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Einleitung.

Augen. Zwar ist vieles verschleppt, vieles von seinem natürlichen Ort
in die Museumsgefängnisse abgeführt worden, aber immerhin, es giebt
noch genug Räume, wo man die Luft jener Zeit zu atmen glaubt. Das
Cinquecento ist fragmentarischer erhalten und überhaupt nur unvoll-
ständig zum Ausdruck gekommen. Man hat in Florenz das Gefühl,
dass dem breiten Unterbau des Quattrocento die Krönung fehle. Man
sieht nicht recht die Endigung der Entwicklung. Ich will nicht reden
von dem frühen Export der Tafelbilder ins Ausland, so dass von Lionardo
z. B. fast gar nichts mehr in Italien ist, aber von Anfang an verzetteln
sich die Kräfte. Lionardos Abendmahl, das notwendig nach Florenz
gehörte, befindet sich in Mailand. Michelangelo ist halb zum Römer
geworden und Raffael ganz. Von den römischen Aufgaben aber ist
die sixtinische Decke eine Absurdität, eine Qual für den Künstler und
für den Beschauer, und Raffael hat seine Bilder im Vatikan teilweise
an Wände malen müssen, wo man sie nie ordentlich sehen kann. Dann:
wie viel ist überhaupt zustande gekommen, wie viel aus der kurzen
Periode der Höhe nicht bloss Projekt geblieben oder einem frühen Unter-
gang anheimgefallen? Lionardos Abendmahl selbst ist nur eine Ruine.
Sein grosses Schlachtbild, das für Florenz bestimmt war, ist nie vollendet
worden und selbst im Karton verloren gegangen. Das gleiche Schicksal
teilen Michelangelos »badende Soldaten«. Das Juliusgrab ist unaus-
geführt geblieben, ein paar einzelne Figuren abgerechnet, und die
Lorenzofassade, die ein Spiegel der toscanischen Architektur und Plastik
hätte werden sollen, ebenfalls. Die Medicäerkapelle kann nur als halber
Ersatz gelten, da sie schon an der Grenze des Barock steht. Die
klassische Kunst hat kein Denkmal grossen Stils zurückgelassen, wo
Architektur und Bildnerei in reinem Ausdruck zusammengegriffen
hätten; und die Hauptaufgabe der Baukunst, auf die sich alle Kräfte
sammelten, der römische St. Peter, hat schliesslich doch kein Denkmal
des Zeitalters der Hochrenaissance werden dürfen.

So könnte man die klassische Kunst mit der Ruine eines nie
ganz vollendeten Baues vergleichen, deren ursprüngliche Form aus
weithin zerstreuten Bruchstücken und unvollkommenen Überlieferungen
ergänzt werden muss und die Behauptung hat vielleicht nicht Unrecht,
dass von der ganzen italienischen Kunstgeschichte keine Epoche weniger
bekannt sei als das goldene Zeitalter.
 
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