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Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]
Die Weltkunst — 4.1930

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Nr. 51/52 (21. Dezember)
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10

WELT KUNST

Jahrg. IV, Nr. 51/52 vom 21. Dezember 1930

Die Expertise
Beiträge zur Diskussion des Problems

Die Erwiderung von Dr. Heinemann-
Fleischmann auf die Ausführungen von Geheim-
rat Pinder, die im Verlaufe unserer Diskussion*)
in Nummer 49 der WELTKUNST erschienen
sind, veranlaßte Herrn Hofrat Prof. Dr. H.
Tietze, Wien, zu einem Einspruch, den er
uns mit der Bitte um V eröffentlichung zu gehen
ließ. In konsequenter Wahrung der von uns in
dieser Polemik geübten Unparteilichkeit geben
wir gleichzeitig Herrn Dr. Heinemann-
Fleischmann, München, die Möglichkeit
zur Gegenäußerung und bringen die beiden
Zuschriften — eine Kontroverse überwiegend
persönlichen Charakters — im Folgendem zum

Hofrat Prof. Dr. H. Tietze:
Herr Doktor Heinemann-Fleischmann hat es
für richtig befunden, die bisher in der Welt-
kunst durchaus sachlich geführte Diskussion
über die uns allen am Herzen liegende Exper-
tisenfrage dadurch zu stören, daß er, statt sich
mit den sachlich allerdings nicht bekämpfbaren
Argumenten Prof. Pinders auseinanderzu-
seßen, mich wegen eines in der Frankfurter
Zeitung vom 27. November erschienenen Ar-
tikels über die Sammlung von Schloß Rohoncz
anrempelte.
Eine meritorische Erwiderung auf einen
den Sinn meines Artikels völlig entstellen-
den Angriff, der die Naivität so weit treibt,
als „so ziemlich alle Gelehrten von Welt-
ruf“ jene Kunsthistoriker aufzuzählen, von
denen man Expertisen bekommen kann, und
die Unverfrorenheit so weit, daß derjenige, der
an einer Sache materiell interessiert ist, den
materiell nicht Interessierten der Unsachlich-
keit zeiht, könnte sich allerdings erübrigen,
da der Angreifer durch den voranstehenden
Artikel Geheimrat Pinders erschöpfend cha-
rakterisiert ist. Aber da in einem andern Fall
ein ähnlicher Angriff von einer Seife, die sich
durch mich geschäftlich geschädigt fühlte, von
einer wissenschaftlich sein sollenden Kritik,
weil ich geringschäßig dazu schwieg, aufge-
griffen wurde, muß ich im heutigen Fall öffent-
lich gegen eine solche absichtliche Herein-
ziehung meiner Person Einspruch erheben.
Hans Tietze, Wien
*
Dr. Rudolf Heinemann-
Fleischmann, München:
Die Zuschrift Herrn Dr. Tieße’s — soweit
sie überhaupt verständlich ist — zwingt mich
nochmals zu einer Antwort, da ich ja persön-
lich scharf angegriffen werde. Dabei stelle
ich mit einer gewissen Genugtuung fest, daß
Ausdrücke wie „anrempeln“, „Unverfroren-
heit“ usw. nicht von seifen der materialisti-
schen „trüben Welt“ des Kunsthandels, der ich
angehöre, sondern von jener Seite, die offi-
ziell ideell eingeschworen ist, in die Diskus-
sion geworfen worden sind.
Vollkommen neue Aspekte eröffnen Herrn
Dr. Tießes Zeilen, also: wenn ein „materiell
Interessierter“ wie ich, sich gegen ungerecht-
fertigte Angriffe eines materiell hierbei nicht
Interessierten wehrt, so ist dies nach Ansicht
Herrn Dr. Tießes eine „Unverfrorenheit“.
Wenn man schreibt „so ziemlich alle Gelehr-
ten von Weltruf“ und als Beispiele Fried-
länder, Berenson, Hadeln, Buchner, Borenius,
Gronau, Mayer, Bode, Valentiner, Hofstede
de Groot, Martin zitiert, so beweist man nach
Herrn Dr. Tieße damit seine „Naivität“. Kom-
mentar hierzu ist überflüssig!!!
Selbstverständlich bin ich an der Samm-
lung Schloß Rohoncz soweit materiell inter-
essiert, wie die meisten europäischen Händ-
ler, weil ich wie diese Bilder an Baron Thyssen
verkauft habe; darüber hinaus aber ideell da-
durch, daß mir der Gemäldekatalog vom Be-
sißer der Sammlung zur Bearbeitung anver-
traut wurde.
Herr Dr. Tieße hätte nicht einmal dann
recht, wenn ich auf sachliche oder unsachliche
Angriffe auf von mir verkaufte Bilder ant-
worten würde. Aber davon ist ja hier gar
nicht die Rede. (NB.! Nach Herrn Dr. Tießes
Ansicht scheidet man wohl aus der morali-
schen Welt aus, wenn man, wie jeder anstän-
dige Händler es tut, mit seinem besten Fach-
wissen und materieller Garantie für die Echt-
heit verkaufter Bilder eintrift!!!)
Ich habe den Gemäldekatalog der Samm-
lung Schloß Rohoncz bearbeitet unter Zu-
grundelegung, wie ja ausdrücklich im Katalog
vermerkt ist, der vorliegenden Expertisen,
also der schriftlichen Meinungsäußerungen der
— ich wiederhole — größten Fachgelehrten
der Welt, und ich habe mich darüber hinaus
an diese Spezialisten noch großenteils per-
sönlich gewandt, um ihre Ansicht über die be-
treffenden Objekte zu hören. Ich hätte mich
auch an Herrn Dr. Tieße gewandt, auch wenn
er keine Expertisen gibt (ohne im übrigen
sagen zu wollen, daß Herr Dr. Tieße gegen die
Sammlung polemisiert, weil er nicht gefragt

