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Einleitung.

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Und vollends ist das unbefangene Zutrauen erschüttert worden
durch die immer wiederholten Einflüsterungen, das sei gar keine originale
Kunst; sie sei abgeleitet von der Antike; die Marmorwelt des längst
versunkenen Altertums habe die kalte Geisterhand ertötend über das
blühende Leben der Renaissance gelegt.

Und doch ist die klassische Kunst nichts als die natürliche Fort-
setzung des Quattrocento und eine vollkommen freie Äusserung des
italienischen Volkes. Sie ist nicht entstanden in Nachahmung eines
fremden Vorbildes — der Antike —, sie ist kein Produkt der Schule,
sondern erwachsen auf offenem Felde, in der Stunde des kräftigsten
Wuchses.

Für unser Bewusstsein ist dieses Verhältnis nur verdunkelt worden,
weil man — und darin möchte der eigentliche Grund der Vorurteile
gegen den italienischen Klassizismus liegen — ein durch und durch
National bedingtes als ein Allgemeines genommen hat und Gestaltungen,
die nur auf einem bestimmten Boden und unter einem bestimmten
Himmel Leben und Sinn haben, unter ganz anderen Verhältnissen
wiederholen wollte. Die Kunst der Hochrenaissance in Italien bleibt
eine italienische Kunst und die »ideale« Steigerung der Wirklichkeit,
die hier vor sich gegangen ist, ist doch nur die Steigerung der
italienischen Wirklichkeit gewesen.

Schon Vasari hat so eingeteilt, dass mit dem 16. Jahrhundert ein
neuer Abschnitt beginnt, jene Epoche, der gegenüber das Frühere nur
als Vorstufe und Vorbereitung erscheinen soll. Er fängt den dritten
Teil seiner Künstlergeschichte an mit Lionardo. Lionardos Abendmahl
entstand im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts, es ist das erste
grosse Werk der neuen Kunst. Gleichzeitig setzt Michelangelo ein,
der fast um 25 Jahre jünger, schon mit seinen Erstlingsarbeiten ganz
neue Dinge sagt. Zeitgenosse von ihm ist Fra Bartolommeo. Wieder
in einem Abstand von fast zehn Jahren folgt Raffael und mit ihm
geht Andrea del Sarto nah zusammen. Es ist in rundem Ausdruck
das Viertel-Jahrhundert von 1500-—1525, das für den klassischen Stil
innerhalb der florentinisch-römischen Kunst in Betracht kommt.

Es ist nicht leicht, von dieser Epoche eine Gesamtanschauung
zu gewinnen. So bekannt uns von Jugend auf die Hauptstücke aus
Kupferstichen und Reproduktionen aller Art sein mögen, es bildet sich
nur langsam eine zusammenhängende und lebendige Vorstellung von der
Welt, die diese Früchte getragen. Mit dem Quattrocento ist es anders.
Das 15. Jahrhundert steht uns in Florenz noch immer leibhaftig vor

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