sollte
öffentlich beanstandet werden.
Sicherlich demonstriert diese Ausstellung,
was erreicht werden kann, wenn eine wirk-
liche Ergänzung von dem ausführenden, tech-
nisch wie ästhetisch fähigen Handwerker
einerseits und andererseits dem für seine
Entwürfe von Materialkenntnis geleiteten
Künstler besteht. Was zunächst auffällt, ist
die Einfachheit der Linien und Formen, wie
die vollkommene Beherrschung von Konstruk-
tion und Material. Ob der Künstler einen
Tisch, ein Bett, einen Schrank, eine Vitrine
entwirft — er bleibt der dominierende Kenner
des Möbels an sich in seinen praktischen und
ästhetischen Forderungen, nicht der tastende,
im Experiment die Lösung suchende Möbel-
entwerfer.
Ein weiteres Studium der Ausstellungs-
gegenstände zeigt, dafe der Künstler sich nicht
von vergangenen Stilen beeinflussen läßt —
oder dem Ornament primäre Bedeutung bei-
mifet. In voller Anerkennung subtilster Technik
hat Brangwyn Möbel für ein Interieur von
heute erfinden können. Sie sind zweck-
mäfeig für jeden, um darin zu leben, mit Aus-
nahme vielleicht für die beschränkten Räume
kleiner Mietswohnungen, in die die gröfeeren
eingelegten Stücke nicht ganz hineinpassen.
Sie sind bequem, praktisch und billig.
Als ganze Zimmereinrichtung — ein Schlaf-
zimmer reproduzieren wir auf Seite 24 — ge-

Tage der Eröffnung einer Ausstellung von
Arbeiten nach Entwürfen Frank Brangwyn’s
durch Sir John Lavery, R. A. In seiner Er-
öffnungsrede hat der berühmte Porträtmaler
darauf hingewiesen, wie sehr auch er die An-
näherung von Kunst und Industrie begrüfet. Es
war üblich, auf den Werkkünsfler herabzu-
sehen vom Standpunkt des Malers. Diese
Ungerechtigkeit sei nun vorüber, sagte er und
gab der Hoffnung Ausdruck, dafe bald andere
Künstler Brangwyn’s Beispiel folgen würden.