* Zu dem Vorschlag von Dr. Lapp-Rottmann
(Nr. 33) nahmen bisher in der „Weltkunst“ das Wort:
Geh.-Rat Max J. Friedländer, Prof. Dr. F. Schott-
müller, Dr. A. Gold, G. Brandmayer, Prof. Dr.
Winkler, Hofrat Prof. Dr. G. Glück, Sir Charles
J. Holmes, Prof. Dr. Koetschau, Dr. Jos. Stransky,
Höfrat Prof. Dr. H. Tietze, Dr. Heinemann-Fleisch-
mann, Prof. Dr. J. Baum, Prof. Dr. 0. Fischer, Dr.
J. B. de la Faille, Prof. Dr. H. Schmitz, Dir. Dr. E.
Wiese, Dr. H. Leporini, Dr. Katz, R.-A. B. Svenonius
und Geh. Rat Prof. Dr. W. Pinder, München.

wurde), wenn ich wüßte, für welches Spezial-
gebiet der Malerei Herrn Dr. Tießes Ansicht
wichtig oder maßgebend wäre.
Ich muß mich dagegen wehren, wenn Herr
Dr. Tieße in einer Besprechung der „Samm-
lung Schloß Rohoncz“ in der „Frankfurter
Zeitung“, die in schroffstem Gegensaß zu der
mit verschwindenden Ausnahmen überaus an-
erkennenden Kritik der ganzen Welt steht,
von „einer trüben Welt von verbündeten Händ-
lern, Restauratoren und Experfiseuren“ spricht,
wenn er maßlose, unsachliche Angriffe in un-
diskutabler Form gegen die Sammlung richtet
und damit auch die im Katalog und oben
zitierten Fachgelehrten angreift und sie in dem
heutigen Aufsaß wieder geringschäßig abzuiun
versucht, wohl weil sie den Mut haben, von
ihnen geäußerte Ansichten durch die so-
genannte Expertise vor der Öffentlichkeit zu
vertreten.
Im übrigen ist es gerade umgekehrt, wie
Herr Dr. Tieße glauben machen möchte: Die
betreffenden Herren haben nicht Weltruf, weil
sie Expertisen geben, sondern sie werden um
ihre Meinung gebeten, weil sie Weltruf haben.
Unsachlich ist Herrn Dr. Tießes Angriff in
jedem Wort, kein besserer Beweis hierfür, als
daß er gerade bei der Reihe der von ihm
ganz argumentlos angegriffenen Bilder mit
dem Giorgione beginnt, den ich im Katalog
mit einem deutlichen Fragezeichen versehen
habe. Herr Dr. Tieße freilich verschweigt
dieses Fragezeichen.
Die Qualität des Angriffs Herrn Dr. Tießes
in der „Frankfurter Zeitung“ wird, wie ich
weiß, von dem gewiß unabhängigen Geheim-
rat Dr. Dörnhöffer — der doch wohl selbst
von Herrn Dr. Tieße nicht zur „trüben Welt“
gerechnet wird — ebenfalls als durchaus un-
sachlich beurteilt und mit Entrüstung ab-
gelehnt.
Mein gutes Recht, ja meine Ehrenpflicht,
mich in einer von mir vertretenen Sache gegen
solche Angriffe zu wehren, wird kein objektiv
denkender Mensch mir bestreiten, und es
bedeutet eine Begriffsverwirrung sonder-
gleichen, jemanden, weil er ganz offiziell ma-
teriell an einer Sache beteiligt ist, deshalb
den Mund verbieten zu wollen. Da gäbe es
ein allzu leichtes Betätigungsfeld für Leute,
die für keine Ansicht verantwortlich sind und
auch nicht verantwortlich sein wollen, die nur
negieren und entrüstet sind, wenn der positiv
Arbeitende sich zur Wehr seßt.

