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Einleitung.

Das Wort »klassisch« hat für uns etwas Erkältendes. Man fühlt
sich von der lebendigen bunten Welt hinweggehoben in luftleere Räume,
wo nur Schemen wohnen, nicht Menschen mit rotem, warmem Blut.
»Klassische Kunst« scheint das Ewig-Tote zu sein, das Ewig-Alte; die
Frucht der Akademien; ein Erzeugnis der Lehre und nicht des Lebens.
Und wir haben so unendlichen Durst nach dem Lebendigen, nach dem
Wirklichen, dem Fassbaren. Was der moderne Mensch überall sucht,
ist die Kunst, die viel Erdgeruch hat. Nicht das Cinquecento, das
Quattrocento ist der Liebling unserer Generation: der entschlossene
Sinn für das Wirkliche, die Naivetät des Auges und der Empfindung.
Einige Altertümlichkeiten des Ausdrucks werden mit in Kauf ge-
nommen: man will so gerne bewundern und lächeln zugleich. Mit un-
versieglichem Behagen ergeht sich der Reisende in Florenz in den
Bildern der alten Meister, die treuherzig und schlicht erzählen, dass
wir uns mitten hinein versetzt fühlen in die guten Stuben der Florentiner,
wo der Kindbetterin Besuche gemacht werden, in die Gassen und Plätze
der damaligen Stadt, wo die Leute herumstehen und wo der eine oder
andere dann aus dem Bild heraus uns ansieht mit einer wahrhaft
verblüffenden Selbstverständlichkeit. Jedermann kennt Ghirlandajos
Malereien in der Kirche S. Maria novella. Wie lustig sind da die
Marien- und Johannesgeschichten gegeben, bürgerlich und doch nicht
kleinbürgerlich, das Leben in festlichem Glanze gesehen, mit gesunder
Freude am Vielen und Bunten, an kostbaren Kleidern, an Schmuck und
Geräte und reichem Bauwerk. Giebt es etwas Delikateres als Filippinos
Bild in der Badia, wo die Madonna dem heiligen Bernhard erscheint
und die feine schmale Hand ihm ins Buch legt? Und was für ein Duft
von Natur in den köstlichen Mädchenengeln, die Maria begleiten und
die scheu und doch neugierig, mit nur mechanisch zum Beten gefügten
Händen, hinter ihrem Rock sich vordrängen und den sonderbaren
fremden Mann bestaunen. Und vor dem Zauber Botticellis —- muss
da nicht auch Raffael weichen, und wer den sinnlich-wehmütigen Blick

in, Die klassische Kunst. X
 
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