Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
VI. Andrea del Sarto.

1486—1531.

Man hat Andrea del Sarto oberflächlich und seelenlos genannt
und es ist wahr, es giebt gleichgültige Bilder von ihm und er hat in
seinen späteren Jahren sich gern auf die blosse Routine verlassen;
unter den Talenten erster Ordnung ist er der einzige, der in seiner
moralischen Konstitution einen Defekt gehabt zu haben scheint. Aber
von Hause aus ist er der feine Florentiner aus' dem Geschlechte der
Filippinos und Lionardos, höchst wählerisch in seinem Geschmack, ein
Maler des Vornehmen, der lässig - weichen Haltung und der edeln
Handbewegung. Er ist ein Weltkind, auch seine Madonnen haben
eine weltliche Eleganz. Die starke Bewegung und der Affekt sind
nicht seine Sache, über das ruhige Stehen und Wandeln geht er kaum
hinaus. Hier aber entwickelt er ein entzückendes Schönheitsgefühl.
Vasari macht ihm den Vorwurf, er sei zu zahm und schüchtern gewesen, es
habe ihm die rechte Keckheit gefehlt und man braucht allerdings von den
grossen »Maschinen«, wie sie Vasari zu malen pflegte, nur eine gesehen
zu haben, um das Urteil zu verstehen; aber auch neben den mächtigen
Konstruktionen Fra Bartolommeos oder der römischen Schule sieht er
still und schlicht aus. Und doch war er vielseitig und glänzend begabt.
In der Bewunderung Michelangelos aufgewachsen, konnte er eine Zeit-
lang als der beste Zeichner in Florenz gelten. Er behandelt die
Gelenke mit einer Schneidigkeit (man verzeihe das triviale Wort) und
bringt die Funktionen mit einer Energie und Klarheit zur Erscheinung,
die seinen Bildern eine volle Bewunderung sichern müsste, auch wenn
das florentinische Erbteil der guten Zeichnung sich hier nicht mit einer
malerischen Begabung verbunden hätte, wie sie in Toscana kaum mehr
vorgekommen ist. Er beobachtet nicht viele malerische Phänomene und
lässt sich z. B. in die stoffliche Charakteristik verschiedener Dinge
nicht ein, aber das milde Flimmern seiner Karnation und die weiche
Atmosphäre, in die seine Figuren eingebettet sind, haben einen grossen
 
Annotationen