Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
172

Die klassische Kunst.

verwandt ist, in die Reihe der Künstlerbildnisse stellen. In jedem Fall
ist es eines der schönsten Beispiele der hochaufgefassten Menschenform
des Cinquecento, deren gemeinsame Grundlage bei Michelangelo zu
suchen sein möchte. Den Eindruck des Geistes, der die Delphica ge-
schaffen, wird man auch hier nicht verkennen können.

Als ein mehr lionardeskes Gegenstück zu diesem Bildnis des Andrea
darf man den sinnenden Jüngling im Salon Carre des Louvre nennen, ein vor-
zügliches Bild, das schon die verschiedensten Namen gehabt hat, jetzt aber,
wie mir scheint mit Recht, dem Franciabigio zugeschrieben wird, ebenso
wie jener ganz beschattete Jünglingskopf von 1514 im PalazzoPitti, wo
die linke Hand auf der Brüstung mit einer noch etwas altertümlich-
steifen Gebärde des Sprechens sich aufrichtet. 1) Das Pariser Bild ist
später gemalt als dieses (um 1520) und die letzten Spuren von Steifheit
oder Befangenheit sind getilgt. Der Jüngling, dem etwas Schmerzliches
die Seele bewegt, sieht mit gesenktem Blick vor sich hin, wobei die
leichte Wendung und Neigung des Kopfes ausserordentlich charakteristisch
wirkt. Der eine Arm liegt auf einer Brüstung und die rechte Hand
legt sich darüber, und auch diese Bewegung hat in ihrer Weichheit
etwas ganz Persönliches. Das Motiv ist nicht ungleich dem der Mona
Lisa, aber wie sehr ist hier doch alles aufgelöst in momentanen Aus-
druck und das anspruchsvolle Präsentationsbild in ein Stimmungsbild
von genrehaftem Reiz umgewandelt. Man fragt nicht gleich: wer ist das?
sondern interessiert sich zunächst für den dargestellten Moment. Die tiefe
Beschattung der Augen dient hier im besonderen, den trübblickenden
Melancholiker zu charakterisieren. Auch der tiefe Horizont wird ein
Ausdrucksfaktor. Falsch wirkt nur der Raum, der im Original nach
allen Seiten vergrössert worden ist. Unsere Abbildung versucht die
ursprüngliche Ansicht herzustellen.

Eigentümlich moderne Töne klingen in diesem träumerischen
Bildnis an. Wie viel feiner ist es empfunden als etwa Raffaels jugend-
liches Selbstporträt. Das Sentimento des 15. Jahrhunderts hat immer etwas
Aufdringliches gegenüber der Restriktion des Stimmungsausdrucks im
klassischen Zeitalter.

r) Die Handbewegung kommt genau so wieder vor bei der Hauptfigur auf FPancia-
bigios Abendmahl (Calza, Florenz) und möchte in letzter Instanz auf den Christus in Lionardos
Cenacolo zurückgehen, das Franciabigio gekannt und benutzt bat.
 
Annotationen