Handwerk und Industrie

Von Herbert Freiherr von Oelsen

’’|vechnik ist heutzutage ein Schlagwort, wenn
ein Unterschied gegen frühere Zeiten
charakterisiert werden soll. Und gerade
in dieser Bedeutung ist die Anwendung des
Begriffes Technik ein Trugschlufe. Technik ist
die Handfertigkeit, die Routine der Aus-
führung. Gewiß sind Maschinen um vieles
exakter in minutiöser Bearbeitung ein und
desselben Materials, als die vom Kopf und -
soweit es sich um gute Leistung handelt —
vom Herzen regierten Hände. Wenn es sich
aber um die Kunstfertigkeit der Ausführung
handelt, wird es kaum möglich sein, die
Leistung der Materialbearbeitung unserer Zeit
höher zu stellen, als die voriger Jahrhunderte.
Natürlich ist es möglich, am laufenden Band
Zehntausende der präzisesten völlig gleichen
Dinge herzusfellen. Der vom Menschen selbst
in seine Schöpfung hineingelegte persönliche
Charme mufe dann freilich wegfallen. Dafe
heute Handarbeit höher bezahlt wird als
Maschinenarbeit, liegt meist an der wirt-
schaftlichen Situation — nicht an der
Wertschäfeung. In jedem handwerklichen
Betrieb gibt es Grenzen, bis zu denen
die Maschine arbeitet, bis zu denen
Energien der Reproduktion der Handarbeit
dienstbar gemacht werden können. Es ist be-
zeichnend, dafe z. B. auch die größte und
modernste Druckerei nicht ohne Handsafe aus-
kommen kann. Sobald eine Arbeit das
Schema verläßt, sind die Hände unumgäng-
lich. — Dafe die Maschine die Handarbeit ver-
drängt, ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit.
Dafe die Maschine die Bewertung der Hand-
arbeit vermindert, ist eine wirtschaftliche Un-
zulänglichkeit. All das hat mit Kunst nichts
zu tun, soweit man nicht jedem Menschen, der
schaffend sein Bestes zu geben bestrebt ist,
zugesteht, etwas von einem Künstler zu sein.
Man hat ein neues Wort geprägt:
M a t e r i a 1 g e r e c h f i g k e i t“. — Dieser
Begriff wäre als Ethik des Handwerks zu be-
zeichnen. Und in dieser Beziehung verläßt der
moderne Künstler, von dem der Handwerker
seine beste Anregung haben sollte, oft den
Weg verantwortungsvollen Bewußtseins für
den Stoff, aus dem er schafft. Bildhauer ent-
werfen Dinge, die in Plastelin sehr schön und
geistreich wirken können. Sollen sie in Stein
ausgeführt werden, ergeben sich Schwierig-
keiten, die nur im Material begründet sind —
und das Resultat ist Unwahrheit, Reproduk-
tion. Das Stahl möbel ist eine ebenso
interessante wie in vielen Fällen zweckmäßige
Neuschöpfung. Der Künstler, der es entwirft,
verwendet Draht und Papier zu einem in
Harmonie und Maßen getreuen Miniaturbild —
ohne Länge und Stärke des fabrikmäßig her-
gestellten Standardmetallrohres zu berück-
sichtigen. Das Resultat ist: verfehlter Zweck
in unnötig teurer Reproduktion. Man mufe
schon ziemlich wohlhabend sein, um ein
solches Möbel erwerben zu können, dessen
propagierter Sinn — praktisch und billig ist.
Ausführung und Entwurf müssen sich er-
gänzen, wenn gesunde Arbeit getan werden
soll. Das gilt für die Industrie noch mehr, als
für das Handwerk. Denn die Handarbeit kann
während der Ausführung Fehler korrigieren
— die Maschine kann es nicht. Der Maler
kann in der Wiedergabe der Natur Unschönes
fortlassen, der photographische Apparat
kann es nicht. - Auch das vollendetste Radio
hat Nebengeräusche. . ,
Befrachtet man nun rein vom technischen,
nicht vom merkantilen Standpunkt die Aus-
führung von Gebrauchsgegenständen vorigen
Jahrhunderts, so staunt man über eine
Routine, wie sie nur starke geistige Beein-
flussung geschulter Hände bewirken kann.
Metall, Stein, Holz, Ton, jedes Material ist in
einer Vollendung verwendet und bearbeitet,
wie es Zahnräder im Dienst der Elektrizität
nie schaffen können. Gewiß gibt es auch da-
bei eine Unzahl von Mißgriffen - man denke
nur an das Spifeenwerk des Porzellans. Aber
der Zwang, ejn Qcsellen- und ein Meister-
stück zu liefern, war Garantie für genaustes
Studium des Materials. Und damals sprach
man nicht von Materialgerechtigkeit, aber man
kannte sie. Em Möbel unserer Großväter, das
dem Holzwurm echappjeren konnte, hält heute
noch besser, als das moderne Massenerzeug-
nis. Und dabei 'sr der Europäer in seiner Be-
wertung der Stabilität immer noch fast so kon-
servativ wie früher — und meilenweit von
der Auffassung Amerikas entfernt, daß es
praktischer ist, billige Gegenstände zu kaufen,
die man benufet und fortwirft. Das ist in einem
Lande selbstverständlich, wo aus praktischen
Gründen nicht mal Häuser unter fünf Stock-
werken eine längere Lebensdauer haben als
wenige Jahre. Man hat oft von der unver-

daulichen Überflutung Europas mit amerika-
nischem Maschinenmaterial gesprochen. Es
ist vielmehr eine Erschütterung von Pietäts-
begriffen, die ein junges, reiches und für Alt-
hergebrachtes neugieriges Land nicht kennen

kann. Und es ist grundfalsch, für diese Er-
schütterung Amerika die Schuld zu geben. Er-
schüttern lassen sich nur Dinge, die nicht mehr
fest fundamenfiert sind, die nicht mehr bewußt
sind. — Schon in den 90er Jahren des vorigen
Jahrhunderts hat Oscar Wilde geschrieben:
„Heutzutage kennt man den Preis von allen
Dingen und den Wert von keinem." Jedem
Ding, jeder Herstellungsmethode soll der
wahre Wert nie abgesprochen werden. Der
Preis mufe sekundär bleiben — darf jeden-
falls die Bewertung nie beeinflussen. Welt-
anschauung und Weltwirtschaft haben nur die
erste Silbe gemeinsam. Ein Gebrauchsgegen-
stand soll praktisch sein, d. h. zweck-
entsprechend und gut ausgeführf. Wenn er
tiofedem billig sein kann, ist er vollendet.

Londoner
Innendekorations-
Ausstellung
Entwürfe von Frank Brangwyn
Von A r t h u r T. F i n c h
Deutschland, wie überhaupt ganz West-
Europa, kann nicht umhin, sich für diese Aus-
stellung eines berühmten Fresco-Malers zu
interessieren — zumal mehr als früher die
Beziehung zwischen Kunst und Industrie zur
notwendigen Voraussefeung der Herstellung
schöner Gebrauchsdinge geworden ist. Seit
langem sind die Ausstellungsräume der Herren
Pollard, 299 Oxford Street, überfüllt, seit dem
 
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