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Fra Bartolommeo.

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Die Wirklichkeit und das Individuelle haben ihm nur ein halbes
Interesse abgewonnen. Er ist ein Mann des Ganzen, nicht des Einzelnen.
Das Nackte ist nur oberflächlich behandelt, weil er auf den Eindruck
des Bewegungs- und Linienmotives im grossen rechnet. Die Charaktere
sind immer bedeutend durch den Ernst der Empfindung, allein auch
hier geht er kaum über die allgemeinen Züge hinaus. Man erträgt
diese Allgemeinheit, weil man eben doch von seiner Gebärde fort-
gerissen wird und aus dem Rhythmus der Komposition seine Persönlich-
keit herausfühlt. Nur in ein paar Fällen hat er sich selbst verloren,
wie in den sitzenden heroischen Prophetenfiguren. Der Eindruck Michel-
angelos hat auch ihn momentan verwirrt und wo er mit der Bewegung
dieses Gewaltigen konkurrieren will, da wird er leer und unwahr.

Es i,st verständlich, dass unter den älteren Künstlern Perugino ihm
mit seiner Einfachheit am nächsten stehen musste. Bei ihm fand er
was er suchte, den Verzicht auf das unterhaltende Detail, die stillen
Räume, den gesammelten Ausdruck. Selbst in der schönen Bewegung
knüpft er an diesen an, aber er bringt dazu sein individuelles Gefühl
für Kraft und Masse und geschlossenen Umriss. Perugino erscheint
neben ihm sofort kleinlich und geziert.

Was dann auf Lionardo zurückgeht von seinem breiten malerischen
Stil, wie weit er zu jener Rechnung mit hell und dunkel im grossen
verholfen hat und zu den reichen Abstufungen, das muss die mono-
graphische Betrachtung erörtern. Sie wird auch von dem Eindruck
Venedigs, wohin den Frate eine Reise im Jahre 1508 führte, im einzelnen
Rechenschaft zu geben haben. Er sah dort eine grossflächige Manier
schon in voller Blüte und traf in Bellini eine Empfindung und ein
Schönheitsgefühl, die ihn wie eine Offenbarung berühren musste. Wir
werden gelegentlich darauf zurückkommen.

Aus dem Jüngsten Gericht (Spital von S. M. Nuova), das noch
im alten Jahrhundert entstand, ist es nicht leicht, die künftige Entwicke-
lung Bartolommeos vorauszusagen. Es leidet namentlich die obere
Gruppe, die allein von ihm ausgeführt wurde, an Zerstreutheit; die
Hauptfigur des Heilands ist zu klein und in den Reihen der sitzenden
Heiligen, die in die Tiefe leiten, wirkt die enge Schichtung, das knappe
Nebeneinander der Köpfe noch altertümlich und trocken. Wenn man
mit Recht gesagt hat, die Komposition sei für Raffaels Disputa ein an-
regendes Vorbild gewesen, so zeigt eine Vergleichung zugleich auch
 
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