Neue Vermächtnisse
für den Louvre
Dem Louvre wurden zwei große Stiftungen
zuteil, die, in einer trefflichen aber be-
schränkten Auswahl, vor ihrer endgültigen
Einordnung und Magazinierung im Musee de
TOrangerie in den Tuilerien ausgestellt sind.
Die Prinzessin Louis de Croy ver-
machte dem Museum einen Teil ihrer kost-

baren Sammlungen, — das Inventar zählt
3722 Nummern — die später noch ergänzt
werden sollen. Ein Teil dieser Stiftung be-
steht aus Bildern der holländischen
Schule, wovon eine Ansicht von Haarlem von
Jan van der Meer, Bildnisse von Nicolas Maes
und von Verspronck, Genreszenen von Craes-
beeck, Cornelis Bega und besonders fünf
Allegorien der fünf Sinne von Palamedes
Stevens, von dem der Louvre noch kein Werk
besaß, zu vermerken sind.
Der Hauptbesfand dieser Sammlung aber
besteht in den qualitätvollen Zeichnungen
und Skizzen der Landschafter des
17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, die
von dem Grafen d e L’E s p i n e, dem Direktor
der Münze zur Zeit der Restauration, zusam-
mengebracht wurden. Er selbst verkehrte viel
mit den Künstlern seiner Zeit und teilte mit
ihnen den Geschmack und die Vorliebe für

Italien. Die Aquarell- und Olskizzen dieser
mehr oder weniger bedeutenden Zeitgenossen
erhellen die Wechselbeziehungen der klassi-
zistischen Schule und der französischen Land-
schaftsmalerei, die durch Corot und die Maler
von Barbizon vor neue Probleme gestellt
wurden.
Die Sammlung des Grafen de L’Espine läßt
diesen Wandel der Auffassung deutlich wer-
den. Die Studien von Jean Baptiste Oudry
(1686—1755) und die vortrefflichen Rötelzeich-
nungen Hubert Roberts (1733—1808) zeigen
noch den Charakter der klassischen Land-
schaft. Allmählich erst verschwindet die Vor-
liebe für die Ruinen und anekdotische
Genreszenen gewinnen innerhalb der Bilder
immer mehr an Raum. Neben den Franzosen

haben auch die Holländer sich stark an den
Italienern geschult. Wynanfs, van Wittel,
Asselyn und Berghem waren mehr nach Süden
orientiert, als nach den nordischen Realisten
Ruisdael und Hobbema.
Eine Sammlung von mehreren tausend
Blättern, die alle den gleichen Geist, wenn
auch auf verschiedenen Stufen der Entwick-
lung, verraten, gestattet dem Forscher und
Historiker, die Einflüsse und Beziehungen von
Grund aus zu studieren und ganz neue, bis-
her ungeahnte Bildungseiemenfe zu erkennen.
Die 415 Zeichnungen von Jean Augustin
Franquelin (1798—1839), die 685 Blätter von
Auguste Xavier Le Prince (1799—1826), die 928
Skizzen von P. H. Valenciennes (1750—1819)
(Abb. unten) und die 902 Studien seines Schü-
lers A. E. Michallon (1796—1822) (Abb. oben),
die durch jenes Vermächtnis in den Louvre
kamen, lassen diese Künstler in einem ganz
neuen Licht erscheinen. Diese Künstler, von
denen man fast nur akademisch gekünstelte
Landschaften kannte, offenbaren sich plößiich

als die unmittelbarsten Vorläufer der mo-
dernen Landschaftsmalerei. Die Skizzen-
bücher, worin sie fast in Tagebuchform ihre
Stimmung einzeichnen, sind voller Frische der
Beobachtung, voller eindringlicher Studien des
Lichtes, der Wolken, der Farbwerte und der
Atmosphäre. Die ganze Trockenheit der
großen Kompositionen, die mühsame Gequält-
heit der ausgeführten „Museumsstücke" fällt
in diesen unmittelbaren Bekenntnissen hinweg.
Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts findet
man eine direkte Beziehung zur Natur, eine
Frische der Beobachtung, die alle akademische
Nüchternheit vergessen läßt. Lichtstrahlen
fallen auf helle Mauern und rote Dächer,
Sonnenuntergänge und das Zwielicht dichter
Wälder zeigen schon den neuen Geist, der im
jungen Corot und später in der Schule von
Barbizon triumphieren sollte. Manche Wolken-
studien erinnern schon an die Aquarelle Dela-

