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Die klassische Kunst.

Auch im Moses giebt Michelangelo die gehemmte Bewegung. Der
Hemmungsgrund liegt hier im Willen der Person selbst, es ist der letzte
Moment des Ansichhaltens vor dem Losbrechen, d. h. vor dem Auf-
springen. Es ist interessant, den Moses in die Reihe jener älteren
kolossalen Sitzfiguren einzustellen, die von Donatello und seinen Zeit-
genossen für den Dom von Florenz gemacht wurden. Auch damals
suchte Donatello das repräsentative Sitzbild mit momentanem Leben zu
erfüllen, aber wie anders versteht Michelangelo den Begriff von Be-
wegung. Der Zusammenhang mit den Prophetenfiguren der sixtinischen
Decke springt in die Augen. Für das plastische Bild verlangte er im
Gegensatz zum malerischen die völlig kompakte Masse. Das macht
seine Stärke. Man muss weit zurückgehen, um einem gleichen Gefühl
für das zusammengehaltene Volumen zu begegnen. Die quattrocen-
tistische Plastik, auch wo sie mächtig sein will, sieht leicht fragil aus.
Innerhalb des Werkes von Michelangelo trägt der Moses indessen noch
die deutlichen Spuren der Frühzeit. Die Vielheit der Faltenzüge und
die tiefen Unterhöhlungen würde er später kaum mehr gebilligt haben.
Auch hier wie z. B. bei der Pieta ist bei starker Politur auf die Wirkung
der Glanzlichter gerechnet.

Die Figur sollte diagonal zu stehen kommen: ihre Ansicht liegt
halbseitlich. Man muss das zurückgestellte Bein, auf dem die Be-
wegung zunächst beruht, deutlich sehen. Die Hauptrichtungen treten
in dieser Ansicht alle mit mächtiger Klarheit hervor, der Winkel des
Armes und des Beines und der abgetreppte Umriss der linken Seite.
Darüber dominierend das herumgeworfene Haupt mit seiner Vertikale.
Die abgewandte Seite ist lässig ausgeführt und der Arm mit der Lland,
die an den Bart greift, könnte nie interessant wirken.

In der endgültigen Disposition hat die Figur dann doch eine
frontale Aufstellung erhalten und man hat Mühe, sich die Wirkung
der Schrägansicht herauszuholen. Der Koloss ist in eine Nische ge-
schoben worden und aus dem projektierten Freibau ist ein Wandgrab
geworden und zwar von bescheidenen Verhältnissen. Vierzig Jahre nach
dem Anfang kam die Arbeit mit diesem traurigen Kompromiss zu Ende.
Das Stilgefühl des Künstlers hat sich indessen völlig geändert. Der Moses
ist absichtlich in eine Umgebung gebracht worden, die für ihn zu eng
erscheint, er ist in einen Rahmen eingestellt worden, den er zu sprengen
droht. Die notwendige Auflösung der Dissonanz liegt erst in den
Nebenfiguren. Das ist barocke Empfindung.
 
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