Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Einleitung.

seiner Augen einmal empfunden, kann der eine Madonna della Sedia
noch interessant finden?

Frührenaissance, das heisst feingliedrige, mädchenhafte Figuren
mit bunten Gewändern, blühende Wiesen, wehende Schleier, luftige
Hallen mit weit gespannten Bogen auf schlanken Säulen. Frührenaissance
heisst alle frische Kraft der Jugend, glänzende Augen, alles Helle,
Durchsichtige, alles Bewegliche, Muntere, alles Natürliche, Mannigfaltige.
Schlichte Natur und doch ein wenig Märchenpracht dabei.

Misstrauisch und ungern tritt man aus dieser munteren, bunten
Welt hinüber in die hohen stillen Hallen der klassischen Kunst. Was
sind das für Menschen? Ihre Gebärde berührt uns plötzlich fremd. Wir
vermissen das Herzliche, das Naiv-Unbewusste. Da ist keiner, der
uns vertraulich ansieht wie ein alter Bekannter. Da giebt es keine
wohnlichen Gemächer mehr mit lustig zerstreutem Hausrat, nur farb-
lose Wände und grosse schwere Architektur.

In der That steht der moderne nordische Mensch Kunstwerken
wie der Schule von Athen oder ähnlichen Darstellungen so völlig un-
vorbereitet gegenüber, dass die Verlegenheit natürlich ist. Man kann
es nicht verübeln, wenn jemand im Stillen fragt, warum Raffael nicht
lieber einen römischen Blumenmarkt gemalt habe oder die muntere
Scene, wie die Bauern auf Piazza Montanara sich rasieren lassen am
Sonntag Morgen. Aufgaben sind hier gelöst worden, die mit der
modernen Kunstliebhaberei in gar keinem Zusammenhang stehen und
mit unserem archaistischen Geschmack sind wir von vornherein nur
wenig befähigt, diese Kunstwerke der Form zu würdigen. Wir
freuen uns an der primitiven Simplizität. Wir geniessen den harten,
kindlich-ungefügen Satzbau, den zerhackten, kurzatmigen Stil, während
die kunstvoll gebaute, volltönende Periode ungeschätzt und unver-
standen bleibt.

Aber auch da, wo die Voraussetzungen näher liegen, wo das
Cinquecento die alten einfachen Themata des christlichen Stoffkreises
behandelt, ist die Zurückhaltung des Publikums'" begreiflich. Es fühlt
sich unsicher und weiss nicht, ob es die Gebärde und Gesinnung
der klassischen Kunst als echt nehmen darf. Man hat so viel

falsche Klassik zu schlucken bekommen, dass der Magen nach
dem Herbern verlangt, wenn es nur rein ist. Man hat den Glauben
an die grosse Gebärde verloren. Man ist schwach geworden und
misstrauisch und hört überall nur das Theatralische heraus und die
leere Deklamation,
 
Annotationen