croix’, und jene seltenen Studien des gleichen
Landschaftsausschnitts bei verschiedener Be-
leuchtung sind bereits wie eine Vorahnung des
Impressionismus und der „Serienbilder“ des
gleichen Motivs eines Monet.
Diese wertvolle und wesentliche Sammlung
von Landschaftsstudien wird bei eingehender
Befrachtung manche Erfindungen der Ro-
mantiker, der Realisten und Impressionisten
vorwegnehmen und der 1. Hälfte des 19. Jahr-
hunderts eine größere Bedeutung für die Ent-
wicklung der modernen Landschafismalerei
beimessen.
Der belgische Bildhauer Louis Devillez
vermachte dem Louvre eine ganze Reihe von
Bildern und Zeichnungen Eugene Car-
rieres (1849—1906), die das Werk dieses

Meisters in einem ganz neuen Licht erscheinen
lassen.
Devillez war ein ergebener und treuer
Freund Carrieres und sammelte dessen Werke
aus allen Epochen seines Schaffens. Carriere
verbrachte selbst die leßten Jahre seines
Lebens in Mons bei seinem Freunde und hatte
verschiedene Male Gelegenheit, ihn zu por-
trätieren. Das große Bildnis von Devillez in
seinem Atelier von 1887 und das Doppel-
porträt mit seiner Mutter von 1905 zeigen fasi
Anfang und Ende der künstlerischen Entwick-
lung Carrieres. Die 46 Bilder, für die Devillez
in Mons einen eigenen Saal erbauen ließ, ent-
hüllen uns die Seele Carrieres weit eindring-
licher als alle Bilder, die bis jeßt im Louvre
und Luxembourg vereint waren. Neben den
bekannten Typen der „Maternife“ und „In-
timite“ erkennt man in dieser Sammlung auch
Carriere als Landschafter, als Sfilleben- und
Aktmaler.
Diese Bereicherung des Louvre bedeutet
für Paris und seine öffentlichen Sammlungen
einen wesentlichen Zuwachs und fordert er-
neut zum weiteren Ausbau der Pariser Museen
auf. Dr. F. N., Paris

Venezianische
Kunstverkäufe
Das Schicksal der Sammlungen
Giovanelli und Dona delle Rose
Seif längerer Zeit hielt sich in dem italieni-
schen Kunsthandel das Gerücht, daß zwei der
bedeutsamsten venezianischen Privatsamm-
lungen Venedig verlassen und aller Wahr-
scheinlichkeit nach in das Ausland gehen wer-
den. Man hielt diese Nachrichten für über-
trieben, doch kommt soeben die Bestätigung,
daß die Sammlungen Giovanelli und
Dona delle Rose, also zwei der reich-
sten venezianischen Sammlungen wirklich die
Lagunenstadt verlassen werden. Ist die Samm-
lung Giovanelli auch wenig organisch, so
bleibt ihre Bedeutung durch ihren Reichtum
und vor allem durch die „Tempesta“ Gior-
giones, des einzigen Bildes des Malers von
Castelfranco in Venedig, doch ersten Ranges.
Die zweite Sammlung jedoch bietet mit ihren
Bildern, Skulpturen, Spißen, Wandteppichen,
Keramiken, Bronzen, Möbeln, Gläsern und
Stoffen, die im Laufe der Jahrhunderte von
den Familien Michiel, Bainarigo und
Martinengo dem Hause Dona delle Rose zu-
flossen und im Palazzo Michiel dalle Colonne
di Santi Apostoli untergebracht wurden, ein
typisches und prächtiges Beispiel eines reichen
venezianischen Patrizierhauses aus der Glanz-
zeit der Serenissima.
Außer diesen Sammlungen aber sind in
diesen Tagen „II Ciarlatano“ und „II Menuetio“,
diese beiden köstlichen Werke des Giam-
batista oder vielleicht Domenico Tiepolo, nach
Spanien versandt worden, zwei Bilder, die
noch kürzlich auf der Ausstellung des Sette-
cento die Aufmerksamkeit auf sich zogen und
deren Überführung vom Palazzo Papado-
poli in die Königliche Galerie erwogen worden
war. In der Sammlung Dona befindet sich ein
anderer Tiepolo von überragender Bedeutung,


P. Henri Valenciennes (1750—1819), Villa Farnese
Collection Princesse Louis de Croy f
Louvre, Paris


A. Etna Michallon (1796—1822), Landschaft
Paysage — Landscape
Collection Princesse Louis de Croy |
Louvre, Paris
 
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